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Trockener Stoff mit Suchtfaktor: Cracker gibt es in vielen Formen. Foto: Davids/S.Darmer

© DAVIDS

Kultur: Der kleine Kompromiss zwischen Knäcke und Keks

Salzige Cracker haben Saison: Unsere Probierrunde suchte im Berliner Handel nach den besten Exemplaren.

Knabberzeugs hat Saison. Während der Fastnacht dient es als Alkoholpuffer. Und im Verlauf von Kinobesuchen, die jetzt im Zeichen der Filmfestspiele sprunghaft ansteigen, lösen Kleinigkeiten zwischendurch gleich mehrere Probleme: Zum einen beschäftigen sie den Zuschauer, der seine Reglosigkeit gerade beim Genuss eines Action-Streifens als misslich empfindet, zum anderen rhythmisieren sie das ansonsten ziemlich tonlose Geschehen im Zuschauerraum durch Knacken und Rascheln. Und schließlich besänftigen sie den Appetit.

Im Lichtspielhaus bleibt es oft beim Popcorn allein, dessen Verwandtschaft mit der Hostie auf rituellen Verzehr hindeutet. Was sich heute etwas verloren hat, sind dagegen salzige Cracker. Sie stellen einen Kompromiss dar zwischen Knäckebrot und Keks. Trotz einer kleinen Oberfläche können sie mit Aufstrichen veredelt werden und gehören zu jenen Verlegenheitslösungen, an denen man von Mahl zu Mahl mehr Gefallen findet. Bei diesen Krümelhäppchen stoßen wesentliche Testimpulse, nämlich ein relativ hoher Verarbeitungsgrad, eine gute Marktplatzierung sowie eine erstaunliche Varietät zusammen. Dennoch war die monatliche Testrunde anfangs uneins. Ob es überhaupt lohnend sei, eine Dauerware wie den Cracker ausführlich zu betrachten, war die Frage; doch je mehr Exemplare röschen Kleingebäcks in den Mündern verschwanden, umso deutlicher enthüllte sich der Sinn der Prüfung: feine Unterschiede zu bestimmen.

Darin ist Christian Schulze ein Meister. Der Inhaber und Koch von „Le Compagnon“ beim Savignyplatz hat sie geradezu zum Motto seiner Menüs gemacht und verzichtet häufig auf Gewürze und Kräuter, um weitaus zarteren Noten den Vorzug zu geben. Die waren dem ersten Prüfling nicht fremd. In Italien, wo Cracker wie Grissini in den Brotkorb gehören, ist „Gran Pavesi“ Traditionsgut, das jedes Schulkind kennt. Hier bei uns muss man sich für eine allerdings preiswerte Großfamilienpackung zum Centro Italia begeben. Frisch ausgepackt, entströmt den rechteckigen Bäckseln ein Butterkeksduft, dem ein mildes Aroma folgt. Es wird von Salz zum Schluss begleitet, so dass der sich entfaltenden Süße ein mineralischer Eindruck gegenübersteht.

Die feinen Lagen („die kommen vom kurz verkneteten und mehrmals umgeschlagenen Teig – ein bisschen wie beim Blätterteig“, erläuterte der Gastgeber) von Pavesi gehen „Ritz“ ab. Der Klassiker hierzulande scheint sich gleich als Mahlzeitersatz beweisen zu wollen – so dicht und fest ist seine trotzdem noch mehlig wirkende Masse, die rasch die Zahnzwischenräume verfugt. Eine nicht geringe Süße ist Ritz und „Lorenz Clubs“ gemeinsam, aber bei Letzteren tritt noch ein Nachgeschmack wie vom Brühwürfel hinzu. Für den Viniculture-Inhaber Holger Schwarz gehören solche Cracker und auch die allen pappig vorkommenden „Snack Day Cracks“ von Lidl zur „dunklen Seite der Gastronomie“ und rufen Erinnerungen an Mettigel, Röstzwiebeln, Schinkenwürfel und Kellergeister wach.

Der Charlottenburger Weinhändler erkennt überhaupt bei manchen Verbrauchern einen „Hang zur Ranzidität“ als Ausweis des in Ehren Gereiften, ja Wertvollen – und in diesen Rahmen scheinen auch die „Dinkel-Vollkorn-Kräcker“ von Rossmanns Linie „ener bio“ dem von Schwarz aufgeworfenen Kriterium zu genügen. Der Konkurrent „Allnatura Cracker“ wirkt schon vom Ausschüttergebnis her frustrierend. Und warum stehen bei einem Bioprodukt auf der Packung gleich zehn Ingredienzen, die für hochindustrialisierte Verarbeitung sprechen? Demgegenüber tritt „Tuc“ mit dem Stolz eines Marktführers auf, dessen Name im Begriff steht, zum Synonym für Cracker zu werden. Allerdings wird dieser enge Verwandte von Pavesi auf der Zunge flugs breiig und müsste eigentlich – wie der Gastgeber riet – bei 100 Grad kurz nachgebacken werden.

Die Herkunft vom Schiffszwieback illustrieren „Boland’s Cream Crackers“ aus den Galeries Lafayette. „Man hat viel damit zu tun im Mund“, sagte Christian Schulze, „und erntet wenig Geschmack. Aber er hat eine schöne Aufstreichfläche zum Beispiel für Frischkäse.“ Der frühere Privatkoch des Autorennfahrers Michael Schumacher empfand die ohne Fett gebackenen „Carr’s Table Water“ zwar als nicht besonders attraktiv, aber auch als vornehmes Gebäck, das es sich leisten kann, ein bisschen langweilig zu sein.

Nach der Verkostung der auf der Oberfläche verbrannten und ziemlich süßen „Hollandia Matze“, der cornflakeshaften, glutenfreien „Schär Salti“ aus dem KaDeWe und des mit drolligen Formen aufwartenden fettig-zuckrigen Weingebäcks „Belin Snacky extra fin“ aus dem Lafayette wandten die Tester sich fernöstlicher Ware zu, die in Asiamärkten in großen Plastikbehältern erhältlich ist. Die länglichen „M.S. San Sky Flakes“ und die runden „Fita Cracker“ haben einen weiten Weg hinter sich, das ist zu schmecken. Die philippinischen Himmelsflocken scheinen in ihrem Notnahrungscharakter wie gemacht für die amerikanische Militärlogistik im pazifischen Raum. Butter Lindners „Quadrotti al Rosmarin“, einer Art Focaccia al dente, schien auch etwas Unfertiges anzuhaften.

Am Ende blieben neben den ordentlichen Gran Pavesi zwei Marken übrig, die der Runde nicht auf den Keks gegangen waren. Die Juroren mochten sich nicht zwischen „Xox Snacker Cracker“ und „Wasa Crack & taste“ zu entscheiden und hoben beide auf den Thron. Während Xox zurückhaltend bleibt, aber auch kompakt und röstig, wirkt das angenehm grobbrüchige Wasa etwas leichter und fluffiger. Beide sind knusprig und selbstbewusst gesalzen, wobei das Salz nicht bloß äußerlich wirkt, sondern während des Kauens dauerhafter Widerpart der sich entwickelnden Süße bleibt. Weil die Sieger frei sind von Nebenaromen, können sie, wie Schwarz sagte, als „echtes Zwischendurch“ genossen werden – vor der Leinwand heimlich aus der Handtasche gezogen oder vor versammelter Mannschaft mit Pappnase und Narrenhut.

„Restaurant Le Compagnon“, Charlottenburg, Knesebeckstr. 76, Tel.: 30347555

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