zum Hauptinhalt

Kultur: Der Kosmos raunt

Eine Wundermaschine, ein Monsterinstrument: Moritz Wolpert schenkt der Welt die „Nautilus“

Hinter einer Säule steht sie, die Nautilus. Überraschend klein, viel altes Holz, viel Messing. Sie erinnert an ein verschnörkeltes U-Boot, rundum verkabelt, mit großen Bullaugen am Heck. Genau wie es Moritz Wolpert am Telefon angekündigt hatte: „Sieht voll Jules-Verne-mäßig aus!“ Allerdings ist die Nautilus kein Science-Fiction-Schiffsmodell, auch wenn direkt neben ihr ein gesplitterter Kompass liegt. Sie ist eine Musikmaschine. Eine, die sich Jules Verne ausgedacht haben könnte: mit Motor, Sechsganggetriebe und Stahlsaiten, mit Hunderten geheimnisvoller Knöpfe und Antennen.

„Ich hab da echt ’ne Erfindung gemacht“, sagt Wolpert, gelernter Tischler, Schlagzeuger und Allroundkünstler. „Ich glaube, es gibt kein Instrument, das so klingt wie dieses.“ Er zieht den Kapuzenpulli über den Kopf und wechselt fürs Foto in abgewetzte Nadelstreifen, „meine alte Bühnenkutte“. In seinem Atelier im Künstlerzentrum Haus Schwarzenberg fällt die Nachmittagssonne auf einen riesigen Arbeitstisch voller Werkzeuge und Metallabfälle. In einem Einmachglas steckt ein Dutzend alter Zangen, daneben eine Vorkriegsdrehbank, die unter Knäueln glitzernder Messingwolle versinkt. Der ganze rauchige Raum ist ein großer, rumpeliger Organismus. „Wenn ich mal aufräume“, sagt Wolpert, „finde ich nichts wieder.“

Der 41-Jährige ist ein leidenschaftlicher Improvisierer, sprunghaft im Gespräch, halb versponnen, halb genial, zu jedem Bauteil hat er eine Geschichte parat. Mitten im Satz kann er aufspringen, um in irgendeinem Kasten ein Werkzeug zu suchen oder einen Zeitungsausschnitt. Wolpert erzählt. Von den alten Punkzeiten in Bremen. Von seinem Brotjob als Schlagzeuger in der Bar Jeder Vernunft, wo gerade Sommerpause ist, weshalb er mehr Zeit hat für seine Maschinengitarre, sein künstlerisches Haupt- und Herzensprojekt. Von seinen Touren über die Berliner Flohmärkte, wo Wolpert regelmäßig Schrottschätze hebt, die in seinem Atelier die Regale füllen.

Viele davon recycelt er in seiner Maschine. Den Zylinder einer alten Giftspritze etwa, für zwei Euro am Mauerpark gekauft und zum Tonabnehmer umfunktioniert. Außerdem besteht die Nautilus aus dem Holz eines Kleiderschranks, dem Hals einer Mandoline, der Saitenmechanik einer Zither und der Walze einer Spieluhr. Und aus unzähligen Kabeln natürlich. Wolpert grinst. Seit Jahren, sagt er, wache er mit der Maschine auf und gehe mit ihr ins Bett. Ständig entstehen neue Ergänzungsgeräte, neue Tonabnehmer, Antennen, Spiralen.

Endlich schaltet Wolpert das Mischpult ein, in dem alle Kabel zusammenlaufen. In den Lautsprechern knackt es, Wolpert dreht an einem glänzenden Messingknopf, langsam schickt er seine Nautilus auf die Reise. Sie fährt direkt in die Magengrube. Wohlig satte Klangflächen, blubbernde Takte. Teilweise spielt Wolpert das Instrument, teilweise spielt es sich selbst: Ein Zahnrad aus Gitarrenplektren dreht sich unter dem Mandolinenhals und schlägt die Saiten an, der Motor mit seinen sechs Gängen reguliert den Rhythmus. Die rotierende Walze einer Spieluhr streut selbsttätig Klänge ein, während Wolpert wahlweise mit den Fingern, mit Filzschlegeln oder einem stählernen Flaschenhals die Saiten bearbeitet. Braune Strähnen fallen ihm in die geschminkten Augen, einen Schlegel hält er in der Faust, den anderen quer im Mund. Seine Hände fliegen über Kippschalter und Drehknöpfe, während ein Drehscheibenmechanismus metallisches Raunen in den Raum sendet. Nicht so sehr Musik, eher ein Meer aus skurrilen Geräuschen erzeugt die Nautilus. Volle Fahrt voraus. Ganz bestimmt gibt es kein Instrument, das so klingt wie dieses.

Dabei ist es schon Wolperts zweites. Die Nautilus ist eine Weiterentwicklung der elektromechanischen Trommelmaschine, die er vor zwei Jahren erstmals präsentierte – bei einer stundenlangen Jam-Session mit befreundeten Tüftlern. Damals erzeugte Wolpert mit Hilfe einer Schlagzeugerweiterung aus verschiedenen Schlegeln, Kabeln und Kontakten ein vielstimmiges, psychedelisches Rhythmusgewebe. Die Nautilus liefert nun den Sound zum Beat.

Ein gutes Konzert, sagt Wolpert, sei das höchste Gefühl. „Wenn man abdriftet, wenn man eins ist mit dem, was man macht, dann merke ich, dass in der Maschine ein Kosmos drin ist.“ Trotzdem ist Wolpert aufgeregt, jetzt, wo er die Nautilus zum ersten Mal öffentlich vorführen wird. Am morgigen Samstag schließt er sie in der Galerie Neurotitan mit den ebenfalls selbst konstruierten Synthesizern seines Band- und Bastelkollegen Christian Günther zusammen, vielleicht stöpseln sich auch noch andere Freaks dazu. Günther ist für die komplizierten elektrischen Schaltpläne zuständig, die hinter Wolperts Mechanik stehen. Gemeinsam werden die beiden auf einer Vernissage im Haus Schwarzenberg „elektromechanische Soundskizzen“ improvisieren. Vorkomponiertes spielen sie vorerst nicht, auch wenn es irgendwann mal ein Nautilus-Album geben soll.

Seine Maschine, so Wolpert, sei für ihn ein paradoxe Sache: Erfunden hat er sie, um sich selbst zu begleiten, um etwas zu haben, das ihm über künstlerische Einsamkeitsphasen hinweghilft. Gleichzeitig bringt das Instrument ihn in Kontakt mit vielen interessanten Leuten. Unter anderem mit einem, der ihm helfen will, die Nautilus zu digitalisieren und per Internet steuerbar zu machen – notfalls auch vom Mond aus. Das sei sein nächstes Projekt, sagt Wolpert: Online-Konzerte. „Da muss ich aber noch ziemlich viel bauen.“ Wieder knackt es in der Box, Rauschen breitet sich aus. „Kinderkrankheiten“, sagt Wolpert, die Finger tief im Bauch der Maschine. „Das muss sich Christian nochmal angucken.“

Wolpert spielt sein Instrument am Samstag, 4. August, ab 20 Uhr in der Galerie Neurotitan. Die Performance eröffnet die Ausstellung „Meet thy neighbors“ von Künstlern aus dem „Haus Schwarzenberg“. Informationen unter www.neurotitan.de

Zur Startseite