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Kultur: Der Künstler als Kobold

Ausstellung und Bildband: Porträts von Roger Melis

Zwei alte Herren mit Schlips und Fliege, würdevoll schreitend im bedenkenvoll heiteren Gespräch: zwei Dichterfürsten, doch im Hintergrund nichts als engwinklige Gassen, krumme Wände, schiefe Dächer, das Schild „Einbahnstraße“ vor einer längst erstorbenen Fassade. Es ist der südamerikanische Großautor Miguel Asturias mit dem DDR-Autor Erich Arendt; auf der Seite gegenüber steht noch ein Herr im Trenchcoat, dunkle Brille, Schnauzbart – ein Geheimagent? Das ist der US-amerikanische Großschriftsteller William Saroyan, und weiterblätternd sieht man auch Pablo Neruda (der unter einer Schildmütze ausschaut wie Alfred Hitchcock) mit Stephan Hermlin Pfeife schmauchen, beide den Weltgeist (und die eigene Bedeutung) im skeptisch amüsierten Blick. Es sind Bilder tatsächlich eines vergangenen Jahrhunderts, 1965 aufgenommen bei einem internationalen Autorentreffen in Weimar: mit den Augen und der Kamera von Roger Melis.

Nach dem wunderbaren, die DDR so ganz nostalgielos erhellenden Melis-Bildband „In einem stillen Land“ hat der Leipziger Lehmstedt Verlag auch die zwischen 1962 und 2002 entstandenen „Künstlerporträts“ des 68-jährigen Berliner Fotografen in einer animierenden Auswahl versammelt, die nun im Berliner Buchhändlerkeller zu sehen ist. Vieles und viele sind längst vergangen. Und hier doch wieder geisterhaft lebendig: die sonst nie so indianerinnenhaft strahlend verewigte Helene Weigel. Oder das Mädchen Katharina Thalbach von 1972 – und vier Jahre später, vor der gemeinsamen Ausreise aus der DDR, der trotz frühem Gefängnis und existenzieller Melancholien so hoffnungsträumerisch in die Zukunft blickende Poet Thomas Brasch. Ein Vierteljahrhundert später fotografiert ihn Melis noch einmal: nun ein das Auge anspringender Verzweifelter, wie vom Leben und Sterben gepeitscht. Doch dominieren die eher Versonnenen: in Porträts von Peter Huchel bis Monika Maron, vom jungen Biermann bis zum alten Tabori. Aber auch Heiner Müller, nackte Frauen an die Berliner Mauer sprayend, ein deutscher Kobold. Peter von Becker

Roger Melis: „Künstlerporträts“, bis 9. 1. im Buchhändlerkeller, Carmerstraße 1 (heute 20 Uhr 30 Ausstellungseröffnung, es spricht Klaus Völker). Der Bildband (Lehmstedt Verlag) kostet 29,90 €.

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