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Der Kunstsammler Rudolf Zwirner im Interview: „Nur Museen bewahren unser kulturelles Gedächtnis“

Der Galerist Rudolf Zwirner ist Doyen seiner Zunft. Am Sonntag feiert er seinen 80. Geburtstag. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über die Macht der Sammler, explodierende Preise und die Breitenwirkung der Kunst.

Herr Zwirner, der Kunstmarkt hat sich seit Ihren Anfängen in den fünfziger Jahren komplett geändert. Was würden Sie heute als junger Galerist anders machen?

Ich würde mehr Wert auf internationale Ausbildung legen und in verschiedenen Hauptstädten Europas, möglicherweise auch im Fernen Osten volontieren. Außerdem müsste ich die Globalisierung des Kunstmarktes im Blick haben: nicht nur wegen der internationalen Künstlerkarrieren, sondern auch wegen des Managements einer Galerie, die heute einem mittelgroßen Betrieb entspricht. Galerien mit nur ein, zwei Mitarbeitern können kaum noch konkurrieren, teure Messeteilnahmen sind zwingend. Galeristen, die Künstler mit Werken unter 10 000 Euro vertreten, können sich das nicht leisten.

Bedauern Sie diese Entwicklung?

Ja und nein, bloß keine Sentimentalitäten. Die Großgalerien, die zunehmend den Markt bestimmen, bringen auch Vorteile mit sich: bei Katalogen und Dokumentationen. Sie tun für die Kunstgeschichte mehr, als wir jemals hätten schaffen können. Dort wird Museumsarbeit geleistet.

Verschiebt sich dadurch nicht die Deutungshoheit über Kunst?

Das ist das eigentliche Problem. Anders als ein Museumsdirektor vertreten Galeristen kommerzielle Interessen. Andererseits sind die unterfinanzierten Museen auf die Galerien angewiesen, bis hin zur Bezahlung von Ausstellungen. Als ich 1955 als Volontär in Köln meinen Antrittsbesuch beim Generaldirektor der Kölner Museen machte, sagte er zu mir: „Überlegen Sie sich diesen Schritt gut, denn von nun an werden Sie an der falschen Seite des Schreibtisches sitzen.“ Heute sitzt der Museumsdirektor am falschen Ende. Durch die enorme Preisentwicklung können öffentliche Institutionen kaum mehr Erwerbungen tätigen. Sammler und Galeristen beeinflussen zunehmend die Ankaufspolitik, besonders durch Dauerleihgaben.

Was lässt sich dagegen machen?

Ich würde als Museumsdirektor nur Schenkungen, keine Leihgaben akzeptieren, allenfalls eine Stiftung öffentlichen Rechts an das Museum angliedern, um Dauerleihgaben und Schenkungen einzubringen. Diese dürften erst mit einem Abstand von 15 bis 20 Jahren ins Museum überführt werden, bis sie kanonisiert sind. Was einmal im Museum ist, darf dann nicht mehr veräußert werden wie in Krefeld, wo ein Bild von Monet zur Disposition stand. Wertvoll ist nicht nur das geschenkte Bild, sondern vor allem auch die Wand, an der es hängt.

Haben sich die Sammler in den Siebziger und Achtzigern anders verhalten?

Nein, selbst Peter Ludwig wusste genau, dass er seiner Sammelleidenschaft nur frönen konnte, wenn alle Nebenkosten für Transport, Versicherung, Lagerung und Restaurierung von den Museen übernommen werden. Die Kölner Museen haben unterm Strich profitiert, aber Ludwig hat sein Sammlungskonzept durchgesetzt.

Inwiefern hat das globale Agieren der Großgalerien Einfluss auf die Kunstproduktion?

Zu meiner Zeit rechnete ein junger Künstler nicht mit wirtschaftlichem Erfolg. Beuys, Richter, Polke hatten nie eine ökonomische Karriere im Visier. Das ist heute anders. Meine Vorlesung „Wie werde ich ein erfolgreicher Künstler“ in Braunschweig war überfüllt. Bei meiner Vorlesung „Rezeptionsgeschichte der Documenta“ wurde gefragt, warum ich nicht über die gegenwärtige sprechen würde – die erst drei Monate später eröffnete. Der Fokus aufs Jetzt wird immer größer. Das zeigt sich auch in den Auktionshäusern, deren Werke oft im gleichen Jahr entstanden sind. Viele Künstler malen bereits für die Auktionen, schielen auf den Markt, statt sich aufs Werk zu konzentrieren.

Was wird aus all diesen Künstlern?

Das ist heute nicht anders als zu meiner Zeit. Damals ist das meiste nicht ins Museum gelangt. Als Folge der verhundertfachten Produktion schaffen es nur wenige Prozent. Aber nur im Museum wird unser kulturelles Gedächtnis bewahrt. Alles andere verschwindet. Hinzu kommt das Problem der Großformate und Installationen mit ihrem enormen Raum- und Wartungsbedarf.

An dieser Inflation sind Sie nicht ganz schuldlos. Mit Gründung der Art Cologne, der ersten Kunstmesse, haben Sie ein gefräßiges Tier von der Leine gelassen.

Das ist wie beim Zauberlehrling. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Nur waren damals die Bedingungen andere: Es gab vornehmlich Interesse für Werke der Ecole de Paris und der sogenannten Entarteten Kunst. Nur wenige interessierten sich für die zeitgenössische deutsche oder amerikanische Kunst. Das hat sich geändert. Damien Hirsts Ausstellung in der Tate Modern war finanziert durch russische Sammler. Ähnlich war es hier am Hamburger Bahnhof mit der „Sensation“-Ausstellung von Heiner Bastian aus dem Bestand der Saatchi-Collection. Damals wurde ich für meine Voraussage ausgelacht, dass die Werke fünf Jahre später bei Christie’s landen würde. Es ging schneller: Sie war nach zwei Jahren dort.

Woran liegt es, dass die Museumsdirektoren so hörig geworden sind?

Das ist für mich ein Rätsel. Es wäre beiden geholfen, wenn der Museumskurator mit dem Sammler eng zusammenarbeiten würde und der Sammler die Wünsche des Museums finanziert. Als Gegenleistung könnte der Direktor seine Expertise dem Sammler für private Ankäufe kostenlos zur Verfügung stellen. Wilhelm Bode arbeitete erfolgreich nach diesem Prinzip. Das Haus, die Wände, die Aura, die Öffentlichkeit – all das ist unbezahlbar.

Auch das Sammlerprofil hat sich gewandelt. Für viele ist Kunst eine andere Form des luxuriösen Vergnügens, des Prestiges.

Der intellektuelle Sammler, der das Gespräch über die Kunst sucht, wird immer seltener. Ich musste als Kunsthändler immer noch die kunsthistorische Relevanz eines Bildes erklären: inwiefern sich Gerhard Richters „Emma“ auf Duchamps „Akt eine Treppe herabsteigend“ bezieht, warum Baselitz’ „Große Nacht im Eimer“ den Expressionismus fortführt. Nicht mehr die kunsthistorische Bedeutung und Spiritualität entscheidet, sondern die Marktpräsenz und der Preis.

Hat nachlassende Intellektualität nicht auch Vorteile? Der Kunstbetrieb ist für viele zugänglich geworden. Das Museum hat Breitenwirkung entfaltet.

Sicher, aber wenn heute junge intellektuelle Sammler eine Erwerbung tätigen wollen, können sie nur noch bei ganz jungen und völlig unbekannten Künstlern fündig werden. Das setzt eine hohe Sensibilität, Kenntnis und Zeit voraus. Wer sich an den Marktpreisen und der möglichen Wertsteigerung orientiert, verzichtet auf kunsthistorische Bewertungsmaßstäbe und unterstützt die Banalisierung der Kunst. Da helfen auch keine kunsthistorischen Vergleiche in den Auktionskatalogen, die Jeff Koons Tulpen auf van Goghs Sonnenblumen zurückführen.

Aber ist nicht der zauberische Moment gleich geblieben? Der große New Yorker Galerist Leo Castelli nannte es, „Mythen machen aus mythischem Material“.

Das gehört auch heute noch zum Geschäft. Nur hatte Castelli eine intelligente, vermögende Ehefrau, die Sammlerin und Galeristin Ileana Sonnabend. Als ich bei ihr in den Sechzigern ein Bild von Jasper Johns kaufen wollte und mich über den Preis beklagte, sagte sie, dass dieses Bild einmal teurer werden würde als ein kubistisches Werk von Picasso, weil Johns für die Pop-Art genauso einflussreich sei wie seinerzeit Picasso für den Kubismus. Das hielt ich damals für eine Übertreibung, die sich jedoch bewahrheitet hat. Diese Mythen konnten geschaffen werden, weil die Galeristen ihre Künstler kunsthistorisch einzuordnen verstanden.

Das Spektakel um hohe Preise gehört heute zum Kunstmarkt dazu. Warum ist diese Seite des Geschäfts so wichtig geworden?

Der hohe Preis steht mehr und mehr für die Qualität eines Werks. Hohe Auktionspreise bedeuten für den Sammler, dass er richtig liegt, dass sein Künstler anerkannt ist. Da es einen unterlegenen Bieter gibt, muss der Preis korrekt sein. Aber die Preise sind zum großen Teil manipuliert. Die Auktionatoren wissen, wie weit ein Kunde gehen wird und instruieren Geisterkäufer, mitzubieten. Insbesondere die Preisexplosion für zeitgenössische Kunst bringt neue Käuferschichten. Damit löst sich die Kunst aus ihrem kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhang und wird zum Spekulationsobjekt.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Christiane Meixner.

Rudolf Zwirner, der am Sonntag 80 Jahre alt wird, ist eine prägende Figur des deutschen Kunsthandels. Stationen waren das Auktionshaus Gerd Rosen in

Berlin und die Galerie von Heinz Berggruen

in Paris. 1959 berief

Arnold Bode ihn zum

Generalsekretär der Documenta 2.

1959 eröffnete er seine erste Galerie in Essen. Drei Jahre später ging er nach Köln und gehörte 1967 zu den Mitbegründern der Art Cologne, der ersten Kunstmesse weltweit. Mit Warhol und Rauschenberg holte er in den 60ern die Pop Art nach Europa. 1992 zog er sich aus dem aktiven Geschäft zurück und ging in seine Geburtsstadt Berlin. Sein Sohn David Zwirner betreibt seit 1993 eine der erfolgreichsten Galerien New Yorks.

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