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Kultur: Der lange Herbst der Orthografie

Der „Rat für Rechtschreibung“ ist eine Farce

In diesen Tagen laufen die Beratungen darüber, wer dem künftigen „Rat für deutsche Rechtschreibung“ angehören soll. Nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) sollen dem Rat 36 Mitglieder angehören, 18 aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz. Dies erinnert an die 6:3:3-Parität der „Zwischenstaatlichen Kommission“, die jetzt aufgelöst wird. Wie diese soll der künftige Rat organisatorisch beim Mannheimer Institut für deutsche Sprache angesiedelt werden, das sich seit über zwei Jahrzehnten vehement für die Rechtschreibreform einsetzt.

Die Mühe einer eigenen Auswahl will man jetzt vermeiden. Sie wäre schwierig, da in dem Rat neuerdings „auch Kritikerinnen und Kritiker der reformierten Rechtschreibung einen Platz haben“ sollen. Wen aber sollte die KMK unter ihren zahlreichen Gegnern berufen? Hier hat sie einen eleganten Ausweg gefunden. Fünfzehn Institutionen dürfen die Plätze in dem Rat besetzen. Diese waren zumeist schon in dem ehemaligen Beirat der Rechtschreibkommission vertreten, der als Alibi öffentlicher Beteiligung diente und zuletzt durch eine läppische Stellungnahme zum jüngsten Kommissionsbericht hervorgetreten war. So ist auch jetzt nicht zu befürchten, dass der KMK-Linie der Rechtschreibreform wirksam widersprochen wird. Denn aus dem Kreis der Kritiker sollten lediglich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (zwei Sitze) und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (ein Sitz) vertreten sein. Die Deutsche Akademie hat inzwischen abgesagt. Viele Schriftsteller, unter ihnen die Nobelpreisträgerin Elfriede Jellinek, und der deutsche PEN-Club haben zum Boykott aufgerufen.

Um so leichter lässt sich nun eine Reform der Reform verhindern. Zusätzlich wird dies durch den konkreten Arbeitsauftrag abgesichert. Der Rat soll „die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks im notwendigen Umfang weiterentwickeln“. Eine Rückkehr zur bisherigen Rechtschreibung steht nicht zur Debatte. Der Gegenstand der Beratung wird weiter eingeschränkt durch den Hinweis auf „Änderungen in den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Fremdwörter, Interpunktion und Trennung“. Was ist mit den unsinnigen vermehrten Großschreibungen (des Öfteren, vor Kurzem, der Eine, der Andere), was mit den Etymogeleien (gräulich, Stängel, verbläuen), was mit der s-Schreibung? Darf man nicht mal über eine Toleranz bisheriger ß-Schreibungen (zum Beispiel in Ausschußsitzung oder Eßsaal) reden?

Sehr vorsorglich ist auch die Regelung des Vorsitzes, häufig ein Streitpunkt heterogener Gremien. Gesucht wird „eine ausgewiesene Persönlichkeit des öffentlichen Lebens mit besonderem Bezug zum Aufgabenfeld des Rates“. Was für ein Formulierungsungetüm! Kann es jemand anderes sein als ein ehemaliger Kultusminister? Aber wer wagt sich von denen noch einmal ins Getümmel?

Es bleibt die Frage, wer dies alles so gescheit vorbereitet hat. Es sind ja nicht die Kultusministerinnen und Kultusminister selbst, die gar keine Zeit haben für solche Details. Für die Kleinarbeit ist vielmehr seit Ende der 80er-Jahre die Arbeitsgruppe Rechtschreibreform der KMK zuständig, die aus Beamten der Kultus- bzw. Schulministerien der Länder und dem Bundesinnenministerium zusammengesetzt ist. Sie ist das Gelenk zwischen den so genannten Experten und der politischen Führung der KMK. Die betreffenden Beamten sind keine Wissenschaftler und keine Politiker, sie führen nur weisungsgebundene Aufträge aus. Allerdings mit dem Ehrgeiz, einen erfolgreichen Abschluss für die KMK zu erreichen.

Dabei haben sie einigen Spielraum, der nicht von öffentlichen Debatten oder politischen Kontroversen eingeschränkt ist. Dies Gremium hat sich bis heute stets im Hintergrund gehalten. Dabei hat es fast zwei Jahrzehnte eine höchst bedeutsame Rolle für Richtung und Fortgang dieser Reform gespielt – erst als hemmende, dann als treibende Kraft. So hat die Arbeitsgruppe der KMK den ersten Entwurf der reformeifrigen Germanisten vom Jahre 1989 verworfen. Damals sollte die Kleinschreibung eingeführt, ferner „Al“, „Bot“ und „Keiser“ statt „Aal“, „Boot“, „Kaiser“ geschrieben werden. Sie haben auch die erste Anhörung im Mai 1993 durchgeführt und regelmäßig in eigenen Konferenzen die Kontakte zu den österreichischen und schweizerischen Kollegen gepflegt. Mit ihnen ist die Einführung eines neuen Rates längst verabredet.

Anderseits war die deutsche Arbeitsgruppe Rechtschreibreform die treibende Kraft bei der politischen Durchsetzung. Jetzt sollte endlich verwirklicht werden, worum sie so lange gerungen hatten. Sie haben es den Wissenschaftlern ausgeredet, ihre Vorschläge zu korrigieren, als im Herbst 1996 der Sturm der Entrüstung losbrach. Sie haben erreicht, dass auch im neuesten Duden all die verkehrten Getrenntschreibungen erhalten bleiben, nur um am Regelwerk nichts ändern zu müssen. Auf ihr Konto geht vielleicht auch die voreilige Einführung der neuen Regeln in den Schulen, zwei Jahre früher als vorgesehen. Sie haben den Beirat erfunden und vielleicht auch die Umfirmierung in einen „Rat für deutsche Rechtschreibung“, der in Parität und Zusammensetzung den früheren, jetzt abgesetzten Gremien ähnelt. Der „Rat“ ist ihr letztes Manöver, mit dem sie ihre Arbeit endlich abschließen wollen. Und zwar unter Zeitdruck. Noch in diesem Jahr soll der Rat seine Arbeit beginnen und bis zum Juni 2005 einen Bericht vorlegen. Denn ab 1. August 2005 soll ja die Reform verbindlich in Kraft treten.

Falls die Kultusminister sich nicht noch besinnen, gibt es keine Lösung des Konflikts. Die Kritiker dieser angeblichen Reform lassen sich nun nicht mehr übertölpeln. Die Einheit der deutschen Rechtschreibung aber wäre ohne einen vernünftigen Kompromiss nur noch auf einem Weg zu erreichen: durch die Rückkehr zur alten Schreibung.

Der Autor lehrt Deutsche Sprachwissenschaft in Erlangen und ist durch zahlreiche Veröffentlichungen zur Rechtschreibreform hervorgetreten.

Horst Haider Munske

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