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Kultur: Der laute Himmel

Jorinde Voigts erste große Schau bei Klosterfelde

Da liegt was in der Luft. Die Worte „Ich liebe dich, ich liebe dich nicht“ oder „Du liebst dich, du liebst dich nicht“ schwirren mit einiger Geschwindigkeit auf Propellerflügeln im Kreis. Aber anders als beim Abzählreim entscheiden nicht die Blütenblätter der Gänseblümchen über unsterbliche Liebe. Jorinde Voigt, bekannt für ihren ordnenden Blick auf die Welt, hat alle Möglichkeiten von Zu- und Abneigung grammatikalisch dekliniert. Von „Ich liebe mich“ bis „Sie lieben sich nicht“. Acht Rotorflügel mit insgesamt 64 sprachlichen Optionen drehen sich jetzt in unterschiedlichem Tempo an der Wand der Galerie Klosterfelde.

Einen Namen hat sich Jorinde Voigt in den vergangenen Jahren mit ihren großformatigen Zeichnungen von atmosphärischen Phänomenen gemacht – von der Luftströmung bis zum Vogelflug. Sie hat Fotografie studiert und war Meisterschülerin an der Universität der Künste in Berlin bei Katharina Sieverding. Aber mehr noch glaubt man in ihrer Arbeit die Ausbildung zur Cellistin erkennen zu können. Die bogenförmige Bewegung der Hand auf dem Blatt, die ausladende Geste, die ergänzt wird durch präzise, punktuelle Eingriffe. Die asynchrone Geschwindigkeit der Hände. Jorinde Voigt selbst spricht von ihren Zeichnungen als Partituren. Tatsächlich versucht sie, Rhythmus und Zeitmaß von kaum wahrnehmbaren Schwingungen zu erfassen.

Für die Ausstellung in der Galerie Klosterfelde, die die Künstlerin nun vertritt, hat sie die Flugrouten von Intercontinental-Maschinen aufgezeichnet. Von wegen grenzenloser Himmel. Auf dem weißen Blatt drängen sich die Flüge als feine Linien auf engstem Raum, denn die 33-jährige Künstlerin lässt sie alle auf derselben Ebene und zur selben Zeit fliegen. Da braut sich ein dunkler Schwarm zusammen, plötzlich verdichtet sich die unendliche Weite zu einer schweren Masse.

Leise ist es am Himmel nicht. Jorinde Voigt listet all jene Audio-Programme auf, die Passagiere mit ihren Kopfhörern empfangen können. In zwanzig Kategorien geordnet reicht das von Opera über Hindi Music und Japanese Favorites bis zu Chinese Pop. Mit feinen Vektoren führt die Künstlerin Schall und Geschwindigkeit in die Zeichnung ein und erforscht die Gleichzeitigkeit kultureller Erfahrungen (von 2200-22 000 Euro). Unsere Augen machen uns glauben, über den Wolken sei es blau und still. Tatsächlich aber muss es da oben lärmen und dröhnen, brummen und sirren. Die Unendlichkeit wird von Störgeräuschen torpediert.

Am schwächsten wirkt die Installation, die der Ausstellung ihren Titel gegeben hat: „Collective Time“. Mit schwarzer Farbe hat die Künstlerin auf Aluminiumstangen die Länge der populärsten Filme der westlichen Welt markiert. „Vom Winde verweht“ und „Lawrence von Arabien“ gehören dazu. Die Phalanx der Stäbe lässt die Schnittmenge der Zeit erkennen, die Kinobesucher im gleichen Film verbracht haben. Aber hier gerät Jorinde Voigts Drang, die Welt zu systematisieren, zum Krampf. Die Arbeit lässt sich intellektuell schlüssig erklären, verfügt aber nicht über die gleiche sinnliche Verlockung wie die Zeichnungen. Ihr fehlt die Widersprüchlichkeit der Blätter, die ordnen wollen und doch im Chaos enden, die eine Erklärung suchen und Komplikation finden. Auch als Plastik erscheint Statistik eindimensional. Die Stärke von Jorinde Voigts Kunst liegt nicht in der Logik, sondern im Paradoxon.

Galerie Klosterfelde, Potsdamer Str. 93; bis 24. April Di-Sa von 11-18 Uhr.

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