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Kultur: Der leise Ankläger

Zum 80. Geburtstag des portugiesischen Dichters José Saramago

Seit dem großen Lissabonner Erdbeben von 1755, das traurige Berühmtheit erlangte, ist das Land am westlichen Rand des Kontinents einer stark schwankenden Aufmerksamkeit des übrigen Europa ausgesetzt. So bemühten sich Johann Gottfried Herder und Friedrich Schlegel, dem Renaissance-Epos „Die Lusiaden“ von Luis Vaz de Camões hierzulande zu Ruhm zu verhelfen. Der rumänische Surrealist Gellu Naum verklärte den portugiesischen Nationalhelden, den Seefahrer Vasco da Gama als körperlich nicht fassbaren Mythos, der sich träumend und lachend durch die Zeitalter hindurch Freiheit schafft. Der portugiesische Identitätsdiskurs ist ein prophetischer, der die historischen Denkmäler neu interpretiert: eine ureigene Aufgabe der Literatur. Ihr stellt sich vor allem José Saramago in seinem vielfältigen Werk. Immer wieder erinnert er daran, dass „eine Kultur der Peripherie keine periphere Kultur ist“. Das Werk des ehemaligen Maschinenschlossers – aus Geldnot hatte er das Gymnasium abbrechen müssen – reicht in die nebligen Anfänge der Nationalgeschichte zurück.

Schon im 18. Jahrhundert priesen Reisende das „eigentümliche Genie“ der lusitanischen Dichter, doch erst 1998 wurde dieses mit dem Literatur-Nobelpreis gekrönt: Er ging an José Saramago. Das überraschte, da die apokalyptische Vision „Die Stadt der Blinden“, die im Jahr zuvor erschienen war, nicht unbedingt zu seinen stärksten Werken gehört. Zudem gilt der zweite portugiesische Nobelpreis-Kandidat Antonio Lobo Antunes als literarisch avancierter, Ironie und Sarkasmus eher zugetan als der leise und subtil vorgehende Saramago.

Letzterer ist Spätberufener und Altmeister zugleich - mit einem Schlag berühmt wurde der bekennende Kommunist 1980 durch die bäuerliche Familienchronik „Hoffnung im Alentejo“. Da ging er bereits auf die Sechzig zu. Seitdem ist er der plebejischen Sichtweise auf die Dinge, die an Brecht erinnert, treu geblieben: etwa in seinem international bekanntesten Roman „Das Memorial“, der die Geschichte Portugals bis 1739 lebendig werden lässt. Saramago schildert die Mesalliance von Politik und Klerus bei der Errichtung eines überdimensionalen Konvents, die zweitausend Bauarbeiter das Leben kostete.

Endgültig den Zorn der Kirche zog der unverblümte Nihilist aber mit seiner freizügigen Bibel-Interpretation „Das Evangelium nach Jesus Christus“ (1991) auf sich. Das Buch wurde von der Vorschlagsliste für den Europäischen Literaturpreis gestrichen, der Vatikan schaltete sich ein. In seinem jüngsten Roman „Das Zentrum“ ergreift José Saramago erneut Partei für die kleinen Leute, für die einstigen Sieger der Nelkenrevolution. Heute wird er 80.

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