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Kultur: Der letzte Hippie

Eine Trompetenfanfare.Der Baß bollert, die Bläser kreischen.

Eine Trompetenfanfare.Der Baß bollert, die Bläser kreischen.Wieder eine Fanfare.Jetzt ein Break.Der Rhythmus wird langsam, eine Spieluhrenmelodie beginnt.Lieblich säuselt ein Klavier, zuckrig schluchzen die Geigen.Vierundzwanzig Jahre lang war diese Musik im deutschen Fernsehen zu hören: erst die überfallartigen Trompetenstöße, dann das rührselige Klavierfinale.Die Erkennungsmelodie der Krimiserie "Derrick" nahm vorweg, was dann jeweils nach dem Vorspann folgen sollte: ein bißchen Action (Trompetenfanfare), viel Gerede und am Ende die erlösende Überführung des Täters (Klaviergesäusel).Gestern nahm Deutschland nach 281 Folgen Abschied vom Chefinspektor Stephan Derrick.Die Erkennungsmelodie klang diesmal wie ein Trauerlied.Denn nur wenige Stunden vorher war bekannt geworden, daß ihr Komponist tot ist: Les Humphries starb bereits vor drei Wochen in London.

Als "Derrick" 1974 ins Fernsehprogramm kam, stand Les Humphries im Zenit seiner Karriere.Mit einem bunt zusammengewürfelten Flower-Power-Chor, den er schlicht "Les Humphries Singers" taufte, war es ihm gelungen, den Hippie-Zeitgeist in die europäischen Hitparaden zu bringen."Mexiko", "Mama Loo", "Kansas City" und "We are going down Jordan" hießen die Hits der Truppe, die auf jeder Party liefen.Wichtiger als die Lieder der aus drei Kontinenten stammenden "Singers" war ihr Aussehen: Fransenwesten, Schlaghosen, Miniröcke, Indienkleider, Afrolook.Innerhalb von fünf Jahren verkauften die Multikulti-Sänger vier Millionen Platten.Nach einem verunglückten Auftritt mit dem Stück "Sing Sang Song" beim Grand Prix Eurovision 1976 folgte der jähe Absturz.Humphries löste seine "Singers" auf, seine Frau - die Schlagersängerin Dunja Rajter - ließ sich von ihm scheiden, die Steuerfahndung rückte an.

Begonnen hatte Les Humphries, der vor 58 Jahren in der Nähe von London zur Welt kam, seine musikalische Laufbahn bei der britischen Armee.Als Bandmaster-Sergeant kehrte er 1966 dem Militär den Rücken und ging nach Hamburg, um sich mit einer eigenen Band auf der Reeperbahn durchzuschlagen.1969 formierte er dort seine "Singers".In seiner besten Zeit residierte der Musiker in einer 18-Zimmer-Villa in Blankenese.Die letzten Jahre verbrachte er verarmt in einem Londoner Appartment.Seine Einnahmen flossen direkt ans Finanzamt.Das Comeback, das er zwanzig Jahre lang ankündigte, schaffte Humphries nicht mehr.

CHRISTIAN SCHRÖDER

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