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Kultur: Der Letzte lacht das Licht aus

Witzig, perfekt – und manchmal auch grob: zum Tod des großen Entertainers Rudi Carrell

Rudi Carrell hat die sympathische, aber nicht ungefährliche Eigenschaft besessen, offen seine Meinung zu sagen. Wenn Journalisten ihn interviewten und ihn nach diesem Kollegen oder nach jener Kollegin fragten, bekamen sie immer eine Antwort. Rudi Carrell analysierte und gab präzise Karriereprognosen ab. Er irrte sich selten. Zum Beispiel prophezeite er früh den Aufstieg von Günther Jauch. Auf das Scheitern von Anke Engelkes „Late Night Show“ hat er 20 000 Euro gewettet.

Über Rudi Carrell kann man also ruhig die Wahrheit sagen, obwohl er tot ist. Er war ein gefürchteter und perfektionistischer Vorgesetzter. Manchmal war er verletzend. Gegen Zoten und so genannte frauenfeindliche Witze hatte er nicht das Geringste. Ein Intellektueller war er ganz sicher nicht. Rudi Carrell äußerte sich ungern spontan, jeden Auftritt bereitete er sorgfältig vor. Und er war weniger kreativ, als man sich das vorstellt. Seine Witze stammten aus Sammlungen, die er und sein vielköpfiger Mitarbeiterstab sich im Laufe der Jahre angelegt hatten, aus den verschiedensten Quellen, auch aus dem Internet. Er war ein hart arbeitender Witzeerzähler, so, wie schon sein Vater einer gewesen war.

Rudi Carrell, der 1953, mit 19 Jahren, zum ersten Mal öffentlich aufgetreten ist, war kein Genie, aber er ist jahrzehntelang einer der größten Entertainer gewesen. 1965 hat Radio Bremen ihn von Holland nach Deutschland geholt.

Der Künstler nimmt sein Ego wichtig, das Ego ist sein Material, mit all seinen Neurosen und Verirrungen. Für den Entertainer dagegen zählt nur das Publikum. Das Publikum bekommt, was es will. Der Entertainer überlässt nichts dem Zufall, nichts seinem eigenen Geschmack, nichts den Einflüsterungen der Kritiker. Er verlässt sich auf das, was sein eigener Instinkt ihm über die Instinkte des Publikums erzählt. Einen Witz, der beim Publikum nicht ankommt, erzählt der Entertainer kein zweites Mal.

Carrells Schule waren die Bierzelte, die Varietés und Kindergeburtstage in Alkmaar, bei denen sein Vater auftrat. Die Kollegen kamen vom Theater, wie Hans-Joachim Kulenkampff, oder vom Radio, wie Thomas Gottschalk und Günther Jauch, oder vom Kabarett, wie Harald Schmidt. Die jüngere Entertainer-Generation hat meistens bereits im Fernsehen gelernt. Bei ihnen gab es von Anfang an Regeln, Fernsehräte, Grenzen. Sie hatten früh gelernt, vorsichtig zu sein. Carrell aber wusste, wie es ist, dem Publikum in die Augen zu schauen. Wer 30 Millionen Leute unterhalten möchte, wie er es jahrelang schaffte, darf nicht zu viele Skrupel haben. Vor Kalauern hatte er keine Angst, ähnlich wie der frühe Woody Allen.

Zeitlebens quälte Rudi Carrell das Gefühl, die deutsche Sprache nicht perfekt genug zu beherrschen, deswegen zog er die gespielte Pointe dem Wortwitz vor. Er zog also vor Alice Schwarzer in einer Talkshow einen BH aus der Jackentasche, mit dem er sich die Stirn abwischte, er ließ in einer montierten Szene Ayatollah Khomeini mit Damenunterwäsche bewerfen. Er machte auch Schwulenwitze. Humor ist eine Grenzüberschreitung, Humor ist manchmal brachial und schmutzig, wie Sex, und die Geschmäcker sind verschieden, aber wenn du oben auf der Bühne stehst und überleben möchtest, sind alle Waffen erlaubt. Carrell trieb der deutschen Fernsehunterhaltung das Onkelhafte und Offiziöse aus, auch die Witze aus den unteren Schubladen brachte er mit Charme. Vielleicht ist er der Ahnherr der Comedy, in der das Lachen keinen politischen, pädagogischen oder kulturellen Vorwand braucht.

Wie sitzt mein Anzug? Von welcher Seite trete ich auf? Wie trete ich ab? In den ersten drei Minuten muss der erste Lacher kommen! Diese Regeln ändern sich nicht. Die Menschen ändern sich nicht. Carrell sagte: „Die Menschen sind so was von konservativ, das ist unglaublich.“

Carrell hat den perfekten Abgang inszeniert, in drei Akten. Zuerst, im Dezember, schüttete er in einer Fernsehshow Harald Schmidt ein Glas Wasser über die Hose, stumm. Da wusste schon jeder, wie es um ihn steht. Dann kam die „Goldene Kamera“ im Fernsehen, 2. Februar, Ehrenpreis fürs Lebenswerk. Carrell sah schlimmer aus als im Dezember, ein erbarmungswürdiger Anblick. Er machte ein paar todesverachtende Witze über die Krankheit, er holte sich noch einmal seine Lacher ab, dann dankte er Deutschland für seine Karriere. Die Deutschen lachen gerne, sie sind ein zutiefst humorvolles Volk, das hat Rudi Carrell oft gesagt, wahrscheinlich war es seine Überzeugung. Der Abschied wirkte nicht eitel, nicht selbstgefällig. Es war rührend, aber nicht rührselig, es war wieder einmal perfekt, der Kreis schloss sich.

Im März brachte das „SZ-Magazin“ dann sein letztes großes Interview, elf Seiten Text plus Fotos. In diesem Interview sagte er: „Ich lasse mich einäschern, dann sollen meine Kinder irgendwo einen Grabstein hinsetzen. Was soll ich trauern? Ich muss dankbar sein. Ich habe ein tolles Leben gehabt. Das Einzige, was mir Sorgen macht, ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Interviews, da es mit mir schnell bergab geht. Ich habe nichts dagegen, wenn es erst nach meinem Tod erscheint. So etwas kann man schlecht planen.“ Carrell gab damit an, dass er fast – fast! – mit Elizabeth Taylor geschlafen hat. Und: „Die Leute wollen nicht nur lachen, die wollen auch gerührt sein.“ Nur der Showmaster selbst dürfe seine Rührung eben nicht zeigen, das wäre billig. In dem gleichen Interview kritisierte Carrell, dass sein Kollege Johannes B. Kerner den Tod des Schwiegervaters zum Anlass für einen öffentlichen Tränenausbruch genommen hat.

Ein Kerner weint vor der Kamera über den Tod des Schwiegervaters. Ein Rudi Carrell weint vor der Kamera nicht einmal über den eigenen Tod. Carrells Professionalität war nicht kalt, so wenig, wie das Anfassen und Ranschmeißen bei anderen Entertainern warm ist. Carrell würde wahrscheinlich sagen: Es ist eine Frage des Respekts. Man rückt den Leuten nicht zu eng auf die Haut, damit sie sich nicht unbehaglich fühlen.

Der Interviewer fragte ihn, ob die Menschen noch lange an ihn denken werden. Carrell antwortet: „Die Menschen werden im Fernsehen Wiederholungen von mir sehen.“ An ihn denken? Nein, so weit geht er nicht.

Bei Kulenkampff fällt jedem sofort das Quiz „Einer wird gewinnen“ ein, bei Gottschalk natürlich „Wetten dass“. Carrell dagegen hat alle paar Jahre etwas Neues gemacht. Von Showideen, die nicht funktionierten, trennte er sich schnell und unsentimental. Was funktionierte? „Am laufenden Band“, ein Quiz mit einem Fließband, „Rudis Tagesshow“, die Parodie auf die Fernsehnachrichten, „Lass dich überraschen“, das Prinzip der versteckten Kamera, nur eben ins Nette und Positive gewendet, „Herzblatt“, eine Flirtshow, ganz am Ende „7 Tage – 7 Köpfe“, eine Art All-Star-Ensemble der deutschen Fernsehcomedy. Diese Ideen waren, wie Carrell meistens zugegeben hat, entweder aus dem Ausland abgekupfert, oder sie hängten sich einfach dran, an einen allgemeinen Trend der Fernsehunterhaltung. Carrell war, auf seine Art, wirklich ein extrem bescheidener Mann. Er legte keinen Wert darauf, als originell, geschmackvoll oder kulturell wertvoll zu gelten. Er legte lediglich Wert darauf, immer die richtige Nase gehabt zu haben.

Pro Tag rauchte er mindestens drei Päckchen Zigaretten, vor einer Show aß er eine Woche lang fast nichts, danach trank er die ganze Nacht Bier. Er wusste, dass so etwas nicht ewig gut geht. Seine langjährige Ehefrau Anke ist vor ein paar Jahren gestorben, zur allgemeinen Überraschung heiratete er kurz danach nicht Susanne, seine fast ebenso langjährige Geliebte, sondern Simone, eine relativ neue Bekanntschaft. Als bald darauf bei Susanne ein Gehirntumor festgestellt wurde, begleitete er ihr Sterben vier Monate lang. Vor ein paar Monaten begann Rudi Carrell, Blut zu husten.

Den Tod hielt er bis kurz vor dem Ende der Fußball-WM in Schach, als ob er den Deutschen den Spaß an ihrer Party nicht verderben wollte. Und ist die Fußball-WM etwa nicht die letzte, große Bestätigung seiner These gewesen – die Deutschen lachen gern?

Er wurde 71 Jahre alt. So professionell wie Rudi Carrell ist noch keiner gestorben.

Rudi Carrell , am 19.12.1934 im niederländischen Alkmaar als Rudolf Wijbrand Kesselaar geboren, sprang erstmals mit 17 in einem Gastspiel für seinen Entertainer-Vater ein. Ab Mitte der sechziger Jahre arbeitete er bei Radio Bremen , seitdem prägte er als Showmaster die deutsche Fernsehunterhaltung. Zu seinen populärsten Sendungen gehörten Am laufenden Band und „Rudis Tagesshow“.

Am Freitag starb Rudi Carrell 71-jährig an Lungenkrebs. Die Beisetzung fand auf Wunsch des Verstorbenen am Sonntag im engsten Familienkreis statt.

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