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Kultur: Der letzte Sprung

Abschiedsblick auf eine Legende: Die Cunningham Dance Company gastiert mit ihrer Legacy Tour in der Berliner Akademie der Künste

Fast neunzig war Merce Cunningham, als er sein letztes Bühnenstück vollendete, „Nearly 90“, kurz vor seinem Tod 2009. Ein eloquentes, vor Weisheit strotzendes Alterswerk, die ‚Summe seines gesamten Schaffens' ist die an seinem 90. Geburtstag uraufgeführte Produktion dennoch nicht geworden. Eher ein letztes Glanzlicht oder besser: Irrlicht, das vorführt, wie hier einer überhaupt nichts mehr beweisen musste. Nicht sich selbst, nicht den Zuschauern, nicht der Tanzwelt.

Die von allem aufwändigen Bühnenbild befreite, etwas verkürzte Tourversion „Nearly 902“ , die seit bald zwei Jahren um die Welt reist und mit der die Companie nun auch ein letztes Mal in Berlin gastiert, hinterlässt den Eindruck eines etwas absurden, leicht neben der Spur verfassten Stücks, in dem die eigentlich so virtuosen Cunningham-Tänzer über weite Strecken wie Kunstfiguren auf dem beschwerlichen Weg zur Menschwerdung erscheinen. Vor einem erst schwarzen, dann sich immer weiter ins warme Licht öffnenden Hintergrund erlebt der Zuschauer 80 Minuten lang postmoderne Exerzitien, ausgeführt von Sci-Fi-Gestalten aus einer Zeit, in der Computerbilder noch ruckelten und stets etwas unbeholfen wirkten.

Die 13 Tänzer kommen und gehen, Auf- und Abtritte geschehen wie nebenbei. Gekleidet in geschlechtsneutrale Ganzkörperanzüge, deren Silhouetten von stümperhaft angebrachten Schärpen verhunzt werden, verharren sie in klassischen Positionen, den Oberkörper weit nach hinten oder scharf zur Seite gebogen, allein, zu zweit, in kleinen Gruppen. Ein Bein im stumpfen Winkel angehoben, den Körper diagonal in den Raum gekippt, gestützt von der Schulter des Nächsten. Trippelschritte, Arme gestreckt, flüchtige Wendungen, klitzekleine Sprünge – so geht das in einem fort, mal bedächtig-langsam, mal in unverständlicher Eile.

Es sind vielfach kombinierbare Bewegungssequenzen, die trotz ihrer Unvorhersehbarkeit einer einfachen Mechanik unterworfen scheinen. Manchmal, wenn Stille sich Bahn bricht und alles sehr verlangsamt wird, denkt man an Aufstellungen aus einem Lehrbuch, dessen Sinn sich trotz aller Anschaulichkeit einfach nicht entschlüsseln lassen will.

Zu alledem knurpseln, quietschen, klingeln, zischen, fauchen, schrillen, knispern, klackern, summen und stammeln die Klänge des Komponistenduos John Paul Jones und Takehisa Kosugi. Letzterer sitzt mit David Behrmann im Orchestergraben; sie entlocken ihren Violinen Töne, die im Ohr ziehen und der seltsam anmutenden, von Bewegung erfüllten Leere einen zusätzlichen akustischen Raum verschaffen.

Stilistisch ist „Nearly 902“ zwischen Abstraktion und Parodie angesiedelt, ein Dazwischen, das mit dem Unpassenden spielt und dabei ganz unangepasst daherkommt. Manches ist auch unfreiwillig komisch, das Nachjustieren der Positionen, die kleinen Unsicherheiten, die angespannte Konzentration. Cunninghams frühere Formstrenge löst sich zwar nicht vollständig auf, wird aber ihrer gewohnten Eleganz und Flüssigkeit beraubt. Ein Hauch von Ironie liegt über der Choreografie – getanztes Dada in postmodernem Gewand.

Das verwundert insofern, als in der Tanzwelt kaum je so viel über Erbe und Vermächtnis räsoniert wurde wie in Bezug auf das riesige Œuvre Cunninghams. Er, der zusammen mit dem Komponisten John Cage die Hierarchie der Künste, besonders die von Tanz und Musik aufhob und den Zufall zum Prinzip erhob, hat am Ende seines Lebens nichts dem Zufall überlassen. Die Nachlassverwaltung der flüchtigsten aller Künste legte er akribisch fest: Kein anderer Choreograf dürfe je für seine Company arbeiten, stattdessen solle sie sich nach einer zweijährigen Abschiedstournee um die Welt auflösen – was Ende dieses Jahres auch geschehen wird. Fortan werden Überbleibsel und Bausteine der Inszenierungen – Videoaufnahmen, Probendokumentationen, Lichtpläne, Kostümentwürfe – in einem digitalen Archiv gesammelt und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, den so genannten dance capsules.

Ein allerletztes Erlebnis aus erster Hand versprechen nur noch die beiden Abende Anfang nächster Woche, an denen drei rekonstruierte Produktionen Cunninghams gezeigt werden, darunter „Suite for Five“ (1956 - 1958) und „Antic Meet“ (1958). Das Abstrakte und das Parodistische, das Verspielte und Experimentelle sind in diesen alten Arbeiten bereits in nuce vorhanden. Sie bezeugen einmal mehr Cunninghams große Non-Konformität, die er sich bis zum Schluss bewahrt hat.

Letzte Cunningham-Programme: 26., 27. 9., Studio der AdK, 20 Uhr

Elisabeth Nehring

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