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Kultur: Der letzte Sultan

Swingender Faxenmacher: Zum Tod des großen Jazz-Musikers Lionel Hampton

Von Christian Schröder

Im Lauf eines Jahrhunderts hat der Jazz einen erstaunlichen Weg zurückgelegt: von den Rotlichtlokalen von New Orleans in die Carnegie Hall, aus den Kellern und von der Straße in die Gediegenheit holzgetäfelter Philharmonien. Was dabei auf der Strecke blieb, ist die archaische Kraft dieser Musik, eine wilde Schönheit, die unter den Synkopen verborgen liegt.

Lionel Hampton ist fast siebzig Jahre lang durch die Konzertsäle dieser Welt getourt, immer korrekt im Zweireiher mit Krawatte und Einstecktuch, und die Stücke, die er spielte, stammten von seriösen Komponisten wie Gershwin, Cole Porter oder Irving Berlin. Doch domestizieren lassen hat er sich nie. Auf sein Klavier hämmerte er im Zweifingerstil ein, mit aufgerissenem Mund und heraushängender Zunge sprang er zwischen Schlagzeug und Vibraphon hin- und her, und die Musiker seiner Big Band ließ er gerne in wogenden Prozessionen einmarschieren. Hampton war ein Show-Man, neben Cab Calloway der größte Entertainer, den der Jazz hervorgebracht hat. Einen „Berserker“ und „Voodoo-Magier“ haben sie ihn genannt, der „einen wilden Rhinozerus ähnlich durch seine Stücke preschte“ (Michael Naura). Dabei ging es Hampton gar nicht so sehr um die Außenwirkung, es war schiere Spiellust, die aus seinem Bühnengebaren sprach. „Als ich ein Junge war, wollte ich immer eine Show machen. Ich mochte es schon immer, Verbeugungen zu machen“, hat er gesagt. Am Samstag ist Lionel Hampton, der letzte große Sultan des Swings, mit 94 Jahren in einem Krankenhaus in Manhattan gestorben.

Hampton war, das wird bei seinem Talent zum Faxenmachen gerne vergessen, ein bedeutender Musiker. Er selbst hielt sich bescheiden für den „schnellsten Trommler des Jazz“ und hatte damit vielleicht sogar recht. Schlagzeuger ist er im Grunde auch am Vibraphon gewesen, sein Spiel blieb immer ungestüm und perkussiv. Das Vibraphon, dieses in den zwanziger Jahren erfundene Wägelchen mit seinen vornehm wabernden Metallplättchen, wurde überhaupt erst durch ihn in die Familie der Jazz-Instrumente eingeführt. Hampton, 1908 in Louisville/Kentucky geboren, war schon als junger Twen in die Band von Les Hite aufgestiegen, die im Los Angeles Cotton Club auftrat. Louis Armstrong kam in die Stadt und holte ihn zu Plattenaufnahmen. Den Durchbruch schaffte er mit Benny Goodman, in dessen Quartett er ab 1936 mit Gene Krupa und Teddy Wilson eine Supergroup des frühen Jazz bildete. Hampton war auch dabei, als das Benny Goodman Orchestra am 16. Januar 1938 in der New Yorker Carnegie Hall spielte und der Jazz damit endgültig im Olymp angekommen war. Den Niedergang der Swing Ära nach dem Zweiten Weltkrieg überstand er, indem er seine Big Band auf eine „Inner Circle“-Besetzung verkleinerte. Und die Tantiemen aus Hits wie „Flying Home“, „Air Mail Special“ und „Hamp’s Boogie Woogie“ versiegten nie. Noch 1992 gab Hampton beim Berliner Jazzfest ein umjubeltes Konzert.

Fünf Jahre später erlebte er die für einen Musiker größtmögliche Tragödie. Bei einem Feuer in seinem New Yorker Apartment verlor Hampton sein Hab und Gut. Dabei verbrannten Dankesschreiben aller US-Präsidenten seit Roosevelt – und sein Vibraphon.

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