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Mordshunger. Die von den Nomaden gefürchteten und verehrten Raubtiere kurz vor dem Angriff.

© Wild Bunch

"Der letzte Wolf" von Jean-Jacques Annaud: Die Versklavung der Götter

Jean-Jacques Annauds Naturdrama „Der letzte Wolf“ erzählt vom Raubbau an der mongolischen Steppe.

Mit Tieren kann er. Das hat der große Naturverherrlicher Jean-Jacques Annaud schon häufiger gezeigt. In „Der Bär“ (1988) erzählte er von der wundersamen Freundschaft zwischen einem jungen Grizzly und einem ausgewachsenen Kodiakbären und in „Zwei Brüder“ (2004) vom Schicksal zweier Tiger, die als Jungtiere durch Menschen getrennt werden und erst viele Jahre später wieder zusammenfinden.

Nun hat der Franzose einen weiteren großen Beutegreifer am Wickel: den Wolf. Er ist ein in Menschheitsgedächtnis und Kulturgeschichte mythologisch mindestens so aufgeladenes Raubtier wie der Bär. Und als soziales Wesen und kluger Jäger prädestiniert, als besserer Mensch inszeniert zu werden, so wie Annaud das auch in „Der letzte Wolf“ wieder macht.

Der wiederum konnte mit Chinesen bislang eigentlich nichts anfangen. China hatte dem Regisseur Ende der Neunziger als Reaktion auf seine filmische Heinrich-Harrer-Eloge „Sieben Jahre in Tibet“ eigentlich ein lebenslanges Einreiseverbot erteilt. Umso überraschender, dass ausgerechnet er mit der Verfilmung des autobiografischen Romans „Der Zorn der Wölfe“ von Lü Jiamin betraut wurde. Das Buch erreichte seit seinem Erscheinen 2004 eine Auflage von 20 Millionen und gilt als das nach der Mao-Bibel meist verkaufte Buch des Landes.

Die Wölfe sind Himmelsboten

Das dort ausgerechnet die Geschichte einer doppelten Unterwerfung – von Nomaden wie Natur – so viel Aufmerksamkeit findet, zeugt vom tiefen Unbehagen vieler Chinesen über den mit dem Wirtschaftswachstum verbundenen Raubbau an der Natur. Und offensichtlich hält die Filmindustrie die Zeit für gekommen, den ebenso wie den Umgang mit den Ethnien des Landes zu thematisieren. Zumindest wenn die Geschichte an die 40 Jahre zurück liegt.

Der in 3D gedrehte „Letzte Wolf“ spielt 1967, also im zweiten Jahr der Kulturrevolution. Die Kommunistische Partei entsendet Pekinger Studenten in die Weite der Inneren Mongolei, um den Hirtennomaden Lesen, Schreiben und Zivilisation beizubringen. Doch nicht lange, und Chen Zhen (Shaofeng Feng) und Yang Ke (Shawn Dou) sind es, die vom knorrigen Ältesten Bilgi (Basen Zhabu) lernen – den Respekt vor der Natur, den Glauben an den Himmelsgott Tengri, dessen Boten die Wölfe sind, und das ewig alte Gleichgewicht, in dem Menschen, Wölfe, Schafe und Gazellen im majestätischen Grasland leben. „Du fängst einen Gott und machst ihn zu einem Sklaven“, schilt Bilgi Chen Zhen, der so fasziniert von den Wölfen ist, dass er einen Welpen aufziehen möchte.

Die Koexistenz geht so weit, dass die Wölfe es den Mongolen nicht verargen, dass sie sich an ihrer Jagdbeute bedienen. Die haben die Tiere in Gestalt einer Gazellenherde in einen Schneesee getrieben und schockgefroren. Erst als der chinesische Parteikommissar anordnet, das Fleischlager komplett zu plündern und im Frühjahr Wolfswelpen zu töten, schlagen die hungrigen Raubtiere zurück. In einer Sturmnacht greifen sie eine Herde von Miliärpferden an, die die Chinesen den Mongolen in Obhut gegeben haben. Diese unter einem sich stetig verdunkelnden Wolkenhimmel inszenierte atemlose Hetzjagd ist der spektakuläre Höhepunkt des Landschaftspanoramen wie Jurtenintimität weidlich in Szene setzenden Films.

Die Distanz zwischen Kultur- und Naturwesen bleibt

Bei der Darstellung der eigens für den Film aufgezogenen Wölfe, ist es allerdings weniger die Stereoskopie, die beeindruckt, sondern ganz altmodische Slowmotion, verbunden mit Computereffekten, die die Mimik und ständig in Bewegung befindliche Fellstruktur der Tiere betonen. Wobei Annaud weder den Fehler macht, die Wölfe mit Hunde-Kuschelfaktor zu verniedlichen, noch mit Totemtier-Zauber zu beweihräuchern. Selbst im innigen Verhältnis zwischen Chen Zhen und seinem Welpen bleibt die Distanz zwischen Kultur- und Naturwesen immer sichtbar, immer spürbar. Das letztere deutlich besser wegkommen, liegt nicht nur an der schwarzweiß malenden Geschichte, sondern auch an den dünn gezeichneten Charakteren.

Unfreiwillig komisch wird das, wenn in besagter Sturmnacht, als Wölfe rennen, Pferde flüchten und Menschen sie zu retten trachten, der unterm Pelz hervor blitzende Schenkel einer schönen Mongolin Chen Zhens erwachende erotische Wünsche einführt. Und Szenen wie die „Selbstmorde“ der mit Autos und Gewehren gehetzten Wölfe oder die himmlische Erscheinung eines getöteten Wolfs als lächelndes Wolkengebilde sind von James Horner sinfonisch veredelter Kitsch. An Naturfreunds Herz geht „Der letzte Wolf“ trotzdem. Auch an den Verstand. Im Sinne des guten alten Slogans der Ökobewegung: Erst stirbt die Natur, dann stirbt der Mensch. Gunda Bartels

Cinemaxx Potsdamer Platz, Titania Palast, Filmkunst 66, Kino in der Kulturbrauerei, Thalia, Colosseum, OmU: Hackesche Höfe

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