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Rampe und Ringelpiez. Heidi Stober (im roten Kleid) als Adina, Dimitri Pittas (l.) als Nemorino.

© dpa

"Der Liebestrank" an der Deutschen Oper: Als Placebos noch halfen

"Der Liebestrank" gilt als Geniestreich von Gaetano Donizetti. Irina Brook serviert ihn jetzt an der Deutschen Oper eher lauwarm.

Die Erlösung, wenn so ein wagnerianischer Begriff bei Donizetti gestattet ist, kommt nach ungefähr einer halben Stunde. Bis dahin: eine Durststrecke. Sie setzt gleich mit den ersten Taktschlägen Roberto Rizzi Brignolis am Pult der Deutschen Oper ein. Gedeckelt hört sich dieser „Liebestrank“ an, tastend und leise, als läge eine Bleiweste um die Musik, wie Patienten sie beim Röntgenarzt anziehen müssen. Die Tempi: quälend langsam, kaugummiartig, stickig. Eigentlich, denkt man, sollte ja nicht viel schiefgehen bei einem Renner wie der „Liebestrank“-Partitur, Donizettis Geniestreich, angeblich in zwei Wochen aufs Papier geworfen.

Geht aber offenbar doch. Brignoli liegt meist daneben, trifft selten den Charakter einer Nummer, bremst, wo er das Tempo anziehen müsste, treibt plötzlich und unmotiviert zum Rennen an bei einer Kantilene, die ausgekostet sein will. Was da aus dem Graben dringt, klingt unerträglich brav und scheu. So viel immerhin stellt Brignoli klar: Ein Italiener am Pult ist kein Garant für Italianità, was immer wir uns in Deutschland auch darunter vorstellen. Auch eine Erkenntnis.

Doch der Abend hat viele Probleme. Der sonst so famose Chor (Thomas Richter) rennt dem Dirigenten immer wieder mal davon und singt, darin dem Orchester ebenbürtig, keusch bis zur Demut. Allerdings fügt er sich damit auch in die betuliche Sichtweise von Regisseurin Irina Brook, die das Stück statt in dem Dorf, wo das Libretto ursprünglich angesiedelt ist, im Schaustellermilieu spielen lässt. Adina (Heidi Stober) ist hier die Chefin der Truppe. Stober trägt Haubenfrisur und Liselotte-Pulver-Lächeln und könnte ganz einer Waschmittelwerbung der 60er Jahr entsprungen sein. Als Figur bleibt sie ebenso unantastbar, aseptisch, rein, stimmlich dafür eher unscheinbar. So wie Simon Pauly als Offizier Belcore, der Adina allein durch seine Uniform ins Bett kriegen will. Pauly scheint sich selbst zu wundern, wie er zu der Rolle gekommen ist, er besitzt das Drohpotenzial eines Kaninchens.

Nicolai Alaimo als Dulcamara: Endlich einer, der mit Schmackes singt

Und Dimitri Pittas als Nemorino? Der gibt stimmlich sein Bestes, singt mit einem Tenor voll Anmut, Verletzlichkeit, Tiefe. Darstellerisch versucht er aber viel zu deutlich, einer Schablone zu genügen, eine Erwartung zu erfüllen, was diese Figur zu sein hat: nämlich ein schüchterner Landjunge (sein Name bedeutet „kleiner Niemand“), der allein durch den Placebo- Effekt des vermeintlichen Liebestranks, der ja nicht anderes ist als ein Bordeaux- Wein, zum unwiderstehlichen Lover wird. Weil Pittas nicht bereit ist, darüber hinaus etwas zu investieren, mehr von sich selbst zu geben, bleibt er im Holzschnitthaften stecken – aus dem er sich auch in seiner großen Arie „Una furtiva lagrima“ („Eine verstohlene Träne“) nicht befreien kann.

So weit, so schlecht. Und während man dürstet nach einem Gedanken oder auch nur einem Witz, tritt die erwähnte Erlösung von der linken Seitenbühne auf, in Gestalt von Nicolai Alaimo als Quacksalber, Scharlatan und Rattenfänger Dulcamara. Der Mantel ist mit glitzernden Knöpfen und Aufschlägen besetzt, sein Bärenbass gurgelt, das „r“ gröhlt: endlich einer, der mit Schmackes singt. Und seinen prachtvollen Schmerbauch vor sich herträgt, als sei’s ein zweiter Darsteller. In Leibesfülle erinnert Alaimo etwas an den späten Pavarotti, aber um wie viel galanter, agiler tänzelt er über die Bühne, wickelt alle ein, verkauft ihnen, wie ein Missionar, vor allem eines: Rezepte, an die sie glauben können. Als Einziger in dieser Produktion scheint er begriffen zu haben, was Donizetti (zumindest im „Liebestrank“) braucht, um zu funktionieren: Karikatur, Übertreibung, Grenzgängertum, hemmungslose Spielfreude, Rampensäue.

Gerade durch seine Präsenz macht Alaimo deutlich, woran es eigentlich fehlt. Wer sich entschließt, „Liebestrank“ so klassisch-konservativ zu inszenieren, wie es Brook tut, braucht echte Sänger- Darsteller. Mit Rumstehtheater und Abziehposen ist da nicht viel gewonnen. Fahrendes Volk, Heimatlosigkeit, Entwurzelung, dieses Konzept hätte einiges bringen können, gerade im „Liebestrank“, der ja alles andere ist als eine reine Buffa. Die Kulisse aus einer Bretterbühne und drei altertümlichen Wohnwagen (Bühne: Noëlle Ginefri) bleibt aber genau das: Schmuck, Dekor, in dem das Geschehen ohne große Überraschung seinem Ende entgegentändelt. Mit einer Fröhlichkeit, aus der kein Funke überspringen mag, die steril bleibt, behauptet und aufgetaut.

Wieder am 30. April sowie am 3., 8. und 10. Mai, jeweils 19.30 Uhr

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