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Kultur: Der Lotse steht zu seinem Wort

Bilanz des Baudirektors: Hans Stimmann blickt auf Erfolge und Misserfolge bei der Neugestaltung Berlins

Die Schlachten sind geschlagen. Einen Sieger gibt es nicht. Den Truppen ist weniger die Munition ausgegangen als der Nachschub. Der Kampfplatz – Berlin – blieb zwar nicht, wie er war; die Stadt wurde aber auch nicht, was die Investoren auf der einen und der Senatsbaudirektor auf der anderen Seite jeweils aus ihr machen wollten. Mittlerweile fehlt es schlichtweg am Geld. Die Investoren wollen nicht mehr, die Stadt kann schon lange nicht mehr – so bleibt Berlin, mit dem unzählige Male zitierten Wort Karl Schefflers von 1911, „verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein“.

Hans Stimmann, der sich auf dem Höhepunkt des Kampfgetümmels um die Filetgrundstücke der Stadt zu Beginn der Neunzigerjahre stolz einen „mächtigen Mann“ nannte und damit das Wutgeheul seiner Gegner heraufbeschwor – Hans Stimmann biegt in die Kurve der Altersweisheit ein. Noch immer ist er Senatsbaudirektor, eine Konstante im Berliner Politikpersonal, wie es sie kein zweites Mal mehr gibt. Wechselnde Koalitionen hat der in der Wolle gefärbte Sozialdemokrat überstanden, dabei sein Lieblingsamt zwischenzeitlich auch einmal an die CDU abtreten müssen, ohne darum nennenswert an Einfluss zu verlieren. Er war mächtig, solange die Stadt etwas zu vergeben hatte, ob Grundstücke oder Baugenehmigungen. Doch der gestalterische Spielraum schwand mit den finanziellen Nöten, in denen das Land Berlin versank, ebenso wie mit dem Verblassen all der schönen Prognosen, die das vereinte Berlin zur Supermetropole hochjubelten.

Zeit also, eine Bilanz zu ziehen von 15 Jahren Bau- und Planungstätigkeit seit dem 3. Oktober 1990, da Ost und West zusammenkamen und mühsam und holprig, doch für jedermann fasslich in Gestalt frisch geteerter Straßen und verschweißter Schienenstränge zusammenwuchsen. Es begann die Goldgräberzeit der Stadt. Es begann der Kampf um die Stadtplanung Berlins.

Darüber gibt Hans Stimmann im Herbst seiner am 10. April 1991 begonnenen Amtszeit Auskunft – in einem respektheischenden Buch, das er zusammen mit dem Kritiker und Bauhistoriker Martin Kieren verfasst und mit Aufnahmen des stets in noblem Schwarzweiß arbeitenden Fotografen Erik-Jan Ouwerkerk illustriert hat. Das Buch, so Stimmann vorweg, sei „kein weiterer Architekturführer“ und „vor allem auch kein Rechenschaftsbericht des Senatsbaudirektors“ – doch genau das ist es. Denn es zeigt, so Stimmann über sich in der dritten Person, den „Blick eines Mitentscheiders“, der „versucht hat, die Nachwendegeschichte Berlins zu steuern“. Zu „steuern“!

Tatsächlich werden künftige Historiker Mühe haben, die Namen der vorgesetzten Senatoren überhaupt nur zu erinnern – denn gesteuert, und zwar in einem erstaunlichen Maße, hat Stimmann. Die Koppelung der Grundstücksvergabe an die Berücksichtigung von Architekturwettbewerben führte zu jener Einheitlichkeit des „steinernen Berlin“, für die die Neubauabschnitte der Friedrichstraße beispielhaft wurden. Dass Stimmann einen closed circle schmiedete, in dem die Juroren von gestern zu den erwählten Architekten von heute wurden und umgekehrt, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Treuherzig wurde an der Fiktion des anonymen Wettbewerbs festgehalten – mit dem Ergebnis, dass alle Architekten, die die Stimmansche Doktrin von Blockrandbebauung, Lochfassade, Traufhöhe und Steinfassade befolgten, irgendwann einmal zu lukrativen Aufträgen kamen. Das heißt nicht, dass Leichen seinen Weg gepflastert hätten: Denn selbst die widerspenstigsten Anti-Traditionalisten wie Daniel Libeskind erhielten respektable Aufträge. Immerhin wurden allein in den ersten fünf Jahren nach der Wiedervereinigung mehr als 200 Wettbewerbe abgehalten.

Was ist nicht alles zugleich oder einander zeitlich überschneidend entschieden und gebaut worden! Am Anfang standen die Investorenträume, mächtig befeuert von den Medien, die sich in nie gekannter Intensität um das Baugeschehen kümmerten. Mit einem Mal stand das Leitbild der „europäischen Stadt“ im Raum – vage genug, dass jeder das Gewünschte hineingeheimnissen konnte. Zumindest als Gegenbild zur „amerikanischen“ Rendite- Stadt war es jedermann verständlich – wo doch Anfang der Neunziger die Träume von einem Hochhaus-Berlin nur so in den Himmel schossen. Stimmann zog die Giftpfeile der Widersacher auf sich: „Da sich diese Machtfrage an den Senatoren und besonders an Amt und Person des Senatsbaudirektors, der als Widerpart zu den individuellen Interessen der Stararchitekten und der potenten Investoren galt, wunderbar festmachen ließ, waren alle Bedingungen für ein öffentliches Showdown gegeben.“

Kampflärm von gestern. Was heute aus dem märkischen Sand sich erhebt, ist längst dem Streit enthoben. Rügt irgend ein Tourist das merkwürdige Gegeneinander von stahlgläsernem Sony-Komplex und steinseliger Daimler-City am Potsdamer Platz? Erinnert sich jemand an die Debatte um die Nutzung historischer Bauten für Hauptstadt und Regierung? Zieht irgend ein Passant die Stirne kraus, weil ihm das Kanzleramt oder der gläsern überkuppelte Reichstag, die gewaltigen Bundestagsbüros oder überhaupt das „Band des Bundes“ zu groß, zu protzig, zu auftrumpfend dünken?

Da freilich kommen andere Akteure ins Spiel, Bundesregierung und Bundestag nämlich, die sich in eigener Vollmacht für das heutige Erscheinungsbild Berlins wohl am nachhaltigsten prägend entschieden. Wenn es so etwas wie die „Berliner Republik“ gibt, dann ist sie am ehesten auf den wohl gestalteten Rasenflächen inmitten dieser Zentralbauten zu erspähen. Von dort gleitet der Blick hinüber zum größten, auf jeden Fall teuersten Bauwerk: dem künftigen Hauptbahnhof. Nur mit Bitterkeit kann Stimmann über die Niederlagen schreiben, die er im Kampf um architektonisch gestaltete Verkehrs- und Infrastrukturbauten erlitten hat, zumal gegen die störrische Immer- noch-Behörde Bundesbahn. Es sei, bilanziert er, „offensichtlich leider auch der Ehrgeiz verloschen, der Renaissance der Eisenbahn angemessenen architektonischen Ausdruck zu verleihen“.

Welche polit-moralische Grundierung Stimmann leitet, verrät die Kapiteleinteilung seines Bilanz-Buches: Da stehen nämlich die „Projekte der Mahnung, des Gedenkens und der Erinnerung“ an allererster Stelle. Hat der Begründer des „steinernen Berlin“ stets die Tradition der Stadt, und sei sie nur mehr an Straßenverläufen und leergeräumten Parzellen zu erahnen, als machtvolles Argument für Bewahrung und „kritische Rekonstruktion“ der europäischen Stadt ins Feld geführt, so zeigt sich dieses stadtplanerische Geschichtsbewusstsein hier in seiner politischen Dimension. ’68 lässt grüßen – die damals erhobene Forderung, sich der deutschen Geschichte und ihrer Untaten zu stellen, hat in der Berliner Gedenklandschaft eine unvergleichlich dichte Ausprägung gefunden. Niederlagen inbegriffen: Weder die kurz vorm Finanzdebakel abgebrochene „Topographie des Terrors“ noch die kleinmütige „Mauergedenkstätte“ an der Bernauer Straße sind Ruhmesblätter.

Berlin ist nicht fertig. Es wird weiter gebaut. Aber die Grundlinien sind gezogen, die das Stadtbild auf Jahrzehnte prägen werden. Und siehe, es ist nicht alles schlecht geworden.

Hans Stimmann, Martin Kieren: Die Architektur des neuen Berlin. Mit Fotografien von Erik-Jan Ouwerkerk. Nicolai Verlag, Berlin 2005. 512 Seiten, 69,90 €

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