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Kultur: Der Maestro zürnt

Staatsopernbesucher werden sich über das ungewohnte Schauspiel gewundert haben. Gerade will Maestro Daniel Barenboim nach der zweiten "Walküre"-Pause den Applaus des Publikums entgegennehmen, da treffen ihn einige gut fokussierte Buhs.

Staatsopernbesucher werden sich über das ungewohnte Schauspiel gewundert haben. Gerade will Maestro Daniel Barenboim nach der zweiten "Walküre"-Pause den Applaus des Publikums entgegennehmen, da treffen ihn einige gut fokussierte Buhs. Der Maestro bittet um Ruhe, wendet sich an die Rufer, lädt sie mit dem Hinweis auf ihre sehr schönen Stimmen zum Vorsingen ein. Warum bringen einige Buhrufer den berühmten Musiker und Bayreuth-erfahrenen Dirigenten so sehr aus der Ruhe? Als sich aus dem Publikum Unmut gegen das Verhalten des Maestro regt, fordert er die Unzufriedenen auf, das Haus zu verlassen mit dem Hinweis, der dritte Akt der "Walküre" werde gewiß nicht besser ausfallen als die vorhergegangenen.

Bis dahin war der Staatsopern-"Ring" ein triumphaler Erfolg. Nicht zuletzt das grandiose Wagner-Ensemble aus Hausmitgliedern und ständigen Gästen sorgte für gesanglichen Genuß. René Pape stattet den verliebten Fasolt mit berückendem Legato aus und läßt seinen Hunding von untergründiger Aggressivität vibrieren. Anne Schwanewilms liebt als Sieglinde sehnsüchtig strahlend und verrät die Figur auch im dritten Akt der "Walküre" nicht an hysterisches Überagieren. Sie alle werden jedoch überragt von Deborah Polaskis Brünnhilde. Mit den Jahren hat ihre bezwingende Deutung der starken Frau ungeheure Tiefe gewonnen. Polaski ist das Kraftzentrum der Aufführung, faszinierend in jeder Sekunde. Auch Falk Struckmann hat über die Jahre als "Rheingold"-Wotan an Statur gewonnen, selbst wenn er im "Siegfried" wieder in Manierismen verfällt.

Warum also die verbitterte Fehde zwischen Barenboims Anhängern und seinen Widersachern? Struckmann mußte im "Rheingold" Melodiebögen unelegant abbrechen, weil Barenboim schroff das Tempo wechselte. Gegen Ende des ersten Aktes der "Walküre" brachte er seinen Siegmund Poul Elming in Schwierigkeiten, weil er überraschend das ohnehin flotte Tempo noch einmal anzog und damit dem Sänger den Atem abschnitt. Elming hatte zwar Schwertmonolog und "Wälse"-Rufe tadellos überstanden, konnte jedoch das "Wälsungenblut" kaum bewältigen.

Diese Überraschungen, die vielgepriesene Spontaneität Barenboims, führen bei allen Sängern dazu, daß sie geradezu zwanghaft auf das Dirigentenpult starren müssen, um nur ja keine Wendung zu verpassen. Besonders auffällig ist dieser starre Blick bei Siegfried Jerusalem, der seine Rolle durch große Bühnenerfahrung doch traumwandlerisch sicher beherrschen sollte. Schon als Loge im "Rheingold" konnte er seine Stimme kaum vorteilhaft zur Geltung bringen. Als Siegfried jedoch läßt er ganze Passagen weg, erfindet den Text teilweise neu, folgt nur ungefähr dem Tonhöhenverlauf der Partitur.

Auch die Staatskapelle kann ihre musikalischen Qualitäten kaum zeigen, denn Barenboim begibt sich mit seiner Interpretation in problematisches Gelände. Immer wieder bricht er Leitmotive aus dem symphonischen Fluß heraus, reißt sie aus ihrem Bedeutungszusammenhang. Der Blechbläserakzent nach "dies Schwert" in Siegmunds Todesverkündigung etwa erklingt zunächst in gemäßigter Lautstärke, in der Wiederholung jedoch so laut, wie die Musiker können. Zusammenhanglos steht nun die geschmetterte Bläserattacke im Raum.

Diese eigenwillige Sichtweise entzieht dem berühmten leitmotivischen "Beziehungszauber" Wagners die Kraft. Darin allerdings trifft sich Barenboims Interpretation mit Harry Kupfers Inszenierung. Auch szenisch findet zwar im großen und ganzen alles statt, was in Libretto und Partitur steht, aber nicht immer an der von Wagner vorgesehenen Stelle. Brünnhilde ist, wenn man dem Orchester glaubt, schon längst mit Sieglinde über alle Berge, während sie in dieser Produktion noch Schwertsplitter sammelt. So entwerten Szene und Orchester sich gegenseitig. Hinzu kommt die mangelnde Präzision des Orchesters. Immer wieder zersplittert dem Dirigenten das Zusammenspiel. Besonders die Blechbläser setzen ungenau ein, vor allem im "Rheingold" wird gepatzt. Aber auch in "Walküre" und "Siegfried" erinnern allenfalls die Streicher an die Klangschönheit jener Orchester, mit denen sich die Staatskapelle gerne vergleichen läßt. Dadurch verliert dieser "Ring" an harmonischer und rhythmischer Struktur, an Farbe und Atmosphäre. Es wird nicht recht klar, was Daniel Barenboim mit der Musik eigentlich sagen will. Ob er es selber noch weiß? Oder denkt er nur noch an die Philharmoniker? Die Buhrufer haben einen wunden Punkt getroffen.

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