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Kultur: Der Magier

Zum 70. Geburtstag des Künstlers Jannis Kounellis

„Der Künstler-Alchimist“, schrieb der italienische Kunstkritiker Germano Celant 1969 in seinem Sammelband „Ars Povera“, verwandelt „Lebendes und Pflanzliches“ in „magische Fakten“, um den „wunderbaren Wert der Elemente der Natur“ zu entdecken. Zwei Jahre zuvor hatte in der Galleria La Bertesca in Genua eine Ausstellung stattgefunden, die erhebliches Aufsehen erregte und bis heute als Geburtsstunde der arte povera, der „armen Kunst“ gilt. Was die beteiligten Bildhauer – darunter Mario Merz, Michelangelo Pistoletto, Giulio Paolini und Alighiero Boetti – miteinander verband, war die von vielen als provokant empfundene Vorliebe für betont „unkünstlerische“ Materialien wie rohe Feldsteine, altes Holz oder ausrangierten Hausrat.

Unter den „Arte Povera“-Künstlern von Genua befand sich auch der in Piräus geborene, in Rom lebende Jannis Kounellis, der bald zu einem der bekanntesten Vertreter der neuen Kunstrichtung werden sollte. Wie nur wenige andere verstand es Kounellis, die von Celant beobachteten „magischen Fakten“ Wirklichkeit werden zu lassen. Er kombinierte banale, alltägliche Gegenstände derart kunstvoll, dass sie tatsächlich eine Metamorphose durchliefen: von unbeachteten, nichtssagenden Einzelteilen zur auratisch aufgeladenen Summe. Kounellis’ Materialarrangements und Installationen wirken, darin den Arbeiten von Joseph Beuys ähnlich, immer irgendwie bedeutsam und sinnschwer – allerdings ohne dass man klar definieren könnte warum. Auf diese Weise schafft Kounellis eine Kunst der Andeutungen und vagen Hinweise, die manchmal auch in Sackgassen enden. Ähnlich wie Beuys präsentierte Kounellis auch Performances, etwa 1969 in der Galleria L’Attico in Rom, wo er erstmals Pferde zu Ausstellungsobjekten erklärte.

Die Fähigkeit, einfache Dinge kompliziert und rätselhaft erscheinen zu lassen, zeigte sich bei Kounellis schon früh. In der Sammlung des Museum of Modern Art in New York etwa befindet sich ein aus dem Jahr 1959 stammendes Set Zeichnungen, die auf eine große Leinwand gezogen sind und auf denen sich nichts weiter als Striche, Kreuze, Pfeile sowie die Zahlen 7 und 33 befinden. Obwohl man als Betrachter sehr wohl weiß, dass dies gerade keine eindeutig identifizierbare Botschaft sein soll, ertappt man sich immer wieder bei dem Versuch, dem Ganzen möglichst doch noch einen Sinn zu geben. So dräut es bei Kounellis ein ums andere Mal, und stets lässt er sein Publikum damit ins Leere laufen. Er hat den Gestus von Joseph Beuys, speziell auch in den immer gigantischeren Rauminstallationen der letzten Jahre, doch fehlt ihm dessen pädagogischer Ehrgeiz. Dass dies kein Schaden sein muss, liegt auf der Hand: Es verleiht Kounellis’ Werken jene Portion Leichtigkeit, die ihre Düsternis erträglich macht. Am heutigen Mittwoch wird der große Grieche Jannis Kounellis, der nach wie vor in Rom wohnt, siebzig Jahre alt.

Ulrich Clewing

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