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Der Maler K. O. Götz: Ein Jahrhundertkünstler

Wirbel in Rot, Gelb, Violett jagen über seine Leinwände: K. O. Götz ist ein Farb-Ekstatiker, ein Mann, der Kunstgeschichte geschrieben hat, ein Urgestein des Informel. Die Neue Nationalgalerie in Berlin feiert den Maler nun zum 100. Geburtstag.

Der Berliner Winter ist berühmt für seine Tristesse, die vielen meist grauen Tage. Er bietet damit die perfekte Folie für die Farbexplosionen, die sich in der Neuen Nationalgalerie entzünden. Wirbel in Rot, Gelb, Violett jagen die Ausstellungswände entlang und müssten sich eigentlich in der umgebenden Stadtlandschaft verlieren, mit den Tönen der Außenwelt vermählen. Wären da nicht die blickdichten weißen neuen Vorhänge, die Mies van der Rohes gläserne Halle mehr recht als schlecht in einen White Cube verwandeln. Der große Auftritt des Informel- Künstlers K. O. Götz passiert zwar nicht abgeschieden im stillen Kämmerlein, dafür ist die Ausstellungsadresse viel zu prominent. Aber die Begegnung der beiden berühmten Aachener, die jeder in ihrem Bereich – der eine als Maler, der andere als Architekt – die Entgrenzung propagierten, sie wird verschenkt.

Die Stellwände der „Painting forever“- Ausstellung stehen noch, vier Berliner Maler der mittleren Generation hatten daran zuvor ihre Großformate aufgehängt. Auf sie folgt Altmeister K. O. Götz, ein Jahrhundertkünstler im wörtlichen Sinn, denn der Maler wird im Februar sagenhafte 100 Jahre alt. Die Retrospektive ist eine Verbeugung vor seinem Lebenswerk, vor einem Urgestein des Informel, einem Mann, der sich in die jüngere Kunstgeschichte eingeschrieben hat. Von den vergleichsweise jungen Hupfern, die hier zuvor zu sehen waren, weiß man das noch nicht. Die Neue Nationalgalerie kehrt damit zurück zu ihrer eigentlichen Aufgabe: weniger Kunsthalle, mehr Pantheon zu sein. Aktuelle Bezüge stellen sich von alleine ein. Für junge Künstler besitzt die gestische Malerei der jungen Bundesrepublik gerade eine erstaunliche Attraktivität, in den Berliner Ateliers entsteht gegenwärtig so manche Hommage an den Gründervater der deutschen Variante des abstrakten Expressionismus.

Auch der Handel hat diese Epoche wiederentdeckt. Nach dem Comeback der Zero-Künstler, erleben nun Götz & Co. ihr Revival. Auf dem Markt erzielt er Spitzenpreise, die in der Galerie Wolfgang Werner präsentierten Gemälde kosten bis zu 400 000 Euro. Markt und Museum haben parallel die Spur aufgenommen. Die 70 Hauptwerke umfassende Retrospektive im Van-der-Rohe-Bau kommt nach Jahrzehnten der Nichtbeachtung in vielerlei Hinsicht im passenden Moment.

K .O. Götz ist ein Phänomen. Wie der 2009 verstorbene abstrakte Künstler Rupprecht Geiger, der bis hoch in seine 90er täglich arbeitete, malt auch Götz bis heute in seinem Wohn- und Atelierhaus im Westerwald. Gestützt von seiner Frau Rissa und einem Assistenten bewegt er noch immer seinen Rakel – ein Schieber aus Gummi oder Stahl – über die am Boden liegende Leinwand. Das vier Meter breite Monumentalbild „I-Elemente“ von 2010 im Entree mit zwei gigantischen weißen Pinselstrichen auf schwarzen Grund zeugt von der energetischen Kraft, die er immer noch besitzt. Ein ganzes Leben, ein Jahrhundert steckt in diesen beiden Schwüngen. Gerhard Richter, neben Sigmar Polke und Gotthard Graubner sein bekanntester Student an der Düsseldorfer Kunstakademie, hat ihm diese Technik abgeschaut.

Wer bislang glaubte, über die Kunst des K. O. Götz alles zu wissen, mit einem Bild auch all die anderen zu kennen, der erlebt in der Neuen Nationalgalerie eine Überraschung. Als Dichter, Denker, Herausgeber einer eigenen Zeitschrift, Fotograf und Filmemacher, der Nam June Paik inspirierte, ist er nicht nur einer der vielseitigsten Protagonisten der Nachkriegskunst, auch sein Werk steckt voller Überraschungen. Geboren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat Götz alle Systeme des 20. Jahrhunderts erlebt. Als 18-Jähriger entdeckt er Kandinsky für sich, experimentiert mit Farbe und kollidiert sogleich mit der Nazi-Ästhetik. Als er sich um Aufnahme in der Reichskulturkammer bemüht und dem Antrag versehentlich ein abstraktes Blatt beilegt, erhält er statt eines Mitgliedsausweises Malverbot und findet damit erst recht seine Bestimmung. Dieses Verdikt hat Götz immer als Auszeichnung empfunden. Er sollte ein Abstrakter bleiben, allen Widerständen und Moden zum Trotz. Die klassische Bildsprache war für ihn dauerhaft korrumpiert, er suchte neue Wege für eine neue Kunst. Seine Bilder signierte der Freigeist und leidenschaftliche Flieger damals noch mit einer Möwe.

Als einziges deutsches Mitglied der Künstlergruppe CoBrA war er nach dem Krieg Anlaufstelle für die Avantgarde in einem Land, das erst wieder Anschluss finden musste an die internationalen Strömungen. Götz galt als deutscher Jackson Pollock, denn wie der amerikanische Action-Painter platzierte auch er seine Leinwand auf dem Boden. Doch während Pollock der Spontaneität durch das Dripping die größte Gestaltungskraft überließ, plante K. O. Götz sorgfältig den Akt. Eine Vitrine mit Vorzeichnungen, die filmischen Storyboards ähneln, verrät die akribische Vorbereitung der vermeintlichen Ekstase. „Ich fordere den Zufall heraus“, hat er einmal gesagt. Von den in Minutenschnelle angefertigten Bildern hielten nur wenige der Auswahl stand. K. O. Götz zerstörte rigoros, was seinen Ansprüchen nicht entsprach.

Die Ausstellung zeigt die Wandlungen des jungen Götz: die frühen figurativen Drucke der 30er, die mit einer Luftpumpe entstandenen Sprühbilder der 40er, die Liebelei mit den Surrealisten, mit Max Ernsts Loplops und Hans Arps organischen Formen, und schließlich der große Sprung Anfang der 50er. Durch Zufall, als er für seinen kleinen Sohn Kleister anrührte, entdeckt er die innewohnenden Möglichkeiten auch für sich. Großzügig auf der Leinwand verteilt lässt sich die Farbe mit einem Rakel darauf verwischen, wegschleudern, neu auftragen. Dieses Prozessuale wohnt allen Gemälden inne, seit er 1952 sein letztes Ölbild malte, das auch im Mies-van-der-Rohe- Bau zu sehen ist: ein schönes, konventionelles Bild, das mit den künftigen Farbräuschen kaum mithalten kann.

K. O. Götz entfaltet eine Wucht, die apokalyptisch anmuten kann. In seiner „Hommage à Melville“ von 1960 wogt es dramatisch, in „Dantons Tod“ aus dem gleichen Jahr schwappt eine blutrote Welle hoch. Abstrakt heißt bei Götz nicht inhaltsfrei, er positioniert sich, gibt seinen Bildern als Titel die Bezeichnung jener Atomsprengköpfe, mit denen die Bundeswehr 1958 ausgerüstet wurde. Die Leinwand dient mal als Schlachtfeld, mal als Garten. Mit der „Giverny“-Serie verbeugt er sich vor Monet und schenkt nun Berlin in grauen Tagen die fehlende Farbe.

Neue Nationalgalerie, bis 2. 3.; Kat. 30 €.

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