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Kultur: Der Mann mit der Tolle

Die Berliner Akademie der Künste widmet dem Architekten Hans Poelzig eine Retrospektive

Seine Frisur war legendär. Ein Pony mit angedeuteter Innenrolle, für einen Mann in fortgeschrittenen Jahren selbst damals ungewöhnlich. Als Poelzig-Tolle ist sie zum Begriff geworden, runde Brillen trugen schließlich auch andere Architekten. Hans Poelzig gehörte zu den bedeutendsten deutschen Architekten seiner Generation – und im Berlin der zwanziger und frühen dreißiger Jahre zu den populären Gestalten. Der Mutterwitz des 1869 in Berlin geborenen Baumeisters ist anekdotenreich überliefert. Wenn ihm der Entwurf eines seiner Architekturstudenten gefiel, erklärte er: „Da ist Musike drin.“ Als Bruno Taut 1927 die Einweihung seines eigenen tortenstückförmigen Wohnhauses in Dahlewitz feierte, soll Poelzig gefrotzelt haben: „Bruno, bauste noch dreie dazu, denn haste ’n Jantzet.“

Poelzig wusste sich und seine Spleens stets öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Zeitlebens hat er Malern und Fotografen Modell gesessen, so würdevoll, als wäre er der Reichspräsident persönlich. August Sander nahm sein Foto von Poelzig in das Mappenwerk „Deutsche Menschen“ auf, unter dem Titel „Der Architekt“. Im späten Kaiserreich und der Weimarer Zeit war Poelzig beinahe ein Star. Außerdem „ein spontaner und eindrucksvoller Charakter“, findet der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt.

Pehnt beschäftigt sich seit bald 40 Jahren mit Poelzig. Nun hat er mit Matthias Schirren, ebenfalls ein profunder Kenner des Werks, im Auftrag der Berliner Akademie der Künste, des Architekturmuseums der Technischen Universität Berlin sowie des Stuttgarter Instituts für Auslandsbeziehungen eine wunderbar materialreiche Poelzig-Retrospektive konzipiert. Gezeigt wird sie im Rahmen des Architekturherbstes am Hanseatenweg.

Bereits 1931 hat die Akademie am Pariser Platz Poelzig eine große Ausstellung gewidmet. Der Institution fühlte sich der Architekt stets eng verbunden. Seit 1920 leitete er ein Meisteratelier der Akademie für Architektur. Unter Max Liebermann wurde er 1932 zum Vizepräsidenten gewählt. Doch schon Anfang 1933 drängten ihn die Nationalsozialisten per Pressekampagne aus dem Amt – obwohl er vor den neuen Machthabern seinen Kotau vollzogen und der Absetzung Liebermanns akklamiert hatte. Ein Held war Poelzig sicher nicht, eher einer, der Ämter und Aufträge brauchte, um als Künstler durchatmen zu können. 1935 plante der 66-Jährige einen Neuanfang in Istanbul, nachdem er als Professor in Berlin pensioniert und als Architekt kaltgestellt worden war. Im Juni 1936 starb er in Berlin an den Folgen eines Schlaganfalls.

Es ist nicht der innerlich Gebrochene, vielmehr der erfolgreiche Bau-Zampano und Bürger-Künstler, wie ihn Charlotte Berend-Corinth 1926 gemalt hat, den die Ausstellung ins Zentrum rückt. Der chronologische Rundgang beginnt mit historistischen Stilübungen, die der an der Charlottenburger TH Ausgebildete so virtuos wie konventionell aufs Papier türmt. Doch schon 1903, als ihm die Leitung der künftigen Breslauer Kunstakademie übertragen wird, liefert Poelzig Proben einer Reformbaukunst aus dem Geist entschlackter Architekturgeschichte.

Mit einem Bau wie dem Rathaus von Löwenberg in Niederschlesien verbindet Poelzig 1903–1905 Tradition und Frühmoderne zur neuen Hybridform des Heimatschutzstils. Mit seinem skulptural gestuften Wasser- und Aussichtsturm auf der „Ostdeutschen Ausstellung“ 1911 in Posen oder dem Chemiewerk in Luban aus demselben Jahr verhilft Poelzig, der zu den Begründern des Deutschen Werkbunds gehört, der Industriearchitektur als Zeitgeistthema mit zum Durchbruch. Mit dem Großen Schauspielhaus für Max Reinhardt von 1919, nach 1945 als Friedrichstadtpalast genutzt und erst 1985 abgerissen, kreiert er die expressionistische Tropfsteinhöhle für Theaterträume schlechthin. Und mit der in horizontale Fensterbänder gegliederten Fassade in der Breslauer Junkernstraße schafft er eine der Inkunabeln urbaner Geschäftshausarchitektur, auf die sich Erich Mendelsohn 15 Jahre später eine Straßenecke weiter ganz selbstverständlich bezieht.

Und doch wirkt keines dieser Bauwerke aus heutiger Perspektive sonderlich modern. Ebenso wenig spätere Großprojekte wie das wunderbar backsteinsolide Haus des Rundfunks an der Charlottenburger Masurenallee von 1928–1931 oder die zeitgleich entstandene travertinverkleidete Verwaltungsfestung der I.G. Farben in Frankfurt, die nach Jahren des Verfalls heute von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität genutzt wird. Poelzig gehört schon altersmäßig zu den Großvätern der Moderne. Er empfinde sich und seine Architektur, schrieb er selbst nach 1918, „so dazwischen“.

Nun war Poelzig keiner, der sich kleinlaut zurückgezogen hätte, etwa um nur noch seine großformatigen, zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion oszillierenden Bilder zu malen. Die an Kandinsky und Corinth orientierten Leinwände hängen nun im Zentrum der Ausstellung. Starke Architekten seien „immer revolutionär, aber in einem anderen Sinne. Sie sind gegen die Tradition, die den Standard hervorbringt, aber sie rechnen mit der Tradition.“ In diesem Geist baute er 1927 in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung eine „moderne“ Wohnmaschine und im Jahr darauf in der Zehlendorfer Siedlung Fischtalgrund zwei „konservative“ Satteldachhäuser. Was allen Bauten Poelzigs gemeinsam ist – und ebenso den Skulpturen und Porzellanobjekten, die er mit seiner zweiten Frau, der Bildhauerin Marlene Moeschke, entwickelt hat –, ist ein stupendes Gefühl für Material. Dieses Credo hat er an seine Schüler weitergegeben, zu denen so grundverschiedene Architekten-Naturen wie Egon Eiermann, Rudolf Schwarz, Konrad Wachsmann oder Helmut Hentrich gehörten.

Wer Poelzig, den Poeten, kennenlernen möchte, sollte sich am Sonntag in der Akademie „Der Golem – Wie er in die Welt kam“ ansehen. Für Paul Wegeners Stummfilmklassiker entwarf Poelzig 1920 das Filmset. Häuser, Straßen, Brücken in einem fantastisch-fiktiven Prager Getto. Architektur, die aus der Erde wächst, scheinbar aus Lehm und Dreck gebaut, so eigensinnig und zerbrechlich wie der Golem selbst.

Akademie der Künste, Hanseatenweg, 14.10. bis 20.1. Katalog (DVA) in der Ausstellung 29 €, im Buchhandel 49,90 €. Ausstellungseröffnung heute 19 Uhr, Filmvorführung „Der Golem – Wie er in die Welt kam“ am 14. 10. um 15 Uhr.

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