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Kultur: Der Mann vom Kurfürstendamm Dem Publizisten Dieter Hildebrandt zum 80.

Wer einmal Friedrich Schillers kunstvoll bestickte Taufhaube in seinem Geburtshaus in Marbach am Neckar gesehen hat, das eher eine Klause ist, den berühren die bescheidenen Ursprünge des schwäbischen Genies tief. Oft schrieb Schiller seiner Schwester Christophine, verheiratete Reinwald.

Wer einmal Friedrich Schillers kunstvoll bestickte Taufhaube in seinem Geburtshaus in Marbach am Neckar gesehen hat, das eher eine Klause ist, den berühren die bescheidenen Ursprünge des schwäbischen Genies tief. Oft schrieb Schiller seiner Schwester Christophine, verheiratete Reinwald. Beherzt half sie ihm bei der Flucht aus dem württembergischen Militärdienst nach Mannheim. Von einer „geschwisterlichen Symbiose, die sich schon in den frühesten Jahren, oft genug aus purer Not, ergeben hatte“, spricht Dieter Hildebrandt in seiner Biografie „Schillers erste Heldin“. Voller Empathie rückt er eine pflichtbewusste Frau ins Licht, die sich erst als Witwe emanzipierte.

Die Emanzipation des Bürgertums damals wie heute ist dem gebürtigen Berliner ein zentrales Anliegen. Wilhelm Raabes Sentenz „Sieh nach den Sternen, hab acht auf die Gassen“ beherzigend, richtet Hildebrandt in seinem höchst facettenreichen publizistischen Werk stets den Blick auf „Die Leute vom Kurfürstendamm“ (so der Titel seines Romans aus dem Jahr 1982) und anderswo. Besonders vehement tat er dies im letzten Jahr mit seiner glanzvollen Polemik „Das Berliner Schloss. Deutschlands leere Mitte“, die wie die meisten seiner Bücher bei Hanser erschienen ist. Darin beschreibt er gleich zu Anfang den „Berliner Unwillen“, ja den „Aufstand der Bürger gegen den Burgbau“ der Hohenzollern. Munitioniert durch historische Zeugnisse von Schloss-Gegnern und Schloss-Flüchtlingen – ein Preußenherrscher soll sogar vor einer gespenstischen „weißen Frau“ das Weite gesucht haben –, appelliert Hildebrandt an Hegels „Furie des Verschwindens“. Walter Ulbricht setzte sie ins Werk, als er die „ungeliebte Festung“ 500 Jahre später sprengen ließ. Und so soll es nach dem Wunsch des Autors auch bleiben.

Seine Heimatstadt betrachtet Hildebrandt zwar mittlerweile vom Spessart aus, doch das nach wie vor sehr engagiert. In den bewegten sechziger Jahren berichtete der Germanist, Anglist und Theaterwissenschaftler für die „FAZ“ als Kulturkorrespondent und Theaterkritiker aus Berlin, wo er von 1972 bis 1975 auch Dramaturg am Schiller-Theater war. Hildebrandt ist Autor zahlreicher Fernsehfeatures und realisierte mit Gerhard Schoenberner den Dokumentarfilm „Der gelbe Stern“ über die Judenverfolgung, der ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte. „Eminent allgemeinbildend“ seien seine Bücher, urteilt die Presse. Das gilt für Studien zur Musik wie „Piano, piano! Der Roman des Klaviers im 20. Jahrhundert“ oder „Die Neunte“, die Geschichte eines musikalischen Welterfolgs, die „Berliner Enzyklopädie. Von Alexanderplatz bis Zusammenwachsen“ von 1991, vor allem aber für ein Buch, das per se alles überstrahlt: Dieter Hildebrandts großartige Kulturgeschichte „Die Sonne. Biografie unseres Sterns“. Möge sie ihm heute, zu seinem achtzigsten Geburtstag, besonders hell scheinen. Katrin Hillgruber

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