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Kultur: Der Moralist vom Broadway

Er war der letzte Titan des politischen Theaters: zum Tod des Jahrhundert-Dramatikers Arthur Miller

Dass die Erinnerung an einen Mann von überlebensgroßer Statur im ersten Moment das Bild einer Frau aufscheinen lässt, mit der er einmal verheiratet war, mag im ewigen Zirkus der Geschlechter ausgleichende Ungerechtigkeit sein. Und wenn dieser Mann Arthur Miller hieß und die Frau Marilyn Monroe, dann tut sich eine Welt auf. Eine Welt, die Hollywood bedeutete, Welttheater und Weltliteratur, Amerika. Man schaut hinein in das hungrige Herz des 20. Jahrhunderts. Man glaubt auch zu erkennen, dass die, die damals groß, berühmt und unglücklich waren, den nachfolgenden Generationen auf lange Sicht die Schau gestohlen haben. Man kann es auch Mythos nennen.

Mit Arthur Miller, der Donnerstagabend in seinem Haus in Connecticut im Alter von 89 Jahren an Herzversagen gestorben ist, tritt einer der letzten Dinosaurier ab. Das USKino stürzt sich derzeit wie wild auf Amerikas Titanen, in einem Moment, da die USA den Zenit ihrer Weltmacht erreicht zu haben scheinen: Howard Hughes zum Beispiel oder Ray Charles. Während man sich in Deutschland im Gedenken an den Holocaust und das Ende des Zweiten Weltkriegs vor sechzig Jahren gegen das Verblassen der Erinnerung stemmt. Das verlangt gewaltige moralische Anstrengung. Und auch das ist aus der Zeit gefallen, aus der Mode: der Intellektuelle als moralische Instanz, als gefeierter Moralist. So wie der Dramatiker Arthur Miller, in den Sechzigern internationaler Pen-Präsident, einer war. (Wo spielt der Pen-Club heute noch eine Rolle?) Einer wie Sartre, wie Böll, eine wie die kürzlich verstorbene Susan Sontag. Europäer neigen auch zu der Ansicht, dass die Intellektuellen und Moralisten in den USA schneller und gründlicher aussterben als anderswo. Wir schneiden sie uns gern aus dem Kontext aus, die „guten“, die „anderen“ Amerikaner. Arthur Miller war ein erklärter Gegner von George W. Bush. Den Irak-Krieg lehnte er vehement ab.

„Ein Charakter wird bestimmt durch die Herausforderungen, denen er nicht aus dem Weg gehen kann. Und durch die, denen er aus dem Weg gegangen ist, und die Reue darüber.“ Ein Satz aus Arthur Millers 800-seitiger Autobiografie „Zeitkurven“ von 1987. Schreibt einer heute noch solche Sätze? Und wenn ja, würde man es ernst nehmen? Mel Gussow, der Theaterkritiker der „New York Times“, sagte über Arthur Millers Stücke: „Er zieht den Menschen zur Rechenschaft für das, was er tut – und für das, was der Nächste tut.“ Ich bin für die Welt verantwortlich. Ein ziemlich unangenehmer und, wenigstens in der Kunst, unzeitgemäßer Gedanke. Moralische Rigidität weht durch die Dramen Arthur Millers. Man kennt sie auf dem ganzen Globus.

1983, lange vor den blutig niedergeschlagenen Demonstrationen auf dem Tienanmen-Platz, inszenierte Arthur Miller in Peking sein berühmtestes Stück, den „Tod eines Handlungsreisenden“. Der Kern dieser menschlichen Tragödie, die unheilbare Degradierung des bis zur Selbstaufgabe arbeitenden Familienvaters Willy Loman, wurde gerade im planwirtschaftlichen China verstanden. Deshalb greift man zu kurz, wenn man sagt, der „Tod eines Handlungsreisenden“ male das Menetekel des American Dream. 1984 setzte Volker Schlöndorff das Stück am Broadway mit Dustin Hoffman in Szene, später wurde daraus auch ein Film. Da war „Death of a Salesman“, uraufgeführt 1949, bereits ein Klassiker der westlichen Welt. Vielleicht mehr noch als bei Eugene O’Neill und Tennessee Williams liegen die Wurzeln von Millers Dramaturgie im europäischen Theater. Bei Ibsen vor allem. Familiäre Enge und ehtische Strenge: „Alle meine Söhne“, im Jahr 1947 Millers Durchbruch als Dramatiker, stellt einen Kriegsgewinnler an den Pranger. Die Verfehlungen, die Verbrechen der Alten zerstören das Leben der Söhne. Das ist purer Ibsen. Ibsen aus Brooklyn. Miller hat die Depression der Dreißigerjahre in den USA als prägend erlebt. Sein Vater, ein jüdisch-polnischer Einwanderer, wurde in den finanziellen Ruin getrieben.

Ist es verwunderlich, dass Arthur Miller als „unamerikanisch“, als „Kommunistenfreund“ drangsaliert wurde? Sein Drama „Hexenjagd“ spielt in der fernen Epoche der Puritaner, der ersten Einwander in New England, im 17. Jahrhundert. Religiöse Eiferer verfallen einem kollektiven Bedrohungswahn. Und die Welt verstand: Miller sprach von der politischen Hysterie, von den schwarzen Listen, den Verfolgungen der McCarthy-Jahre. Früher wäre es ein verlässlicher Reflex gewesen, diese Miller-Stücke hervorzuholen und in Richtung Bush und Globalisierung und neuem Militarismus zu drehen; dazu gehört nicht viel, das steckt alles drin.

Doch seltsam: Arthur Miller gilt, momentan wenigstens, nicht zwangsläufig als zeitgenössischer Autor. Man spielt ihn kaum. Reicht sein psychologischer Realismus, seine offenkundige Moralität nicht mehr aus zur Erklärung einer Welt, wie wir sie erleben? Es scheint, als sei mit der Theaterform, die ein halbes Jahrhundert lang die Bühnen bestimmt hat (nicht nur Arthur Miller, auch Max Frisch, selbst Kroetz!), auch der moralische Impetus des Theaters verschwunden.

1951 traf Miller auf einer Hollywood-Party Marilyn. Sie war damals mit dem Regisseur Elia Kazan zusammen, der ihr den frisch gebackenen PulitzerPreisträger vorstellte. 1956 heirateten sie: der hünenhafte Dramatiker, der Intellektuelle mit dem gewissen Machismo, und die zerbrechliche Göttin. Für sie schrieb er das Drehbuch zu „The Misfits“ (Nicht gesellschaftsfähig), Marilyns Partner in dem Spätwestern waren Clark Gable und Montgomery Clift. Miller selbst meinte: Es war der „allerletzte Western“. Ein zutiefst melancholisches Werk – Miller wollte Marilyn erstmals eine „dramatische“, eine ernsthafte Rolle schenken. Marilyn und die harten Kerle, die es gut meinen, aber dann doch nicht besser wissen; Cowboys auf der Suche nach dem Kick, der einfach nicht mehr kommen will, wilden Pferden nachjagend, die schnöde verhökert werden. Wie viel Selbstportrait einer anfangs vielleicht glücklichen Ehe steckt in diesem finalen Galopp?

Der Film kam 1961 heraus, kurz nach der Scheidung des Paares, über dessen Hochzeit ein Boulevardblatt geschrieben hatte: „Eierkopf heiratet Stundenglas.“ Marilyn Monroe starb im Jahr darauf. Unter welchen Umständen, weiß man bis heute nicht.

Schon damals, so stellt es sich im Rückblick dar, schwand Arthur Millers dramatische Urgewalt. Etliche Stücke und andere Schriften folgten – nie wieder schlug etwas so ein wie „Tod eines Handlungsreisenden“, „Alle meine Söhne“, „Hexenjagd“. Diese enormen Erfolge haben Millers lange Karriere auch überschattet. Ein nicht untypisches Schicksal für moralische Feuerköpfe: Auch Schillers „Räuber“ oder Hochhuths „Stellvertreter“ waren frühe, folgenreiche Explosionen.

„Wie wollen Sie in Erinnerug bleiben?“, wurde Arthur Miller einmal gefragt. „Ich hoffe, als Dramatiker.“

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