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Kultur: Der Morgen danach

Conor Oberst, der Rock-Wunderknabe aus Nebraska, kommt nach Berlin

Nebraska ist ein riesiger, karger Staat. Er liegt ungefähr in der Mitte der Vereinigten Staaten und besteht fast nur aus Feldern und Farmen. „The Middle of nowhere“ sagen die Amerikaner zu dieser Gegend. Die einzige Großstadt in diesem Niemandsland ist Omaha, das bisher nur als Geburtsort von Marlon Brando und als Sitz einer Versicherung aufgefallen ist. Doch inzwischen steht Omaha auch noch für etwas anderes: Es ist das Herz der derzeit spannendsten Independent-Szene der USA. Sie besteht aus rund einem Dutzend befreundeter Bands, die ihre Alben bei Saddle Creek Records veröffentlichen. Die kleine Firma, die gern mit dem legendären Grunge- Label Sub Pop aus Seattle verglichen wird, beschwört den Kollektivgeist. Profitstreben stellt sie nicht in den Vordergrund.

Der Star von Saddle Creek ist Conor Oberst. Der schmächtige Kerl, der ein bisschen so aussieht, als sei er der kleine Bruder von Winona Ryder, hat gerade einen fulminanten Coup gelandet: Zeitgleich veröffentlichte er mit seiner Band Bright Eyes zwei Platten, die in diesem Jahr nicht leicht zu überbieten sein werden. „I’m Wide Awake, It’s Morning“ ist ein sparsam instrumentiertes Country- und Folk-Album, das von betörend wehmütigen Gesangsmelodien und dem klaren Spiel der Akustikgitarren lebt. Bei drei Songs wird Oberst von dem Country-Star Emmylou Harris unterstützt. Die Single „Lua“ hingegen bestreitet er allein mit seiner Gitarre. In der Ballade über einen drogenreichen Abend mit einer sehr dünnen Frau erkennt der Erzähler: Die Dinge, die nachts ganz einfach erschienen, sind am Morgen oft völlig verrückt. Oberst singt mehr in sich hinein als heraus, so dass man beim Hören das Gefühl hat, ihn zu belauschen.

Der Gegenentwurf zur geschliffenen Songwriterkunst von „I’m wide awake, it’s Morning“ findet sich auf dem Album „Digital Ash in an digital Urn“, für das Conor Oberst unter anderem mit dem genialen Yeah Yeah Yeahs-Gitarristen Nick Zinner zusammenarbeitete. Das Album ist mit Keyboards, Sampels, Beats, Percussion, Trompeten, Harfen, Gitarren sowie einem Streichquartett üppig instrumentiert und tendiert zum fantasievollen Ausufern. So beginnt etwa „I Believe In Symmetry“ wie ein Indie-Rock-Hit im Stil von Modest Mouse, verweigert sich dann aber dem Strophe-Refrain-Strophe-Muster und driftet auf einer neuen Harmonie dahin, die mit hymnischen Streichern zu Ende geführt wird. Wirkt „I’m wide awake“, als habe ein hoch begabter Schüler einen Aufsatz geschrieben, für den er unbedingt eine Eins bekommen wollte, klingt „Digital Ash“, als hätte ein hyperkreatives Kind sein Schulheft mit allen verfügbaren Stiften bis über den Rand hinaus voll gemalt und dabei The Cure-Platten gehörten. Wer das Heft aufschlägt, ist etwas besorgt darüber, dass sich darin sehr oft die Worte Tod und Sterben finden.

Conor Oberst ist ein stiller Typ, der von sich sagt: „Ich verbringe zu viel Zeit damit, über die Vergangenheit nachzudenken.“ Aber er hat den Mut, seine Ängste, seinen Weltschmerz und auch sein Glück in seine Musik zu legen. Darin unterscheidet er sich von Adam Green, mit dem er derzeit oft verglichen wird. Green ist in erster Linie ein witziger Trickser, der für einen guten Gag seine beste Gitarre weggeben würde. Bei Oberst ist dagegen alles ernst und echt. Obwohl erst 25, nimmt er schon seit mehr als zehn Jahren Platten auf. Entdeckt wurde er mit 13, als er bei einem Folk-Abend im Kilgore Café von Omaha spielte. Ein Jahr später hatte er seine erste Band mit dem Namen Commander Venus, die damals gemeinsam mit Conors Bruder Justin ein Label gründete – der Beginn von Saddle Creek Records.

Der Erfolg kam mit den Bright Eyes, die Oberst mit 17 gründete. Einzige feste Mitglieder sind er und der Multiinstrumentalist Mike Mogis, als Produzent eine Art Mastermind des Omaha-Sounds. Ihr viertes Album „Lifted or The Story is in the Soil, keep your Ear to the Ground“ (2002) verkaufte sich 250000 Mal. Conor Oberst entfaltet darauf in 73 Minuten ein eigenwilliges Folk-Country-Rock-Panorama. Mit einer Stimme, die gelegentlich von einem weinerlichen Zittern ergriffen wird, umkreist der Songwriter Themen wie Einsamkeit, Verrat, Selbsthass. Damals bekannte er, er würde sich am liebsten unter der Bettdecke verstecken. Daraus wurde nichts. Oberst musste raus: Interviews, TV-Shows.

Auch R.E.M.-Sänger Michael Stipe wurde zum Conor Oberst-Fan und lud ihn im letzten Jahr ein, bei der „Votefor-Change“-Tour mitzumachen. „Bush zu wählen, ist, als würde man in sein eigenes Bett scheißen“, rief der junge Sänger von der Bühne. Geholfen hat es nicht. Oberst, der inzwischen in New York wohnt, macht trotzdem weiter mit dem Protestsingen.

Bright Eyes spielen morgen um 21 Uhr im Berliner Postbahnhof.

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