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Kultur: Der Mund bleibt offen Festakt für Günter Grass

im Theater Lübeck

Am Ende betritt auch Günter Grass die Bühne des Lübecker Theaters, bedankt sich gut gelaunt für die Glückwünsche und Lobreden und kündigt an: „Ich werde Ihnen weiterhin ein Buch nach dem anderen zumuten, ich werde weiterhin den Mund aufmachen, und ich weiß, dass das wie gehabt genauso für Zustimmung wie für Ärger sorgen wird“. Besseres kann sich ein gerade 80 Jahre alt gewordener Jubilar und „rüstiger Alter“ (Grass) eigentlich nicht wünschen.

Doch scheint es, oh Wunder der Medienwelt, als werde Günter Grass gerade auf einer Welle unbedingter Zustimmung getragen, als sei es eine Ewigkeit her, dass sein Waffen-SS-Geständnis die Republik erregte und sein Ansehen zwar nicht ramponierte, aber in ein dunkleres Licht rückte. Auf allen Kanälen wurde sein 80. Geburtstag am 16. Oktober groß begangen. Den Festakt am gestrigen Samstag im Theater Lübeck nun, mit Bundespräsident Horst Köhler als Laudator und im Beisein von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und Schleswigs-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, muss man als abschließenden Höhepunkt dieser Grass-Festspiele betrachten. Und als abermalige Bestätigung für Grass, ein Staatsdichter zu sein, „Repräsentant deutscher Literatur, deutscher Kultur, ja, in gewisser Weise Deutschlands“, so Köhler in seiner beachtlichen, auch sanfte Kritik formulierenden Rede.

Anders als Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe, der die Beziehung von Grass zu seiner Wahlheimat seit 1995 aus der Städte- und Personentrias Danzig-Thomas-Mann-Willy-Brandt herleitet, geht Köhler gleich zu Beginn seiner Rede in medias res und spricht von einem „beeindruckendem Erlebnis“, das er hatte, als Grass vor ein paar Wochen im Schloss Bellevue aus seinem letzten, vor allem der Rechtfertigung dienenden und seine Empörung über die Medien ausdrückenden Gedichtband „Dummer August“ vorlas. Köhler zitiert aus „Mein Makel“, zitiert den Beginn des Gedichtes: „Spät, sagen sie, zu spät,/um Jahrzehnte verspätet./ Ich nicke: Ja, es dauerte,/bis ich Wörter fand/für das vernutzte Wort Scham“. Tief bewegt habe ihn dieses Gedicht, so Köhler, um das und die das Gedicht abschließende Zeile „Makel verpflichtet“ nicht weiter zu interpretieren, sondern lediglich anzumerken, dass „Beim Häuten der Zwiebel“ noch einmal den Vorhang aufgerissen und den Blick auf eine Zeit freigegeben habe, „die nicht nur Sie, Herr Grass, sondern alle Ihre Altersgenossen tief geprägt hat.“ So macht sein jahrzehntelanges „schamvolles“ Schweigen Günter Grass gleichfalls zu einem Repräsentanten Deutschlands. Und so liest Köhler danach die Autobiografie von Grass, wie dieser sie vor allem verstanden haben möchte: als Ausdruck dessen, „mit welchem Hunger nach Neuem, welchem Hunger nach Kunst und mit welchem Willen zum Gestalten Sie und ihre Generation begonnen haben“.

Immer wieder wird auf Grass’ politisches Engagemen hingewiesen, auf den Stumpfsinn der fünfziger Jahre. Klaus Wagenbach betont, dass Grass die Bundesrepubublik „ziviler, freier und demokratischer, kurz: bewohnbarer“ gemacht habe und erwähnt ein neulich von ihm in einer Schublade gefundenens, auf Gesprächen mit Grass beim Skat in Italien basierendes Notizenkonvolut, das er 1964 für eine geplante, aber dann nicht weiter verfolgte Grass-Autobiografie angefertigt hatte und in dem schon von dem überzeugten Hitlerjungen Grass die Rede war: „Ich stelle mir vor, was wir daraus erfahren hätten, wenn sie 1964 als Buch erschienen wären.“ Juli Zeh gibt schließlich die Quoten-Jungschriftstellerin, die den Jugendwahn unserer Zeit mit dem mangelnden Willen zum politischen Engagement kurzschließt. Als dann Schauspieler des Theater Lübecks – ganz in Schwarz – den Festakt beschließen, in dem sie poltische Sentenzen aus Reden und Essays von Grass vortragen, wird einmal mehr deutlich: Grass wird auch an diesem Vormittag ausschließlich als öffentliche Figur, als „Repräsentant“ gefeiert. Seine Bücher waren und sind da nur mehr Mittel zum Zweck. Was seine ganz eigene Tragik hat. Gerrit Bartels

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