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Kultur: Der Mut der Diplomaten

Wie Juden gerettet wurden: eine Ausstellung in Sachsenhausen

Die Wander-Ausstellung über elf Botschafter, die diplomatische Privilegien nutzten, um Juden vor dem Zugriff der Nazis zu retten, ist unspektakulär – vielleicht sogar zu unauffällig. Schulklassen, die durch das Neue Museum der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen streifen, würdigen sie kaum eines Blickes. Verglichen mit der multimedialen Finesse, die hier sonst aufgeboten wird, wirken die sechs Stellwände mit Fotos und Erläuterungstexten altbacken und leselastig. Doch die Mühe lohnt: Die Geschichten dieser Männer, die Tausenden von Juden Visa, Pässe oder Schutz in Botschaftsgebäuden gewährten und ihnen das Leben retten, belehren nicht nur über Verantwortung, Wagemut und Widerstand. Sie sind von erschütternder Dramatik und lassen internationale Politik-Konstellationen greifbar werden.

Als 1944 die Budapester Juden deportiert werden, droht der schwedische Botschaftssekretär Per Anger mit Protest, falls er die Züge nicht kontrollieren dürfe, in denen sich angeblich auch Inhaber schwedischer Papiere befänden. Tatsächlich findet er zwei Schweden; als er merkt, dass die deutschen Wachen keine ungarischen Dokumente lesen können, befreit er alle, die Papiere bei sich haben, egal ob Führerscheine, Impfpapiere oder Steuerbelege. Auch Giorgio Perlasca beteiligt sich an der Rettung der Budapester Juden. Der italienische Faschist kämpfte als Freiwilliger im spanischen Bürgerkrieg für Franco. 1943 – das deutsch-italienische Bündnis war zerbrochen – internieren ihn die Nazis. Er findet Arbeit als Diplomat in der spanischen Botschaft. Als die Spanier vor der Roten Armee fliehen, nutzt Perlasca die Gunst der Stunde: Er stellt den Juden Pässe aus und richtet Schutzhäuser ein.

Fast alle der elf Diplomaten handelten dabei gegen ihre Vorgesetzten. Sie strapazierten Vorschriften, verstießen gegen Anweisungen. Der portugiesische Botschafter in Bordeaux, Aristides de Sousa Mendes, stellt tausende Visa für Juden aus – gegen die Ministerialorder. Das Regime in Lissabon entfernt ihn aus dem Amt: Er verliert seine Pension, erhält Berufsverbot und verarmt. Ähnlich der japanische Botschafter in Litauen. Dort wurden Juden auf offener Straße erschlagen. Als er Litauen verlassen muss, stempelt er, noch aus dem fahrenden Zug, Visa in jüdische Pässe. Wegen dieses Ungehorsams wird er aus dem diplomatischen Dienst entfernt. Raoul Wallenberg, der als US- Botschaftsangehöriger bis zuletzt tausenden Juden inBudapest half, fällt den Sowjets in die Hände. Sein Schicksal ist immer noch ungeklärt. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die diese Ausstellung in Kooperation mit dem israelischen Außenministerium konzipierte, ehrt die Diplomaten für ihren Einsatz mit einem Baum in der „Allee der Gerechten". Gerwin Klinger

Bis 10. November, Mo bis Fr, 8.30 – 18 Uhr.

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