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Kultur: Der Name der Nase

Geist aus der Flasche: Wie Tom Tykwer Patrick Süskinds Bestseller „Das Parfum“ ins Kino bringt

Es passt kein Blatt Papier zwischen die beiden, will man meinen. Am Drehbuch haben sie gemeinsam zwei Jahre gearbeitet (mit Andrew Birkin), am Set nebeneinander drei Monate gesessen, und jetzt sagen sie auch noch dasselbe. Auf die Frage, ob Patrick Süskinds geradezu monomanisch vom Geruchssinn handelnder Weltbestseller „Das Parfum“ überhaupt verfilmbar sei, vermeldet Produzent Bernd Eichinger, „dass ein Buch beim Lesen auch nicht riecht“. Und Tom Tykwer kontert die naheliegende Journalistenfrage mit der Bemerkung: „Das Buch hat doch auch nicht gerochen, oder?“

Mal abgesehen davon, dass Bücher durchaus riechen: So salopp kriegen die Macher das bleibend größte Problem nicht los, das sie sich mit ihrem kühnen 50-Millionen-Euro-Projekt namens „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“ eingehandelt haben. Natürlich riechen die Buchstaben nicht, aus denen Sätze, Kapitel, Bücher zusammengesetzt sind. Aber gerade weil sie pure Zeichen sind, beschwören sie in der Fantasie derer, die sie entziffern, ein Universum herauf, in dem sich alle fünf Sinne gleichermaßen entfalten können. Das ist das Geheimnis von Literatur – und ihr größter Vorzug gegenüber allen anderen Künsten.

So gesehen riecht Patrick Süskinds Bestseller „Parfum“ extrem – nach Fisch und Exkrementen, nach zauberhaften Blumenaromen, nach Leder und Asche und vor allem nach dem mörderisch kriminell konservierten betörenden Duft schöner Jungfrauen. Ja, das Buch – und das ist seine sinnlich mitreißende Stärke und narrative Schwäche zugleich – ist mit Haut und Haaren, von Haut bis Haar die Feier des Geruchs, von seiner buchstäblich ersten bis zur letzten Seite: eine auf 300 Seiten gestreckte einfache, wenngleich furiose Idee. Das Kino dagegen kann nur Augen und Ohren fesseln – das Rüttelkino mit seinen präparierten Sitzen und das Rubbelkino mit präparierten Duftpapierchen blieben absonderliche Episoden der Filmgeschichte – erheiternd verzweifelte Versuche eines Mediums, seiner technischen Beschränkung zu entfliehen. Wer also „Das Parfum“ auf die Leinwand bringen will, muss ein kapitales Manko vergessen machen – und drauflosfilmen, dass dem Publikum Hören und Sehen vergeht.

Tom Tykwer und – darf man sagen: sein Koregisseur? – Bernd Eichinger haben genau das versucht. Eichinger hat zudem, nach dem „Untergang“, mit ungeheurer Beharrlichkeit einen weiteren Lebenstraum in die Wirklichkeit hinübergezwungen: Sechzehn Jahre buhlte er bei dem spröden Autor Patrick Süskind um die Rechte (und hat sie dann, so ist zu hören, für zehn Millionen Euro bekommen), und nun ist der Film geschafft, sogar in englischer Sprache, womit er im Winter bei den Oscars anklopfen darf. Mit Martin Scorsese, Ridley Scott und Milos Forman als Wunschregisseur ist es zwar nichts geworden, auch nicht mit Johnny Depp und Leonardo DiCaprio als reizvollen filmischen Inkarnationen der perversen Nase namens Jean-Baptiste Grenouille, aber der junge britische Theatermann Ben Wishaw und die 15-jährige Rachel Hurd-Wood machen ihre Sache als mädchenmeuchelnder Parfümeur nebst seinem allerliebst anzuschauenden Lieblingsopfer Nummer dreizehn ganz ordentlich. Und Alan Rickman und Dustin Hoffman in hübschen Nebenrollen sind auch noch da.

Aber was tut sich auf der Leinwand, kaum dass eine Nase schnüffelnd aus dem Dunkel tritt, kalt von oben ausgeleuchtet? Die Bilder dröhnen, die Töne tun meist lautestmalerisch das ihre, und natürlich: kein Geruch, nirgends. Schlimmer noch: nicht einmal die Vorstellung davon. Ja, je heftiger Kamera und Tonspur ihr nachzujagen trachten, desto durchtriebener scheint sich die literarische Magie des Stoffes zu entziehen. Da saust die Kamera wie entfesselt in Nasenlöcher und zoomt sich in Rattenfelle hinein, da toben Reißschwenks, Slow Motion, Zeitraffer und was der Verblüffungstechniken aus der visuellen Zauberkiste mehr sind, da setzt die Musik, angerichtet von den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle, angesichts überwiegend kargen Dialoggeschehens auf symphonisches, zudem jungfrauensopranbekränztes Dauertremolo – und doch: rasender Stillstand. Bloßes Sausen ums Grausen. Und so gedeiht schon früh die Langeweile – auf, zugegeben, gehobenem Niveau.

Zum Beispiel Otto Sander als Erzähler: Ungeheuer betulich entfaltet er zur clipartigen Bilderhektik die Saga vom armen, bösen, auf dem Pariser Fischmarkt geborener Serienkiller Grenouille, als durchgedrehter Duftentwickler dazu bestimmt, mit 22 Jahren auf dem Marktplatz des südfranzösischen Parfümstädtchens Grasse hingerichtet zu werden. Oder der Auftritt Dustin Hoffmans als Meister Baldini, bei dem der zeitweilige Gerbergehilfe das Duftmischen lernt: Dramaturgisch als ergiebiger Abstecher aus dem wenig epischen Lineargeschehen zwar hochwillkommen, wird er gleich grenzwertig in die Länge gezogen. Oder die Hinrichtungsszene selbst, in der sich unter dem Einfluss des ultimativen Parfums die schaulustige Bevölkerung von Grasse zu einer Massenlustorgie hinreißen lässt: Angestrengt sieht es aus, wie sich da 750 Statisten aus ihren Kutten und Kaftanen, Häubchen und Höschen schälen, während Grenouille mit der offenen Phiole in der Hand sein einsames Fest des endlichen Geliebtwerdens feiert.

Zelebriert da womöglich auch ein Regisseur, metaphorisch, seine eigene Einsamkeit und abstrakte Verführungskraft? Eine seltsame interpretatorische Nebenspur, die freilich vom Romangeschehen wegführt, wird da durch mancherlei Indizien genährt. Die vielen blassgesichtigen, rothaarigen Frauen, die Grenouille in keuscher Anbetung meuchelt – ihre Haarfarbe mag teils vom Roman vorgegeben sein, aber erinnert sie nicht zwingend an den Lola-Rotschopf von Franka Potente, deren Trennung von ihrem Freund und Regisseur sich vor Jahren unter reger Anteilnahme der Medien vollzog? Und Hauptdarsteller Ben Wishaw, könnte er physiognomisch nicht durchaus als jungzerquälter Tom T. mit geradezu infernalischem Liebeskummer durchgehen? So wird der Regisseur auf eigene Weise zum Star: als Grenouille-Wishaw-Tykwer, der die fremde, tumbe Menge namens Publikum, die ihn eben noch schlachten wollte, mit der Essenz und den Essenzen eines Films verzaubert.

Als ehrgeiziger Bilderbombenangriff und exquisite Trommelfellattacke kommt „Das Parfum“ daher – und zieht vorbei, ohne zu treffen. Gute Absichten, leere Wirkung: Nichts geht auf in diesem Film, da mag zwischen den Regisseur, seinen Produzenten und womöglich auch noch die Hauptgeldgeberin und Koproduzentin, die Schweizerin Gigi Oeri, noch so sehr keine Buchseite passen. Patrick Süskind, ferner Urheber dieses größten deutschen Kino-Projekts, schweigt einstweilen. Von ihm raunt man, dass er allein Stanley Kubrick die Filmrechte anvertrauen wollte. Kubrick wiederum, so heißt es, hielt den Roman für unverfilmbar. War ein guter Mann, dieser Kubrick, aber das wussten wir schon.

„Das Parfum“ hat heute Weltpremiere in München. Ab 14. September im Kino.

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