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Kultur: Der Navigator geht

Philosophie statt Politik: Nida-Rümelin wird wieder Professor

Von Christiane Peitz

Auf die Frage, was er nach seinem Rückzug aus der Politik am meisten vermissen werde, zitiert der Kulturstaatsminister die aristotelische Ethik. Da gebe es – und für einen Moment verwandelt sich die Bundespressekonferenz in ein philosophisches Proseminar – den Unterschied zwischen bios theoretikos und bios praktikos: das betrachtende und das sich beteiligende Leben. Ja, letzteres werde ihm fehlen: die Möglichkeit, „in der Welt real etwas zu verändern“. So manches Projekt, die Fortsetzung der Stiftungsrechtsreform oder die Novelle der Filmförderung, hätte er gerne zu Ende gebracht.

Gut, bis zum Regierungswechsel am 18. Oktober bleibt er im Amt. Aber gewiss ist dies der letzte spektakuläre Auftritt des Politikers Julian Nida-Rümelin: die Bekanntgabe seiner Rückkehr auf den Göttinger Philosophie-Lehrstuhl. Dabei intoniert er den Paukenschlag in eigener Sache denkbar unspektakulär: fast pianissimo. Zur Ouvertüre allgemeine Ausführungen zum Erfolg eines Amtes, an den vor erst vier Jahren kaum einer geglaubt hatte. Dann die Erinnerung an sein Steckenpferd, die „kulturelle Ordnungspolitik“ und die Versicherung, dass es keinen Richtungswechsel in der Kulturpolitik geben werde. Als Zwischenspiel Spekulationen zum möglichen Ausbau der Behörde: Ein veritables Kulturministerium könne nur dann daraus werden, wenn man entweder mit dem Bildungs- oder mit dem Bauministerium fusioniere. Aber das sei Zukunftsmusik.

Nida-Rümelin spricht leise, gelassen, sachlich: einer, der frei formuliert und dabei immer klingt wie gedruckt. Manchmal hebt er beschwörend den Zeigefinger, mitunter holt er zu didaktischen Erklärungen aus. Ein sympathischer Professor sitzt da auf dem Podium: Er legt Wert darauf, dass auch die Erstsemester genau verstehen, worum es geht.

Nach 15 Minuten endlich die persönliche Erklärung: Auch diese erfolgt ohne jedes Vibrato, nur hier und da ist sie mit ein paar Äh’s verziert. Die Georg-August-Universität Göttingen stellt ihn nicht länger frei und schreibt ihm, dass sie „auf einen Gelehrten Ihres Ranges nicht verzichten“ könne. Den Lehrstuhl müsste er aufgeben, um im Amt zu bleiben. Aber er ist kein Berufspolitiker und will keiner werden – obwohl der Kanzler ihn gerne weiter im Amt gesehen hätte. Das wiederholt er mehrmals, mit glaubhaftem Bedauern. Der Rest ist Beamtenrecht.

Kompliziert, sagt Nida-Rümelin. Von wegen der ursprünglichen Freistellung bis 2004, als er 1998 das Sechs-Jahres-Amt des Münchner Kulturreferenten antrat. Von wegen der Verkürzung der Freistellung bis 2002, als er vor knapp zwei Jahren die Nachfolge Michael Naumanns antrat. Und von wegen der Rufsperre ab 52. Nida-Rümelin wird jetzt 48; in vier Jahren hat er kaum noch eine Chance, als Philosoph erneut berufen zu werden. Was nützt ein vorzügliches fachliches Renommee, wenn man bis dahin kaum noch wissenschaftlich publizieren kann? Fragt Nida-Rümelin, gibt Fernsehinterviews, erläutert bereitwillig weitere Details – geht ab.

Zwei Jahre Michael Naumann, knapp zwei Jahre Nida-Rümelin: der Eisbrecher und der Navigator. So fasst Nida-Rümelin die Arbeitsteilung der beiden Amtsinhaber zusammen. Ruhige Gewässer haben sie damit nicht erreicht: Der Stuhl des Staatsministers im Kanzleramt scheint ein Schleudersitz zu sein. Handelt es sich etwa doch nur um einen Job, den man übernimmt, bis andere Aufgaben rufen? Oder ist der Preis, die eigene Karriere an den Nagel hängen zu müssen, um vier oder sechs Jahre lang dem Staat zu dienen, einfach zu hoch?

Anruf beim Innenministerium von Niedersachsen: Ja, das mit der Alterssperre stimmt, sagt Sprecher Klaus Engemann. Mit mehr als 50 Jahren noch verbeamtet zu werden, ist in Ausnahmen allerdings möglich. Übrigens kann man auch noch später berufen werden, muss auf die lukrative Beamtenpension aber verzichten. Also doch alles nur eine Frage der finanziellen Sicherheit? Geht da einer, der seinen Willen zum „Engagement für die res publica“ noch in der Wahlnacht verkündete, weil ihm die Pensionsbezüge wichtiger sind? Oder ist es umgekehrt die Universität und deren kleine, feine philosophische Fakultät, die auf stur schalten?

Wissenschaft und Politik sind in Deutschland nicht kompatibel. Wir wollen weniger Politikbeamte, mehr Quereinsteiger, eine Kulturnation mit durchlässigen Strukturen. Und dazu Kulturpolitiker höchsten Ranges. Aber das bleiben fromme Wünsche, solange unflexible Verhandlungspartner auf beiden Seiten die im Beamtenrecht manifestierten Verkrustungen nicht einmal anrühren wollen. Warum haben sich der Professor und die Universität, der Kanzler und das Land Niedersachsen nicht gemeinsam um eine Ausnahmeregelung bemüht?

Nida-Rümelin will seinen wissenschaftlichen Ruf nicht verlieren. Der Ruf des politischen Amtes steht damit auf dem Spiel, ist beschädigt, nun schon zum zweiten Mal. Wer immer die Nachfolge antritt – ob Thomas Krüger, Monika Griefahn, der oder die große Unbekannte von Format: Verzögerungen bei den nächsten Reformen sind vorprogrammiert. Ganz zu schweigen vom nun unvermeidlichen Ritardando in Sachen Hauptstadtkultur. Der Navigator geht – und verändert die Welt der Kulturpolitik damit real. Zum Schlechteren.

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