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Der durch die Hölle geht. Tom Hardy folgt als Mad Max stur seiner Linie.

© Warner Bros.

Der neue "Mad Max"-Film: Die Abfahrer

George Miller setzt nach 30 Jahren seine Mad-Max-Serie fort. Die Hetzjagd „Mad Max: Fury Road“ hat es in sich - und das Zeug zum Actionfilm des Jahres.

„Das Fortschreiten der Geschichte ist eines der brillantesten Beispiele fortdauernder filmischer Bewegung, das uns das Kino in den letzten Jahren beschert hat. Die ganze Zeit haben wir das Gefühl, dass es uns mit den Charakteren vorwärts drängt, dass wir uns mit ihnen auf ihrer gefährlichen Reise befinden und hoffen, dass sie ihr Ziel sicher erreichen.“ So schrieb der „Hollywood Spectator“ im Jahr 1939 über John Fords wegweisenden Western „Stagecoach“. Für das zeitgenössische Publikum war der im Monument Valley gedrehte Film über eine Postkutsche, die von Indianern angegriffen wird, eine beispiellos rasante Abfolge halsbrecherischer Stunts und imposanter Attraktionen.

Wer heute nachvollziehen möchte, wie es dem Kinogänger damals erging, kommt dieser Erfahrung in „Mad Max: Fury Road“ vermutlich ziemlich nahe. Selten hat sich ein Film so konsequent darauf konzentriert, Bewegung zu inszenieren – von Fahrzeugen, die im Höllentempo hinter-, neben- und übereinander herrasen, von Menschen, die sich in, auf und unter diesen Fahrzeugen bewegen und an biegsamen Stangen durch die Luft von Fahrzeug zu Fahrzeug schwingen und von Granaten, die geworfen, Speeren, die geschleudert und Patronen, die abgefeuert werden. Von wenigen Unterbrechungen abgesehen, die manchmal nur dadurch zustande kommen, dass Waffen nachgeladen werden müssen, schildert der Film in ausgesuchter Ausführlichkeit eine einzige wilde Verfolgungsjagd.

Dabei ist es nicht so, dass der Film keine Geschichte erzählt. Das Geschehen gestattet ihm bloß kaum eine Atempause dafür. Klar wird immerhin so viel: In einem Wüstengebirge in einer postapokalyptischen Zukunft kontrolliert ein Diktator namens Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) die wertvollen Wasservorkommen und damit die Menschen. Außer seinem dekadenten Herrscherclan und den Geknechteten gibt es noch die War Boys, eine Horde glatzköpfiger bleicher junger Männer, die Immortan Joe kultisch verehren und zu Beginn des Films den Titelhelden (Tom Hardy) gefangen nehmen, um ihn als lebende Blutkonserve zu verwerten.

Bevor es Gelegenheit gäbe, sich in dieser Gesellschaft und ihren Strukturen zurechtzufinden, kommt schon wieder – gelinde gesagt – Bewegung in die Sache. Eine Kriegerin mit dem sprechenden Namen Furiosa (Charlize Theron) wird mit einem Tanklastzug losgeschickt, um die Spritvorräte aufzustocken, doch bevor sie die zu plündernde Raffinerie erreicht, dreht sie ab und desertiert in Richtung offene Wüste. Immortan Joe und seine War Boys nehmen in einer Vielzahl verwegener Fahrzeuge die Verfolgung auf. Dass sie Max als Blutbank und Galionsfigur mitnehmen, wirkt weniger abwegig, wenn man weiß, dass zu dieser wilden Flotte auch eine fahrbare Bühne gehört, auf der ein War Boy eine feuerspeiende Gitarre spielt.

Tom Hardy alias Mad Max muss sich über weite Strecken mit dem Beifahrersitz begnügen

Es sind aberwitzige Ideen wie diese, die dafür sorgen, dass sich die anschließende, bis zum Ende des Films kaum unterbrochene Hetzjagd nicht alsbald abnutzt. 28 Minuten vergehen bis zum ersten Dialog. Notfalls würde der Film auch ganz ohne Worte auskommen. Nicht weniger spektakulär als die stupenden Stunts und Explosionen ist die Fülle an Details, mit denen die Kostüme und Fahrzeuge ausgestattet sind, und auch die Landschaft bietet reichlich Schauwert. Als erster der „Mad Max“-Filme wurde „Fury Road“ nicht überwiegend in Australien, sondern in Namibia gedreht. Auch sonst unterscheidet er sich stark von seinen drei Vorgängern und passt dadurch umso besser in diese nur sehr lose zusammenhängende Reihe. Immerhin spielte der erste Teil aus dem Jahr 1979 noch vor der sich kaum abzeichnenden Apokalypse, und die ausgewählten australischen Schauplätze waren überwiegend durchaus postkartentauglich.

Die darin erzählte Vorgeschichte von Max hat sich in „Fury Road“ leicht verändert, doch weder die früheren Filme noch die Vorgeschichte spielen hier letztlich eine Rolle. „Als die Welt zugrunde ging, ist jeder von uns auf seine eigene Weise zerbrochen“, erklärt Max zu Beginn. Sein spezifisches Trauma ist da nicht weiter von Belang, und auch als Held muss er sich über weite Strecken mit dem Beifahrersitz begnügen und Furiosa das Steuer überlassen. Mit ihrer Mischung aus Entschlossenheit und Lässigkeit bildet Charlize Theron den Kraftkern des Films.

Tom Hardy hingegen spielt den Mad Max als schläfrigen Kraftkerl, dessen Wut von fragmentarisch aufscheinenden Erinnerungen befeuert wird. Er ist die Idealbesetzung der Rolle, schon im Autobahn-Drama „No Turning Back“ hatte er sein Auto kaum verlassen. Mel Gibson, den Helden der ersten drei „Mad Max“-Filme vermisst man in keiner Sekunde. Aus der starken Heldin und ihrer Mission, Immortan Joes Sexsklavinnen zu befreien, ein feministisches Ermächtigungsnarrativ konstruieren zu wollen, wäre aber übertrieben. Dafür weidet sich der Film dann doch zu schamlos am Anblick der leichtbekleideten Damen auf dem Rücksitz des Tankzugs.

Undeutlich bleibt „Fury Road“ in Rückbezügen zu unserer Gegenwart. Die uniformen, vermummten War Boys, die mit Maschinengewehren auf den Ladeflächen ihrer Pick-ups stehen, mögen von fern an die Selbstinszenierungen des „Islamischen Staats“ erinnern. Dazu würde die Märtyrerideologie passen, mit der sie sich jederzeit für Immortan Joe und eine ruhmreiche Wiedergeburt aufzuopfern bereit sind. „Ich lebe, ich sterbe, ich lebe wieder“, versichern sie. Vielleicht ist aber auch die Frage nach der Welthaltigkeit fehl am Platz bei einem Film, der sich ganz dem Wahnwitz und Spektakel völlig entfesselter Action verschrieben hat. Dann wäre „Fury Road“ immer noch eines der brillantesten Beispiele fortdauernder filmischer Bewegung, das uns das Kino in den letzten Jahren beschert hat.

Ab Donnerstag in 17 Berliner Kinos; OV im Central, CineStar, Filmtheater Friedrichshain, Odeon, Colosseum und im Zoo Palast

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