zum Hauptinhalt

Kultur: Der Präsident der Berliner Akademie der Künste eröffnete das restaurierte Schlosstheater in Rheinsberg

Meine Damen und Herren, Sie haben Grund dazu, ergriffen zu sein, beim Gedanken daran, dass Sie nach langer Pause auch im Namen der einstigen Besucher als erste diesen Saal wieder in Besitz nehmen, dieses wieder hervorgezauberte Rheinsberger Schlosstheater, in dem Wort und Musik, Attraktionen und Schauspielkunst eine - vertrauen wir darauf! - anregende Heimstatt finden werden.

Meine Damen und Herren, Sie haben Grund dazu, ergriffen zu sein, beim Gedanken daran, dass Sie nach langer Pause auch im Namen der einstigen Besucher als erste diesen Saal wieder in Besitz nehmen, dieses wieder hervorgezauberte Rheinsberger Schlosstheater, in dem Wort und Musik, Attraktionen und Schauspielkunst eine - vertrauen wir darauf! - anregende Heimstatt finden werden. In der elysischen Umgebung des fürstlichen Schlosses und Parks sind wir, den einstigen Bauherren verbunden, wenn wir unser Haupt vor der denkwürdigen Figur des Kronprinzen neigen, der das Schloss umbauen ließ: der spätere Friedrich II., der Große genannt, der gegensätzlichen Sympathien huldigte, indem er versuchte, Prinzipien von Schwert und Feder zu vereinen.

Auch wenn es der große König verpasst hat, sein Interesse an den Herren Kant und Lessing zu bekunden, können wir dieses Versäumnis nachträglich korrigieren und die beiden Geistesfürsten des europäischen Humanismus fragen, ob es im dritten Jahrtausend ewigen Frieden und zwischen dem Verschiedenen Toleranz geben wird...

Wir Zeitreisenden und begünstigten Grenzüberschreitenden des Millenniums, was nehmen wir mit vom einen Kapitel des großen Weltromans zum nächsten? Wird der Held des folgenden Kapitels größerer geistiger Selbstbeherrschung fähig und flexibler Bürger seiner engeren Heimat und des ganzen Erdballs sein?

Das 20. Jahrhundert ist abgelaufen: im Zeichen von Kriegen. Der Mensch des vergangenen Jahrtausends hat sich mit erschreckender Häufigkeit von einem starren Entweder-Oder leiten lassen, von Schwarzweißmalerei, von Kampfentschlossenheit und vom Töten. Der Mensch früherer Zeiten definierte sich in der Abgrenzung zu anderen Gruppen. Wer ist jetzt der Feind? Wen gilt es zu hassen? Niemanden? Auch an der Schwelle zu 1999 haben wir uns ein friedliches neues Jahr gewünscht. Dann aber billigten die meisten Menschen guten Willens die Bombardierung eines ganzen Landes, damit einhergehend die Vernichtung von Frauen, Männern und Kindern, die keinerlei Verbrechen begangen hatte. Die Mehrheit der Russen empörte sich darüber. Und nun wird von deren Armee ein anderes Land und Volk bombardiert, ein noch kleineres. Wieder werden auch Frauen, Männer, Kinder getötet, die sich keinerlei Verbrechen haben zuschulden kommen lassen .

So verhalten sich Regierungen nur, wenn sie große gesellschaftliche Zustimmung genießen. Die Bürger des westlichen Militärbündnisses waren mit der Zielgenauigkeit der Angriffe zufrieden. Dass die Luftschläge auch Unschuldige trafen, nahmen sie zur Kenntnis. Die Mehrheit der Bürger der Russischen Föderation will auf den Bildschirmen über das siegreiche Vorrücken der Panzer gute Nachrichten zu sehen bekommen. Dass die militärischen Erfolge mit der Vernichtung von Unschuldigen gleichbedeutend sind, wird zur Kenntnis genommen. Erfreut waren die Einen wie die Anderen. Als hätte ihre Nationalelf einen Sieg errungen. Wir Europäer können von uns sagen, im vergangenen Jahr seien wir unbemerkt in das Verbrechen mittelbaren Mordens verwickelt worden. Was uns das dritte Jahrtausend bringen wird, wissen wir nicht. Doch als ein nicht mehr ganz junger Mann möchte ich die Frage stellen, ob es fähig sein wird, das Töten von Menschen zum Tabu zu erklären. So wie im Verlauf der historischen Entwicklung das Essen von Menschenfleisch tabuisiert worden ist: der Kannibalismus. Die Tabuisierung des Tötens wäre gleichbedeutend mit zunehmender Achtung vor dem Leben eines anderen Menschen. Auf der Bühne des 20. Jahrhunderts sind wir Zeugen des gigantischen Kampfes zwischen Zivilisation und Barbarismus gewesen, der Hoffnung auf Fortschritt und der Ohnmacht angesichts des Rückfalls. Nach gründlichem Abwägen bin ich in jungen Jahren zu der Überzeugung gelangt, dass die Grundfrage der Ethik lautet: Töten oder nicht töten? Der Fortschritt, die Menschwerdung, zeigt sich in wachsender Achtung vor dem Leben des Einzelnen.

Im europäischen Nachdenken über Fragen von Recht und Unrecht ist erkannt worden, dass es eine humane Hinrichtung nicht gibt, dass jede Hinrichtung Mord ist, dass der Rechtsstaat nicht töten darf, weil die innere Unendlichkeit des persönlichen Lebens mit der augenblicklichen Leichtigkeit des Tötens inkommensurabel ist.

In der Frage von Töten oder Nicht-Töten können auch wir eine Entscheidung treffen. Ein uns selbst bindender Entschluss ist möglich, gleich was uns von anderen suggeriert oder befohlen wird. Andere am Töten zu hindern, dazu besitzen wir keine Macht, doch uns selbst können wir das Töten verbieten. Und sollten wir dennoch schuldig werden, dann wären wir in die Grube der Sünde gefallen, dann hätten wir gemordet, die moralische Schande auf uns geladen. Vergebens würde uns irgendeine kollektive Rhetorik einen Helden nennen.

Die meisten Menschen leben ihr Leben, ohne zu töten, und ohne den Drang, einen anderen töten zu wollen. Doch es gibt Wellen, in denen der Geist militärischer Lösungen die Oberhand gewinnt und Siegesstimmung verströmt. Immer und immer wieder kommt an wechselnden Schauplätzen, an verschiedenen Punkten der Erde Mordlust auf. Wie ein ansteckendes Virus ist sie. Die Unterordnung der gesellschaftlichen Wirklichkeit unter militärische Ziele verschafft sich ihre Bestätigung: den Krieg. Militärische Ideologie ist eine sich selbst rechtfertigende Behauptung. Wir verpassen dem feindlichen Lager einen Schlag, und siehe da, das Licht des Treffers leuchtet auf. Die Welt - ein großes elektronisches Schützenhaus.

Die Drohung von Gewaltanwendung, die Befürwortung von Gewalt, kann ganze Gesellschaften mit sich reißen, die Minderheit aber, die am Prinzip des Nicht-Tötens festhält, und an dem, was daraus folgt, an der Suche nach Verständigung, vermag sie nicht zu erobern. Ist eine entwickelte Menschheit vorstellbar, die es dank ihrer kulturellen Automation vor einem Auslöschen anderen Lebens instinktiv graut? Werden wir fähig sein, das Töten durch Gespräche, den Kampf zwischen Menschen durch das Medium geistiger Artikulation zu ersetzen? Wird die christliche Welt der Gewaltfeindlichkeit Jesu einen kreativen Inhalt verleihen können?

Es bedarf eines beständigen moralischen Ideals, das, um schließlich verworfen zu werden, auf dem Markt intellektueller Moden nicht zu erstehen ist. Ob Morden mittels politisch-religiöser Ideen gerechtfertigt werden kann, darin besteht die eigentliche Frage. Rechtlich durch das Gesetz geschützt darf nur der Staat töten. Doch es könnte die Überzeugung Verbreitung finden, dass ein solches Recht auch dem Staat nicht zusteht.

Ob das Morden nach 2000 eingestellt werden wird, das ist nicht die Frage, es wird weitergehen. Die Frage ist vielmehr, ob die moralische Ermächtigung dafür, das zum Morden autorisierende kollektive Pathos auf der Welt, geschwächt wird oder erstarkt. Oder aber im Gegenteil, ob der Konsens eines entsprechenden Verbots als eine Art unumstößliches Axiom, als Grundlage jeglicher sittlichen Systeme, Verbreitung findet.

Dürfen wir darauf vertrauen, dass der Mensch des dritten Jahrtausends am ehesten dem verständnisvollen Wissen, dem Brücken schlagenden, webenden, vermittelnden, am anderen sich berauschenden und über sich selbst erhebenden Wissen Achtung bezeugen wird? Schön wäre es, würde der Mensch nach 2000 gerade wegen seiner lernenden, aktiven und abenteuerlichen Haltung vor dem Anderen, geschweige denn vor dem Nachbarn, doch auch vor dem Fremden keine Angst haben müssen. Dieses ins dritte Jahrtausend gehörende Wissen würde auf dem universellen Verbot des Tötens basieren.

Auf der einen Seite die Philosophie des Schwerts, auf der anderen die der Feder. Das Schwert vermag die Feder zu spalten, ja die Hand abzuhacken, schreiben kann es nicht. Einem alten Spruch zufolge sind Kanonen das letzte Argument der Könige: Der König wird durch den äußersten Beweis bestimmt, im extremen Fall führt er einen Krieg, lässt töten. Was kann der Dichter in einer extremen Lage tun? Er dichtet. Auch im Todeslager. Die Macht ist der besondere Besitz des Königs. Worin ist der besondere Besitz des Dichters zu sehen? Darin, dass er hinter den Worten das Menschliche erkennt, nicht nur den Täter, sondern auch das Opfer. Was für die Dichtung den Tod bedeutet, die Phrase, ist der Herrschaft Existenzbedingung. König und Dichter können sich gern unterhalten, sich gegenseitig ihrer Hochachtung versichern, doch der Unterschied zwischen Schwert und Feder lässt sich in keinem politischen Bündnis auflösen. Die Rede ist von verschiedenen Prinzipien. Sie betrachten sich, lassen ihre Gläser sich berühren, doch die Verbindung von Rollen und Weltanschauungen bleibt eine Illusion. Und es ist nicht einmal sicher, ob es sich dabei um eine schöne Illusion handelt.

Das seit mehreren tausend Jahren einmal offene, dann wieder verborgene Ringen der Künstler um Unabhängigkeit von den Herren über die Waffen - die Emanzipation des Geistes - ist eine langwierige, unvollendbare Arbeit. Sie wird sich auch über die folgenden Jahrtausende hinziehen. Theater oder Kaserne? Darüber stimmen wir Tag für Tag mit unseren Gedanken und Handlungen ab. Denn auch die Schule kann eine Kaserne sein, auch das Kinderzimmer ein Theater.

Die Übersetzung aus dem Ungarischen besorgte Hans-Henning Paetzke.

György Konrad

Zur Startseite