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Kultur: Der Protestant

Direktor der Singakademie: Schumanns Werk auf CD

Da lebt und wirkt ein Chordirektor über ein halbes Jahrhundert lang in Berlin, schreibt Werke, die von einem tiefen protestantischen Glauben durchdrungen sind, wird Professor und Ehrendoktor der Berliner Universität und Präsident der Akademie der Künste, gründet gemeinsam mit Richard Strauss die GEMA und erhält nach dem Krieg noch von Theodor Heuss das Bundesverdienstkreuz und ist doch heute so gründlich vergessen, dass erst ein Umweg über England und Neuseeland nötig ist, um ihn in dieser Stadt wieder bekannt zu machen. Georg Schumann war von 1900 bis 1952 Direktor der Sing-Akademie zu Berlin, der ältesten durchgehend bestehenden Chorvereinigung der Welt. Er bearbeitete Volkslieder, schrieb Orchestervariationen auf Mozart und Brahms, komponierte drei Symphonien und auch ein Werk für die Bühne. Außerdem schuf er geistige Lieder, Gesänge und Motetten, mit denen er seinen Chor, die Sing-Akademie, zu unerreichten Höhen führte. Aufnahmen dieser Werke allerdings waren nach dem Krieg nicht zu kriegen. Schumann galt als Spätromantiker, der im 19. Jahrhundert stehen geblieben war. Es gab einzelne Einspielungen seiner Chormusik, aber nicht das gesamte Werk.

Bis jetzt. Ein neuseeländischer Chorlehrer macht den jungen englischen Jura- und Musikstudenten Mark Ford in Cambridge Anfang der 90er Jahre auf den Berliner Komponisten aufmerksam. Ford gründete 1994 die Purcell Singers, heute einer der führenden Kammerchöre Londons. 1998 erschien unter seiner Leitung die erste Aufnahme dieses Ensembles mit Chorgesängen Schumanns. Nun liegt mit „Jerusalem, du hochgebaute Stadt“ die vierte und letzte CD der Reihe vor. Sie enthält die fünf Choral-Motetten op. 71 von 1921/22 und die drei Choral-Motetten op. 75 von 1934, in denen Schumann Texte von Paul Gerhard, Philipp Nicolai, Martin Luther und anderen vertonte. „Die Apotheose seines A-capella-Chorschaffens“, sieht Michael Rautenberg darin, Vorsitzender der Berliner Georg Schumann Gesellschaft, die an der Entstehung der CD beteiligt war.

Tatsächlich ist die Musik Ausdruck einer fast esoterischen Versenkung in protestantische Glaubensinhalte. Sie dehnt und moduliert den Rahmen der traditionellen Harmonik bis hin zu Dissonanzen. Schumann hat die Augen vor den musikalischen Entwicklungen seiner Zeit nicht verschlossen. Wenn er Gellerts „Meine Lebenszeit verstreicht/stündlich eil ich zu dem Grabe“ chromatisch vertont, läuft dem Hörer auch heute noch ein Schauer über den Rücken. Und die sechs bis acht Stimmen singen mit einem überwältigenden Einfühlungsvermögen in die deutschen Verse. Udo Badelt

„Jerusalem, du hochgebaute Stadt“, The Purcell Singers, erschienen bei Guild.

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