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Die Wartburg. Im Oktober 1817 versammelten sich hier nationalistische Burschenschaftler. Ihrem symbolischen Feuerritual fiel auch Saul Aschers Buch "Germanomanie" zum Opfer.

© Martin Schutt/dpa/picture alliacne

Der Reformator Saul Ascher: Gegen die Germanomanie

Er sah den deutschen Fremdenhass im 19. Jhdt. voraus, wollte das Judentum reformieren und einen Staatshumanismus etablieren. Der vergessene Berliner Aufklärer Saul Ascher wird wiederentdeckt.

Im Lutherjahr eine andere Reformation zu präsentieren, ist mutig. Die Potsdamer Religionswissenschaftler Christoph Schulte und Marie Behrendt zeigen mit einer „philosophiegeschichtlichen Darstellung“ von Werk und Leben des vor 250 Jahren geborenen „Berliner Aufklärers“ Saul Ascher bewusst eine deutsch-jüdische Jubiläumsalternative auf. Dafür haben sie ein 800-seitiges Monografie-Manuskript aus dem Nachlass des Philosophiehistorikers William Hiscott (1974–2013) überarbeitet. Es ging ihnen dabei auch um konträre Berührungspunkte mit Ereignissen wie den Wartburgfeiern. Für Luther („Junker Jörg“) war die Burg der heimliche Ort für seine Übersetzung des Neuen Testamentes.

Im Oktober 1817 versammelten sich hier nationalistische Burschenschaftler, um ihr Gedenken an die Völkerschlacht von Leipzig mit dem 300. Jahrestag von Luthers Thesenanschlag zu verbinden. Die Verbrennung der päpstlichen Bulle nahmen sie zum Vorbild eines symbolischen Feuerrituals, dem auch Bücher wie Saul Aschers „Germanomanie“ zum Opfer fielen, angeheizt mit den Worten: „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judentum und wollen über unser Volkstum und Deutschtum schmähen und spotten.“

Er befürchtete schon damals, dass Fremdenhass zunehmen würde

Mit „Germanomanie“ hatte der jüdische Publizist sich 1815 in einen Meinungsstreit mit den Wortführern der antifranzösischen und antisemitischen Volkstumsideologie, Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn sowie deren Vorläufer Johann Gottlieb Fichte, eingelassen. Seiner Meinung nach war Deutschland nicht wegen schädlicher Einflüsse aus dem Ausland geschwächt, sondern weil es sich den Anregungen der Französischen Revolution von Beginn an verweigert hatte. Diese Manie drohe in grenzenlosem Fanatismus zu enden. Als „Brennstoff“, so Ascher, wollten „unsere Germanomanen“ vor allem „in dem Häuflein Juden das erste Bündel Reiser zu Verbreitung des Fanatismus hinterlegen“.

Die Bücherverbrennung nach dem Wartburgfest kommentierte er mit den Worten: „Deutsch, Deutschheit und Deutschtum waren die Paniere, mit welchen sie vor den Augen von ganz Europa Front machten.“ Und er befürchtete schon damals, dass nach der „Verdammung der Juden“ auch „Indier, Mohammedaner, Chinesen und ungläubige Barbaren an die Reihe kommen“.

Er wollte Luther vor der Vereinnahmung durch radikale Anhänger schützen

Offensichtlich war Ascher aber bemüht, die Person Luthers vor der Inanspruchnahme durch spätere radikale Anhänger in Schutz zu nehmen. Das ist erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die berüchtigten antijüdischen Hetzschriften des christlichen Reformators wohl den größten Schatten auf die Jubiläumstradition werfen. Trotz oder wegen seiner toleranten Lutherhistorisierung wurde Saul Ascher der meistgehasste Jude in der Zeit der Berliner Klassik und Romantik. Ist das der Grund dafür, dass sein Werk und Leben heute so gut wie vergessen sind?

Autor und Herausgeber der Monografie bemängeln, dass es trotz einiger verdienstvoller Auswahl-Anthologien bisher kein umfassendes und detailliertes Bild von Person und Werk gebe. Da auch kein künstlerisches Porträt von Saul Ascher existiert, hat William Hiscott zu Beginn seiner Einleitung die sarkastische Bildbeschreibung aus Heinrich Heines „Harzreise“ übernommen. Als Student hatte der sich oft mit dem „Vernunftdoktor“ im Berliner Café Royal getroffen und über die Frage disputiert, ob die Furcht „aus dem Verstand oder dem Gemüt“ komme.

Moderne Aufklärung bedeutete für ihn eine Lösung von Kants rigorosem Moralismus

In seiner Erinnerung erschien ihm Ascher wie ein Gespenst der Aufklärung: „Vernunft! Wenn ich jetzt diese Worte höre, so sehe ich noch immer den Doktor Saul Ascher mit seinen abstrakten Beinen, mit seinem engen, transzentalgrauen Leibrock und mit seinem schroffen, frierend kalten Gesichte, das einem Lehrbuche der Geometrie als Kupfertafel dienen konnte. Dieser Mann, tief in den Fünfzigern, war eine personifizierte grade Linie.“

Aber Ascher war kein antireligiöses Gespenst der Spätaufklärung, sondern wollte der Religion im Leben der Menschen eine Rolle zugestehen, die der Vernunft weitgehend verschlossen bleibe. Trotz spöttischer Erinnerungen stimmte ihm Heine zu, „dass die Vernunft auch ein Wort beim Glauben mitzureden habe“. Der als Sohn eines jüdischen Bankiers 1767 in Berlin geborene und 1822 ebendort verstorbene Ascher konnte als unabhängiger Philosoph und Publizist davon profitieren, dass die öffentliche Sphäre, vor allem der Zeitschriften- und Buchmarkt, sich auch für aufgeklärte Juden geöffnet hatte. Moderne Aufklärung bedeutete für Ascher eine Lösung von Kants engen Moralbegriffen und den Dogmen der jüdischen Haskala.

Die Beteiligung der Allgemeinheit am wachsenden Reichtum war ihm wichtig

Schon 1792 forderte er in Abgrenzung zu Maimonides, Spinoza und Mendelssohn eine aufgeklärte, religiös-politische Reform des Judentums und die bedingungslose Gleichberechtigung der Juden in Staat und Gesellschaft. Eine „Reformation“ des Judentums und anderer Religionen war für Ascher nur denkbar als gesamtgesellschaftliche Veränderung. 1802 veröffentlichte er trotz Zensur eine „Naturgeschichte“ der politischen Revolutionen, die er später mit der Entwicklung eines „Staatshumanismus“ verband. Anders als die Nation, die sich durch Ausgrenzung definiere, könne ein demokratisch-humanistischer Staat die Partizipation der Allgemeinheit an den wachsenden sozialen Reichtümern garantieren.

William Hiscott: Saul Ascher. Eine philosophiegeschichtliche Darstellung. Hrsg. von C. Schulte und M. Berendt. Wehrhahn Verlag, Hannover 2017, 796 Seiten, 48 €.

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