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Kultur: Der Regenmacher

Christiane Peitz lauscht Sven Regener in Neuhardenberg

Sage noch mal einer, der Mensch sei den Naturgewalten wehrlos ausgeliefert. Moses teilte bekanntlich die Fluten, Orpheus brachte Steine zum Weinen. Und jetzt auch noch Sven Regener. Lagert mit Element of Crime im Schlosspark von Neuhardenberg und beschwört den Himmel mit seinem DepressivoRock. „Siehst du, wie sich die die Wolken zusammen drängen /Als ob es sie da oben alleine friert.“ Es ist, als ob sie nie woanders gespielt hätten: jede Zeile eine Hommage an den genius loci. „Romantik“, ruft Regener. Klar, so heißt ihr vorletztes Album, aber an diesem Abend gibt es auf der Welt keinen romantischeren Ort als den Park von Lenné.

Kein Windhauch regt sich, die Mücken fallen dir ins Auge. die Bäume stehen schwarz und schweigen. Und die kleine Trauerweide im Schlossteich träumt einen Sommernachtstraum. „Mittelpunkt der Welt“: träge das Land, und du selbst, Regener sagt es gerade, bist verwirrt, träge und verliebt. Schwere Wolken hängen über dem Park, ungeheuer grau, ungeheuer tief, Regener schubst Trompetenstöße gegen die Himmelsdecke. „Da hinten blitzt es,“ sagt er. „Das bringt ein bisschen Spannung rein.“ Schickt Signale an den Wettergott – und wartet, dass das Haar wächst.

WM-Katzenjammer. Hitzestau. Donnergrollen. Alles so schön schwül hier. Regener ist sich seiner Verantwortung bewusst: „Wenn es losgeht, flach hinlegen, hohe Bäume meiden! Wir sind sowieso als Erste weg.“ Aber noch ist er da und trotzt den Elementen. Der Mann, der in die Kulturgeschichte eingehen wird, weil er „Getränke Hoffmann“ in einem Liebeslied verewigt hat, lässt Töne trudeln, macht schlapp, aber wie! Der Neurosenzüchter, ein Landschaftsmaler, der den Pinsel in Zeitlupe schwingt. Bloß nicht bewegen. Die Mundharmonika seufzt, Jakob Iljas Gitarre schiebt kleine Sekunden in die Dämmerung, dass es nur so wetterleuchtet. Caspar David Friedrich meets Sergio Leone: Sing mir das Lied von der Schwermut.Ab heute gilt: Seele taumeln lassen. Und Element of Crime nur noch bei 30 Grad und akuter Gewitterwarnung hören.

Ein paar Tropfen fallen, aber der Regen will auch noch ein bisschen Regener hören und zieht sich zurück. Noch zehn Minuten? Nein, zwanzig, dreißig, sechzig. „Weißes Papier“, „Delmenhorst“, Zugaben. Du ziehst die Decke über den Kopf, nun öffnen sich die Schleusen doch, Regener freut sich wie verrückt, singt von zwanzig kleinen Katzen, wird wach in seiner Müdigkeit und ruft dir nach: „Komm gut nach Hause, mach keinen Scheiß, zieh’ dir was Trockenes an.“ Wahrscheinlich spielt er immer noch, für Mars und Minerva am Friedrichsdenkmal, die die Köpfe hängen lassen und sich an ihrer Trauer berauschen, der Trauer über das verlorene Königreich der Melancholie.

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