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Kultur: Der Reim der späten Jahre

Marius Müller-Westernhagen hält mit seinem neuen Album am Deutschrock fest

Er geht in die Knie. Ballt die Faust. Wackelt mit dem Hintern. Tänzelt an die Rampe. Und singt: „Im Westen nichts Neues / Hannawald ist gestürzt / Die Börse im Keller / Deine Sorgen, deine Sorgen / Es ist an der Zeit / Dass du endlich begreifst / Dass du endlich verstehst / Dass es nicht nur um dich geht.“ Am Ende streckt er die Zunge raus, lässt sie zucken zur scheppernden Musik, wie früher Mick Jagger. Provoziert fühlt sich niemand, wieso auch. Man applaudiert gelangweilt und stochert weiter im Luxus-Menü herum.

Im Video zu seiner Single „Es ist an der Zeit“ hat Marius Müller-Westernhagen die Berliner Republik als Society-Hölle inszeniert. Ariane Sommer, Michael Naumann, Udo Walz, Benny aus der „Lindenstraße“ und ein paar hundert andere Menschen feiern in der Neuen Nationalgalerie eine müde Party, an der Decke ziehen Jenny Holzers Schriftkolonnen vorüber. Und Westernhagen gibt auf der Bühne das Rock’n’Roll-Tier. Röhrt und rüpelt, als wolle er seinen Gästen gleich in den Champagner spucken. Es ist an der Zeit, klar doch. Aufbruch muss sein, Ruck muss durchs Land gehen. Aber lasst uns erst noch das Dessert abwarten.

Marius Müller-Westernhagen, der sich seit einigen Jahren nur noch markig „Westernhagen“ nennt, will beides: Anzüge von Armani tragen und Rebell bleiben. Er ist längst Teil der Schickeria, die er in seinem Video milde karikiert, und er weiß das. Dazugehören und gleichzeitig dagegensein: das Dilemma eines alternden Rockers. 24 Jahre ist es her, dass er „Mit 18“ aufnahm, seine beste Mitklatsch-Hymne: „Mit 18 rannt ich in Düsseldorf rum / War Sänger in ’ner Rock’n’Roll-Band / Meine Mutter nahm mir das immer krumm / Ich sollt was Seriöses werden/Ich möcht’ zurück auf die Straße/ Möcht wieder singen, nicht schön, sondern geil und laut./Denn Gold findet man bekanntlich im Dreck/Und Straßen sind aus Dreck gebaut.“ Auf seinem am Montag erschienenen Album „In den Wahnsinn“ (WEA) singt er: „Ich bin ein Spießer/Doch auch Genießer/Kannst nicht behaupten / Ich sei korrupt.“ Den Erfolg – zehn Millionen verkaufte Tonträger! – nimmt er hin, aber das Unbehagen ist geblieben. Nur seine Texte werden immer schlechter.

In Interviews lamentiert der 53-jährige Sänger gerne über sein Star-Dasein und den damit verbundenen Ich-Verlust. „Es fällt mir schwer, mich in einem Business zurechtzufinden, in dem die Verpackung oft mehr zählt als der Inhalt“, sagt er dem „Spiegel“. Und gegenüber dem Musiksender Viva klagt er: „Es ist schwer zu erreichen, sich noch authentisch zu fühlen.“ Die Rede vom Authentischen und die Kritik an der Bewusstseinsindustrie entstammen der Rhetorik der siebziger Jahre. Damals schaffte Westernhagen mit „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ (1978), seiner vierten LP, den Durchbruch, die Ruhrpott-Komödie „Theo gegen den Rest der Welt“ (1980) katapultierte ihn auch in den Kinohimmel.

Musik fürs Fußballstadion

Bald begann man, die Musik Westernhagens und seiner Kollegen „Deutschrock“ zu nennen. Deutschrock war der Versuch, dem englischen und amerikanischen Pop eine eigene Mainstream-Kultur entgegenzusetzen. Musik, die genauso gut ins Fußballstadion passte wie auf die Wackersdorf-Großdemo. Von den Deutschrock-Größen sind nur noch Westernhagen, Herbert Grönemeyer und BAP übrig geblieben. Mit Grönemeyer führt Westernhagen gerade einen absurden Interviewkrieg über die Frage, wer erfolgreicher ist. Doch während Grönemeyer seine Musik rundum erneuert hat, mit TripHop- und House-Elementen experimentiert, bleibt Westernhagen Westernhagen. Authentisch sein heißt für ihn schlicht: weitermachen.

Das „Es ist an der Zeit“-Video hat Westernhagen am 22. September gedreht, dem Wahlabend. Und der Presse vorgestellt hat er sein Album am Vorabend von Gerhard Schröders Regierungserklärung. Der Musiker ist mit dem Kanzler befreundet, letztes Jahr ließ er sich von ihm das Bundesverdienstkreuz überreichen. Glanz geht von seinem Rock genauso wenig aus wie von Schröders Regierungsprogramm aus, beide wursteln sich weiter durch. „In den Wahnsinn“ ist sorgfältig imprägniert gegen die übrige Wirklichkeit. Die letzten 20 Jahre Musikgeschichte kommen auf der Platte nicht vor. Was per se nichts Schlechtes ist, es gibt begnadete Traditions-Recycler wie Dylan oder Van Morrison. Aber dann müsste da Leidenschaft zu spüren sein, ein Feuer, das im Herzen des Sängers lodert. Stattdessen: Posen. Es gibt den obligatorischen Rauh-Rock-Rumpler („Was du fühlst“), einen Skiffle-Blues („Böser Engel“), Akustikgitarren-Besinnung („Lichterloh“) und WahWah-Gitarren-Krach („Nureyev“), auch die Nummer, bei der Konzertbesucher ihre Feuerzeuge schwenken können, fehlt nicht („Die Liebe lebt“). Formate werden gefüllt, Risiken vermieden.

Vier Jahre, eine Legislaturperiode, sind seit dem letzten Album „Radio Maria“ vergangen. Bevor er „In den Wahnsinn“ einspielte, hatte sich Westernhagen für einige Monate nach Florenz zurückgezogen. Er wollte „einfach mal wieder als normaler Mensch herumlaufen“, den Kopf frei bekommen. Seiner Lyrik hat das nicht geholfen. Unverdrossen reimt er „Sie ist verlogen/Und sie nimmt Drogen“ und „Ich trat auf Minen/Mich stachen Bienen“. Rätselhaft auch der Refrain „Was du fühlst/Ist nicht immer was du fühlst/Was immer du auch fühlst“. Dabei gab es mal Zeiten, in denen er ganze Kurzgeschichten in ein paar Zeilen erzählt hat. Unser Lieblingssong stammt aus dem Jahr 1983 und geht so: „Ich lieb ’ne Friseuse/Doch meine Mutter sagte:/Wofür hast du bloß das Abitur gemacht?/Aber sie riecht so gut, Mutter / Gar nicht wie du / Und sie schneidet mir noch die Haare dazu.“ Ach, Marius.

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