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Kultur: Der Sand der Dinge

Sasha Waltz und Gäste beim Tanz im August

Von Sandra Luzina

Ehe nicht jedes Sandkörnchen einmal umgepflügt wurde, werden sie nicht aufhören. Soviel ist gewiss. Zur neuen Ausgabe ihres „Dialoge“-Projekt hat Sasha Waltz internationale Gäste in die leer stehende St. Elisabeth-Kirche eingeladen. Mit Harken bearbeiten zwei Tänzer – ein Brautpaar, das sich nicht traut – den feinen Sand, der üppig den Boden bedeckt. Die neun Performer knien, wühlen, graben sich mit Vehemenz in den Strand. Und stecken natürlich den Kopf in den Sand. Machen all das, was man mit Sand eben machen kann (Sand in den Ausschnitt streuen und langsam den Körper runterrieseln lassen), und auch das, was man sich selbst nie traute (Sand essen). Bei dem Konzept hatte Jochen Sandig, der Lebensgefährte von Sasha Waltz – beide gehören zur künstlerischen Leitung der Berliner Schaubühne –, seine Finger im Spiel.

St. Elisabeth in Mitte ist ein schöner Andachtsraum – und wird hier zur Arena. Die Zuschauer umringen die Tänzer, die einziehen, um sich in den Kampf zu werfen. Vielseitigkeitsreiten, mit dieser olympischen Disziplin könnten einige durchaus konkurrieren. Für andere trifft eher zu: Der will nur spielen. Das Entrée von Susanne Linke: konzentriert, fast andächtig. Es ist dann die Gastgeberin, die mit den Sandkasten-Kinderspielen anfängt: Sie zieht ihre Bahn durch den Sand, sie malt und zeichnet mit der Bewegung und vertieft sich dann hingebungsvoll ins Buddeln. Waltz trägt erst Schwarz, dann Weiß, streng und verspielt, draufgängerisch und auch mütterlich.

Schuhe müssen wandern, von einer Frau zur andern. Bewegungsmotive werden weitergereicht, Partner gewechselt, Küsse ausgetauscht. Freie Bewegung, freie Liebe. „Lasst uns in Liebe und Frieden vereinen". Wenn Benoit Lachambre das ins Mikro spricht, ist das nicht nur ironisch gemeint. Love and peace, der Geist bewegter und vergangener Zeiten wird hier beschworen. Denn auch die Wahl des Spielortes ist von Bedeutung: Anknüpfen will Sasha Waltz an das Judson Church Dance Theatre. In einer New Yorker Kirche trafen sich erstmals 1962 Tänzer, Musiker und Bildende Künstler. Es war die Geburtsstunde der Tanzavantgarde. Eine St.-Elisabeth-Bewegung wird es wohl kaum geben, doch Sasha Waltz schafft und behauptet ihren ästhetischen Freiraum und fällt damit aus dem Rahmen des Festivals Tanz im August.

Es sind erlesene Gäste: Benoit Lachambre, unerschrocken und durchgeknallt, demnächst im Duo mit Meg Stuart zu erleben. Die wunderbar komische, kippelnde Lisi Estarás. Oder Christopher Roman aus Bill Forsythes Company, ein feinsinniger Bewegungsillusionist, der sich hier ins Absurde gräbt. Reinhold Friedl und sein Zeitraster-Ensemble sind ein verlässlicher musikalischer Partner für Sasha Waltz, wenn sie wieder mal ins Offene navigiert. Die Musiker, auf Baugerüsten platziert, lassen zart-wuchtige Klanggebilde heruntertröpfeln oder in die tänzerischen Aktionen hineinplatzen. Ein Sound, der sich zuspitzt und wieder im Raum zerstreut. Im Oktober zieht das „Dialoge“-Projekt um in den Volkspalast. Das wird hart.

Noch einmal am 28. August, 17 und 21 Uhr, und am 29. August, 15 Uhr

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