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Kultur: Der Schock und die Bilder

Von Caroline Fetscher Als sich die Bilder der einstürzenden Türme tagelang, wochenlang in einer Spirale wiederholten, entwickelten sie die paradoxe mythologische Kraft, auf die die Attentäter spekuliert hatten: Die Gesellschaft ihrer Gegner sollte gezwungen werden, ihr eigenes Zusammenbrechen tragisch zu zelebrieren und in Entsetzen zu erstarren. Die Endlosschlaufe der Bilder eines Massenmordes sollte bei den Überlebenden - und Mitgemeinten - eine massenhafte Regression ins Reale provozieren, das Sprengen einer dem Visuellen und Virtuellen ergebenen Gemeinde der Kulturindustrie.

Von Caroline Fetscher

Als sich die Bilder der einstürzenden Türme tagelang, wochenlang in einer Spirale wiederholten, entwickelten sie die paradoxe mythologische Kraft, auf die die Attentäter spekuliert hatten: Die Gesellschaft ihrer Gegner sollte gezwungen werden, ihr eigenes Zusammenbrechen tragisch zu zelebrieren und in Entsetzen zu erstarren. Die Endlosschlaufe der Bilder eines Massenmordes sollte bei den Überlebenden - und Mitgemeinten - eine massenhafte Regression ins Reale provozieren, das Sprengen einer dem Visuellen und Virtuellen ergebenen Gemeinde der Kulturindustrie.

Ziel der Aktion war es Trauma und Hysterie zu produzieren, was zunächst gelang. Zugleich entwickelte sich bald ein anderer Impuls, mit dem die Attentäter so nicht gerechnet haben konnten, denn er passt nicht in ihr Konzept vom Sündenbabel: Die Gesellschaft, deren Symbole zum Einsturz gebracht wurde - wie Monate zuvor die Twin-Buddhas in Afghanistan - reagierte mit robuster Solidarität, erhitztem Nationalstolz und kollektiver Trauer quer durch Schichten und ethnische Gruppen. Sie versicherte sich nahezu inflationär ihrer traditionellen Symbole - Flaggen, Choräle, Hymnen. Eine gelingende Resymbolisierung stellte dieser Reflex jedoch noch nicht dar.

Relativ rasch regten sich dann in New York Künstler und Galeristen, es gab Ausstellungen mit Fotografien von Feuerwehrleuten, Kinderzeichnungen, Ground-Zero Abstraktionen und Konkretionen. Berlin hat jetzt ebenfalls eine Suche nach ästhetischen Antworten eingeläutet. In Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Lettre“ ist die Ausstellung „Der Schock des 11. September und das Geheimnis des Anderen“ zu sehen. Im Katalog der beiden Projektmacher finden sich unter Dutzenden von Beiträgen Autoren wie José Saramago, Paul Virilio - im Gespräch mit Lettre-Herausgeber Frank Berberich - und Susan Sontag, Abbildungen von Rebecca Horn, Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Lawrence Weiner, Michelangelo Pistoletto und Marina Abramovic. Grundtenor der Bild-Text-Anthologie soll - auch - die Skepsis gegenüber schlichten Deutungen sein, gegenüber bedenkenloser USA-Anhängerschaft und einem behaupteten Clash von Moderne und „Mittelalter".

Erstaunlicherweise sprach auf der Vernissage am Sonntag, neben der Galeristin Karin Pott, auch Innenminister Otto Schily, der in staatsmännischer Diktion, gesetzt und langsam die „Ausdruckskraft und Wahrhaftigkeit“ der Exponate pries, wie den Behauptungswillen der Kunst für „eine andere Realität". Mit Hilfe der Kunst, erklärte er, „kann es gelingen, manche Lethargie, manchen Fatalismus und manche Neigung zur Panik zu überwinden und uns auf unser Menschenbild zu besinnen“, sowie auf „eine Kultur gegenseitigen Respekts". Die Lösungen der Künstler sind vielfältig, sie scheuen nicht vor Patchworking zurück. Gemeinsamer Nenner ist allenfalls eine begrüßenswerte Tendenz zur Andeutung, Abstraktion, kleinen Gesten, kleinen Formen.

In den Texten findet sich ein Kaleidoskop teils durch die Nachseptember-Feuilletons bekannter Annahmen und Analysen, deren Schwerpunkt das Verstehenwollen des Unverständlichen - Islam, Terror, Antiamerikanismus, Antiurbanismus, Globalisierungsangst. Die Ambivalenz gegenüber den USA drückt sich in rührender Klarheit in einem Essay des Teheraners Mohsen Makhmalbaf aus, der sich fragt, warum die USA, die jederzeit Kuwait erobern könnten, den Millionen Frauen Afghanistans nicht zu Hilfe kamen. Weil Afghanistan keine wertvollen Rohstoffe besitzt, ist seine Antwort auf die eigene Frage.

Rührend ist dies, weil einerseits der Interventionismus kritisiert, andrerseits gefordert wird. Hätten die USA Afghanistan den Mädchen und Frauen zuliebe attackiert, wäre die Kritik dieselbe gewesen. Die Frage lautet doch: Warum ist eine ganze, westliche Welt, warum sind Feministinnen, Demokraten nicht für Afghanistans Frauen auf die Straßen gegangen? Wo war unsere Aufmerksamkeit und unser Mitempfinden? Diese Frage stellt auch die -sehenswerte - Ausstellung zum „Schock des 11. September“ nicht.

Galerie am Lützowplatz, bis 21.7.; Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr.

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