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Kultur: Der Schönbergschüler und die rote Partei

Mordecai Bauman gedenkt seines 23.Geburtstags gern.

Mordecai Bauman gedenkt seines 23.Geburtstags gern.Man schreibt das Jahr 1935, und der junge Absolvent der Juilliard School tritt als erster amerikanischer Eisler-Sänger zusammen mit dem Komponisten am Flügel in New York auf.Die Tournee führt durch 50 amerikanische Städte.Jetzt sitzt "Mordy", 86jährig ein gewitzter Geschichtenerzähler, als Ehrengast im Berliner Institut für Musikforschung, wo die Internationale Hanns Eisler Gesellschaft ihr "Erstes Internationales Hanns Eisler Kolloquium" begeht.Bauman hat den Solidarity-Song in den USA bekannt gemacht und die "Moorsoldaten" als einziges Lied hier und da in deutscher Sprache gesungen.Eisler lebt in seiner Erinnerung als ungeheuer unterhaltsam "and very serious", voller Energie, nachlässig in der Kleidung, kein guter Pianist, aber "a great performer".Warum "Die Mutter" in Amerika nicht ankam, weiß der Beobachter noch genau: eine Company mit guten Akteuren, aber Fehlbesetzungen, keiner habe Brecht verstanden.

Doyen des Berliner Kongresses, zu dem Thomas Ertelt als Institutsdirektor und Wolfgang Hufschmidt als Präsident der Eisler Gesellschaft die Teilnehmer begrüßen, ist der 88jährige Musikforscher Peter Gradenwitz aus Tel Aviv, der in seiner Geburtsstadt Berlin auf Empfehlung Schönbergs bei Josef Rufer und Hanns Eisler Unterricht genossen hat.Auch hier geht die Erinnerung über das Anekdotische - daß eine "Nachtmusik für Mausi" als Titel "für die arbeitende Bevölkerung" unmöglich sei - hinaus.Wie Eisler Partituren auf den ersten Blick zu beurteilen pflegte, kommt zur Sprache, ebenso die "Güte", mit der er Lehrreiches vermittelte.Gradenwitz selbst stellt zum Schluß sein Buch "Arnold Schönberg und seine Meisterschüler in Berlin 1925-1933" vor, das demnächst beim Paul Zsolnay Verlag in Wien erscheinen wird.

Hanns Eislers Töne Schritt für Schritt analysierend, tritt der Schweizer Pianist Christoph Keller am hellen Morgen sogleich ins Zentrum der Musik.Ein Seminar für Eingeweihte über zwei der frühen Klavierstücke, die "klassische" Sonate Opus 1, drei Klavierstücke aus Opus 8: der Referent weist den Weg, den der Komponist Hanns Eisler hin zu seinem Lehrer Arnold Schönberg und von ihm weg genommen hat.Der polyphon gedachte Satz, die Auflösung der Tonalität vor dem Studium bei Schönberg: eine verblüffend selbstbewußte Grazie tönt dem Hörer aus den Aphorismen entgegen, indes das Opus 1, "Arnold Schönberg in größter Verehrung gewidmet", eben schon als Klassiker vorausgesetzt wird.Eine Expertenschar rund um den Flügel darf im Sinnen darüber verweilen, wie Eislers Vortragsbezeichnung "mit Humor" in der Wiener Schule gemeint sein mochte.Zum leichteren Charakter von Opus 8, den Keller aufzeigt, bleiben lauter Fragezeichen, wie sie sich nur dem Kennerblick vermitteln.Und der Referent hat die wunderbare Offenheit, sie im Raum des Nachdenkens stehen zu lassen.Musiziert wird am Abend des zweiten langen Kongreßtages: Kellers Interpretation der erwähnten Klavierwerke bleibt haften wie Karl Leisters vielfarbige Klarheit in dem "Moment Musical" (1947) für Klarinette, dazu Lieder, wie Peter Siche und Gisela Mey sie singen, während der exaltierte Vortrag von "Mutter Beimlein" durch Gina Pietsch das Stück eher verkleinert.

Zwölftontechnik: Leben und Werk sind hier nicht zu trennen, weil dies Thema das zeitlebens ambivalente Verhältnis Eislers zu Schönberg einschließt.Hartmut Fladt zitiert dazu die signifikanten Auslassungen des Schülers: "Hochverehrter Meister! Sie können sich denken, wie ich mich über all dies freue.Sie haben sich jahrelang geplagt und geärgert mit mir ...Ich verdanke Ihnen also alles." Und der Kontrast im Tagebuch: "Schönberg besitzt die unglaublichste Abstraktion.Er könnte so von der Technik des Reisens reden, daß man ihm nicht eine Ansichtskarte schicken möchte ...A.S.verlangt eine Hingabe an seine Sache wie die katholische Religion." Dem "Reaktionär" und "Spießbürger" aber dediziert Hanns Eisler zum 50.und zum 70.Geburtstag Kompositionen, deren Reihen unter anderem mit dem Monogramm "A-Es" spielen, wie Hartmut Fladt in kundiger Analyse ausbreitet.

Über die Genauigkeit und "Haltungen" der Eisler-Interpretation weiß Gerd Rienäcker viel Widersprüchliches: Warum verbindet der Komponist eine Vortragsanweisung "mit Schmalz" zum Beispiel einem Pianissimo? Die spannendste Aufklärung in diesem Themenkreis gelingt Karoly Csipak, indem er dem Auditorium anhand der Brecht-Vertonung "Anmut sparet nicht noch Mühe" mit dem Zitat der DDR-Nationalhymne den "Nichtsänger" Eisler nahebringt: einleuchtende Musik, obwohl oder gerade weil ihr Schöpfer "falsch" singt wie er als Komponist "falsch" betont, nämlich unwichtige Wörter.Er akzentuiert Auftakte und "singt Tonleitern nicht wie Tonleitern, sondern als Motiv, als musikalische Substanz".Der asthmatische Nichtsänger stellt alle Berufssänger in den Schatten.

Wo über Eisler verhandelt wird, kann der Film nicht fehlen.Dabei spricht Albrecht Dümling zur Filmästhetik von dramaturgischem Kontrapunkt und Illustration der Musik, die bei Eisler beide zu finden sind.Obwohl der Emigrant Eisler in Hollywood "Brotarbeit" leistet, findet sich unter den acht Spielfilm-Partituren doch Interessantes.So Jürgen Schebera, der seine These mit Ausschnitten aus "None but the Lonely Heart" und "The Woman on the Beach" unterstreicht, sich aber auch nicht scheut, den Piratenfilm - "Schwachsinn" (Eisler) - "The Spanish Main" zu zeigen: "Die Musik erfüllt alle Forderungen des Genres."

"Eisler kontrovers" meint den politischen Komponisten aus der Sicht nach dem Untergang der DDR.Während Mathias Hansen kritisiert, daß Eisler, gebunden an eine Partei, mit dem Marxismus als realistischer Musiker gescheitert sei, sagt Günter Mayer, Marxismus sei nicht gleich DDR und Eisler nicht unempfindlich gegenüber den grausamen Seiten des Kommunismus.Konrad Boehmer aus Amsterdam wendet ein, wieviele Komponisten ideologisch falsch gelegen hätten, Reinhold Brinkmann aus Boston warnt jedoch davor, den Politiker Eisler zu vergessen.In der Tat sind die gesellschaftlichen Probleme nicht gelöst, und Boehmer sieht, daß Marx "jeden Tag ein bißchen wahrer" werde.Einigkeit besteht darin, daß der Komponist aus der politischen Orientierung der Kampfmusik Originalität gezogen hat.Es sollte eigentlich keine Historiker-Diskussion werden, aber der Komponist Friedrich Schenker bezeichnet Eisler als "tragische Figur", indem er fragt: "Wer ist heute das Proletariat?" Albrecht Betz bleibt dabei, Eisler den "großen Aufklärer" zu nennen.Eisler kontrovers.Junge Ensembles aber verschreiben sich heute dem Komponisten, und nicht unpolitisch ist Schenkers schönes Schlußwort von der Eigenart des Musikers Eisler: das Vermittelnde, beim Publikum die Zwölftontechnik populär zu machen, gilt ihm als "Freundlichkeit den Menschen gegenüber.Das gefällt mir, hängt sehr mit Brecht zusammen."

Im Fachbereich Germanistik der FU hat die Arbeitsstelle der Hanns Eisler Gesamtausgabe (HEGA) Unterschlupf gefunden, da der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott das interdisziplinäre Vorhaben unter seine Obhut geholt und zusammen mit Albrecht Dümling und Christian Martin Schmidt die Editionsleitung übernommen hat.Es sei ein work in progress, sagt Hartmut Fladt, und was das heißt, kann ein wissenschaftlicher Vormittag höchstens antippen: ungewöhnlich und für diesen Komponisten zwischen Film und Konzertmusik typisch ist die "Vernetzung" der Quellen.Das Werk ist ohne Zahl, weil sich immer wieder Neues findet.Volker Helbing erläutert, wie er gerade zwischen der Filmmusik zu "The Living Land" (1939) und dem ersten Nonett herumtüftelt.Die Diskussion erhitzt sich um die Begriffe "historisch-kritisch" und Quellenmischung.

Eine Gesamtausgabe ist im Auftrag der Akademie der Künste der DDR seit 1963 in Angriff genommen worden und naturgemäß Torso geblieben.Seit das Land Berlin das Material für die Stiftung Archiv der Akademie der Künste erwerben konnte, hat sich zum Glück ein ost-westliches, generationenübergreifendes Herausgeber-Team zusammengerauft, das wechselseitig profitiert.Neue Richtlinien müßten von allen akzeptiert werden, so Mattenklott, weil eine Ausgabe für künftige Generationen zu erstellen sei.Man spricht schon von CD-ROM-Zusätzen.Allein zehn Schriftenbände sind geplant.Als Sachwalter arbeiten daran unter anderen die junge Friederike Wissmann und Günter Mayer, der schon bei der "textkritischen" Ausgabe der DDR dabei war und seine Erfahrungen "im freien Fall ohne Editionsrichtlinien" gemacht hat, immerhin mit "jedem Schnipsel".

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