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Kultur: Der Schrieb von Bagdad

Harald Martentein über das sehr dicke Buch von Saddam Hussein Der König von Samarkand, der Schariar hieß, nach anderen Quellen Sheherban, nach wieder anderen Quellen Schacherbas, nach noch anderen Quellen noch anders, war mal eben kurz wohin gegangen. Als er wieder ins königliche Wohnzimmer trat, fand er seine Gemahlin „in vertrautem Umgang mit einem Sklaven“, wie es in den Quellen heißt.

Harald Martentein über das

sehr dicke Buch von Saddam Hussein

Der König von Samarkand, der Schariar hieß, nach anderen Quellen Sheherban, nach wieder anderen Quellen Schacherbas, nach noch anderen Quellen noch anders, war mal eben kurz wohin gegangen. Als er wieder ins königliche Wohnzimmer trat, fand er seine Gemahlin „in vertrautem Umgang mit einem Sklaven“, wie es in den Quellen heißt.

Der König fand das nicht gut. Er fuhr zu seinem Bruder. Als er bei seinem Bruder aus dem Fenster schaute, sah er unten im Hof die Frau seines Bruders, die vertrauten Umgang mit gleich mehreren Sklaven hatte, alle übrigens schwarz. Der König war jetzt richtig sauer. Er ging in den Wald, um sich zu beruhigen. Dort wurde er von einem weiblichen Geist dazu aufgefordert, vertrauten Umgang mit ihr zu haben. Der weibliche Geist war von einem männlichen Geist aus Eifersucht in eine Kiste gesperrt worden, aber sie hatte sich befreit und ihre Devise lautete: jetzt erst recht. Sie prahlte damit, dass sie bereits mit 98 Männern vertraut gewesen sei, mit dem König und seinem Bruder wären es dann 100 und aus diesem Anlass würde sie mit viel Remmidemmi ein Waldfest mit Kulturprogramm veranstalten.

Der König hatte jetzt aufgrund seiner Erfahrungen von den Frauen insgesamt eine schlechte Meinung. Er sagte: „Wahrlich, sie erzählen uns Lügen und sind auch noch stolz drauf.“ Er fuhr heim, ließ die Königin hinrichten und sich fürderhin an jedem Abend eine Jungfrau in den Palast liefern. Am Morgen wurde sie dann geköpft, nach anderen Quellen erwürgt. Sheherazade aber erzählte dem König während der Nacht eine Geschichte, eine Lüge zwar, aber eine schöne. Deshalb ließ der König sie leben. Nach 1001 Nächten sah die Leistungbilanz bei Sheherazade deutlich besser aus als bei den meisten anderen Kulturschaffenden:

– Zahlreiche Menschenleben gerettet, Ende des Köpfens und Erwürgens

– Aus einem tyrannischen Herrscher einen pflegeleichten gemacht

– Der König liebt sie. Der König hat jetzt generell viel Verständnis für Frauen und Frauenprobleme

– Einen sehr langen Klassiker der Weltliteratur verfasst

Das SaddamHussein-Schreibteam hat über die Waffen seines Landes Irak für die UN 11 807 Seiten geschrieben. Zum zweiten Mal versucht somit ein erzählerisch begabter Mensch aus dem Orient, sein Leben zu retten, indem er eine ungewöhnlich lange Geschichte erzählt. Es ist alles auffällig ähnlich wie in Tausendundeiner Nacht:

Der Adressat des Buches, de facto George W. Bush, will die Geschichte eigentlich nicht hören. Der Adressat des Buches hat vom Verfasser eine sehr schlechte Meinung. Bush sagt über Saddam das Gleiche, was auch der König über die Frauen sagt: „Er erzählt Lügen und führt uns an der Nase herum.“

Beide Bücher sind deshalb so lang, weil ihre Verfasser Zeit gewinnen wollen. Die Geschichten in beiden Büchern sind vielleicht erfunden, aber sie müssen gut erfunden sein. Denn das ist die Botschaft der Sheherazade: Eine gute Lüge ist immer nützlicher als eine schlechte Wahrheit. Literatur und Politik gehorchen dem gleichen Prinzip.

Diese Geschichte hier ist wirklich passiert: Neuerdings hat Saddam Hussein eine eigene Homepage und eine Internetadresse, an die man Mails schicken kann ( press@uruklink.net ). Ein Mitarbeiter von „Wired“, einer Computerzeitschrift, hat Saddams Mailbox geknackt und seine Privatpost gelesen. Das war kinderleicht, weil sie im Irak von solchen Sachen keine Ahnung haben. Im Internet schreibt dieser Mensch, dass Saddams Mailbox von Waffenangeboten aus aller Welt überquillt. Ein Chinese hat Saddam geschrieben, er solle ruhig seine Waffenarsenale vernichten, anschließend aber in einen bestimmten Laden in Riad in der Soundso-Straße gehen. Dort könne er ein Nervengift kaufen, mit dem er ganz Amerika umbringen kann. Ein Unternehmer aus Las Vegas hat der irakischen Armee eine Großlieferung Feuerlöschflüssigkeit angeboten. Saddam war allerdings mit dem Buch für Bush so beschäftigt, dass er beiden Briefschreibern noch nicht geantwortet hat.

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