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Kultur: Der Schrittmacher

Seitdem der wahlkämpfende Gerhard Schröder seinen Schattenstaatsminister Michael Naumann die politische Bühne betreten ließ, hat das Feuilleton die Kulturpolitik wiederentdeckt.Die Kohl-Ära hat durch ihren Kurs der Leisetreterei und Diplomatie der Kultur als res publica das genommen, was sie braucht wie die Luft zum Atmen - die Öffentlichkeit.

Seitdem der wahlkämpfende Gerhard Schröder seinen Schattenstaatsminister Michael Naumann die politische Bühne betreten ließ, hat das Feuilleton die Kulturpolitik wiederentdeckt.Die Kohl-Ära hat durch ihren Kurs der Leisetreterei und Diplomatie der Kultur als res publica das genommen, was sie braucht wie die Luft zum Atmen - die Öffentlichkeit.Die politische Agenda einer Bundeskulturpolitik muß deshalb erst wieder in Erinnerung gerufen werden.Zu sehr ist die auch im Grundgesetz verankerte Bundeskompetenz in Vergessenheit geraten.Der Start ins tagespolitische Geschäft von Michael Naumann sieht aber keineswegs einfach aus.Es ist bekannt: ehe sich Verwaltungen nach politisch bedingten Umzügen zurechtfinden, vergeht wertvolle Zeit.Auf der Habenseite kann Naumann die Einsetzung eines Kulturausschusses vermelden.Es gehört zu den traurigen Kapiteln der konservativ-liberalen Kulturpolitik, in ihrer Schlußphase auf ein parlamentarisches Gremium verzichtet und die Geschicke der Kultur in die Hände von Ministerial- und Regierungsräten gelegt zu haben.

Die erste Aufgabe Naumanns ist darum die des Reparateurs.Er hat alte Versäumnisse aufzuholen.Erst dann ergeben sich weitere Profilierungsmöglichkeiten.

Der Ordnungspolitiker

Schon lange sind fehlende ordnungspolitische Schritte zu beklagen, um adäquat auf den Globalisierungsprozeß reagieren zu können.Hier wird nicht nur eine Antwort auf die Frage gesucht, ob die föderale Struktur der staatlichen Kulturförderung heute noch ausreicht, um ein vitales kulturelles Leben zu sichern.Es geht auch um ein staatsferneres Stiftungsrecht, steuerrechtliche Rahmenbedingungen, die den öffentlichen Stellenwert der Kultur entsprechen.Es geht um die Reform der Künstlersozialkasse vor allem mit Blick auf Bildende Künstler, arbeitsrechtliche und steuerliche Rahmenfragen für Künstler, die Gastspiele in Deutschland geben, und um einen Urheberschutz, der die Freiheit künstlerischen Schaffens garantiert.

Bleiben wir beim letzten Beispiel: Ein Gesetzentwurf zum Urhebervertragsrecht wird bis heute vermißt.So sollten Ansprüche, die durch digitale Techniken bedingt nicht auf individuelle Urheber zurückgeführt werden können, kulturfördernd eingesetzt werden.Hier sind erhebliche Summen zu erwarten, die bestimmten kulturellen Szenen neue Impulse und damit das Überleben sichern würden.

Der Moderator

Mit der Berufung Naumanns wird auf einen gravierenden Mißstand der Kohl-Regierung reagiert.Auch die Bundespolitik braucht für die Kulturschaffenden, die Kultur- und Medienwirtschaft einen kompetenten Ansprechpartner und Akteur im nationalen und internationalen Feld.In Brüssel mischen 16 Vertreter der Bundesländer mit, wenn es um die Umsetzung der kleinen europäischen Kulturprogramme geht.Übersehen wird dabei häufig die intelligente Ausnutzung der viel besser ausgestatteten Strukturfonds für Kulturzwecke durch andere Mitgliedsländer.Hier sind die Kultusminister der Länder aber nicht zuständig.Der koordinierende Überblick auf der Bundesebene kann hier viel bewirken.Noch deutlicher wird das im Mediensektor.Die deutsche Filmwirtschaft hat sich schon oft die Augen gerieben, wenn auf den großen europäischen Festivals die deutsche Politik von Ministerialräten oder bestenfalls einem Parlamentarischen Staatssekretär vertreten wurde.Die faktische Machtfülle der großen Kino-, Video und Fernsehmärkte in Deutschland schafft genug Legitimation, mit lauter Stimme die Strategien für Produktions- und vor allem Vertriebsförderung in Europa mitzubestimmen.Der übermächtigen amerikanischen Konkurrenz kann man jedoch nicht in Hollywood, wohl aber in Brüssel etwas entgegensetzen.

Der Vernetzer

Michael Naumann hat zwar Kompetenzen aus anderen Ministerien bündeln können.Dennoch birgt die von ihm betriebene Zentralisierung Gefahren.Er braucht Partner in anderen Ministerien, in Ländern und Kommunen.Er ist darum gut beraten, die relevanten Ressourcen zu vernetzen.Dafür wird er auf neu zu formulierende kulturpolitische Leitlinien zurückgreifen müssen, schon um nicht in den Verdacht einer postmodernen Bauchladenpolitik zu geraten.Solche durch das Kabinett zu verabschiedenden Leitlinien ermöglichen eine Wiederbelebung vielfältiger, über eigene Zuständigkeiten weit hinausreichender Bereiche, die das kulturelle Klima Deutschlands positiv beeinflussen können.Mit den Goethe-Instituten im Auswärtigen Amt, der Bundeszentrale für politische Bildung im Innenministerium und der Kinder- und Jugendkulturarbeit im Jugendministerium gibt es zum Beispiel Schnittstellen, über die der neue Staatsminister Wirkung entfalten kann.Naumanns kritische Einlassungen zu den unsere Kultur stark beeinflussenden amerikanischen Inhalten träfen hier auf strategische Betätigungsfelder.

Der Förderer

Wer an die zähe Vereinigung des PEN und die kulturellen Distanzen zwischen Ost und West denkt, die sich zum Beispiel in der Popularität der PDS zeigen, kommt um die Herausforderung einer Kulturunion nicht herum.Die Deutschen haben mit erstaunlichem juristischen Geschick eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion auf den Weg gebracht.Die Kulturunion aber, ein damit einhergehendes gegenseitiges Verstehen und wachsendes Selbstverständnis eines wirklich vereinten Volkes, wurde bisher als politisches Thema wenig differenziert behandelt.

Hier könnte Naumann moderieren, vermitteln, anregen, ohne daß ihn das zunächst Haushaltsmittel kostet.Könnte er zusätzliche oder umzuverteilende Mittel einsetzen, bietet sich vor allem der Umbau des bisherigen sogenannten Leuchtturmprogramms zu einem flexiblen Infrastruktursicherungsprogramm für die Neuen Länder an.In der Folge des Einigungsvertrages mit der leider viel zu früh beendeten Übergangsfinanzierung von Kultureinrichtungen sind einige davon in dem dürftig ausgelegten "Leuchtturmprogramm" weiter finanziert worden.Die ostdeutschen Regionen brauchen vor allem im baulichen Bereich noch über längere Zeit hinweg Unterstützung.Sie müssen sich aber im Gegenzug auf eine Evaluation ihrer Ressourcen einlassen, um qualitativen Ansprüchen zu genügen.

Der Platzhalter

Öffentliche Debatten um kulturpolitische Initiativen benötigen historische Rückkopplungen.In Naumann hat die rot-grüne Regierung eine kompetente Person, diesen Spagat durchzuhalten.Zum sorgfältigen Umgang mit der Geschichte gehört neben dem Holocaust-Mahnmal ein verantwortlicher Umgang mit den ehemaligen Konzentrationslagern als Gedächtnisorten mit Museumscharakter.In der Opposition hat die SPD ein Gedenkstättenkonzept eingefordert.Jetzt ist sie selbst in der Pflicht.Bei der Denkmalpflege muß der abgewählten Regierung ein gewisses Gespür bescheinigt werden.Sie hat zwar versäumt, die Rahmenbedingungen im Steuer- und Baurecht zu verbessern, hat jedoch im Gegensatz zu etlichen sozialdemokratisch regierten Ländern den Einsatz von finanziellen Mitteln nicht gescheut.Eigene Überlegungen verbunden mit dem Einfluß auf die Länder und der Fortsetzung der Schwerpunktförderung in den neuen Bundesländern können Naumann Respekt verschaffen.Der unter Kohl sprunghaft gewachsene Mittelansatz für die Kulturarbeit der Vertriebenen sollte nicht unkritisch zurückgenommen werden.Schließlich muß auf die zahlreichen - vom Bund mitfinanzierten - Archivbestände hingewiesen werden.Durch interdisziplinäre, internationale Forschungsprojekte kann Archivgut qualifiziert, zugänglich und damit öffentlich gemacht werden.

Der Gestalter

Zu Naumanns beachtlichsten Aktionen gehört das mit dem Kanzler abgestimmte Wahlversprechen, schon 1999 die Mittel für Berlins Hauptstadtvertrag auf 120 Millionen Mark zu verdoppeln.Das wird für den ab 2000 neu abzuschließenden Vertrag nicht ausreichen, ist aber eine gute Ausgangsbasis.Naumann kann den durch die Finanzkrise Berlins quasi lahmgelegten und wenig glücklich agierenden Kultursenator herausfordern, eine zukunftsträchtige Infrastruktur zu entwickeln.Dabei muß den Berlinern deutlich gemacht werden, daß es dem Bund nicht um eine Regierungsabgabe oder ein Armenopfer geht.Der Hauptstadtvertrag ist Gestaltungsinstrument.Der Bund, der heute schon weit über 300 Millionen Mark in die kulturelle Infrastruktur Berlins steckt, der mit den Regierungs- und Parlamentsbauten zusätzlich rund 60 Millionen Mark in Kunst-am-Bau-Projekte fließen läßt, braucht sich nicht zu verstecken.Nimmt Naumann diesen Gestaltungsanspruch wahr, wird er sich nicht auf eine Pauschalfinanzierung einlassen, die in den Schuldentrichtern der Berliner Finanzsenatorin versickert.Er wird sich vielmehr die Chance nicht entgehen lassen, neben den zu fördernden aufwendigen Institutionen eigene Glanzpunkte zu setzen und die Bundeshauptstadt in kultureller Hinsicht weiter zu profilieren.

Der Stratege

Die Chancen für eine stringente und erkennbare Bundeskulturpolitik stehen im Grunde nicht schlecht.Mit Michael Naumann ist ein Quereinsteiger zum Zuge gekommen, der mit noch ungetrübtem Blick über die tagespolitischen Widrigkeiten hinausblicken kann.Er kann mit seiner politikferneren Herkunft in den anstehenden Debatten den richtigen Ton treffen.Er wird aber auch der Gefahr trotzen müssen, vom politischen Alltag vereinnahmt oder zum bloßen Verlautbarungspolitiker zu werden.Gerade die gewachsene Aufmerksamkeit in den Feuilletons kann zu unachtsamen Schnellschüssen und falschen Signalen verleiten, die sich später nur schwer korrigieren lassen.Für eine durchsetzungsfähige, die Erwartungen und Versprechungen einlösende Kulturpolitik muß eine konturenscharfe Strategie entwickelt werden.Dafür hat auch Michael Naumann, wie jedes andere Kabinettsmitglied, seine hundert Tage Vertrauensvorschuß

Der Autor war in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag und früher Jugendsenator in Berlin

THOMAS KRÜGER

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