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Kultur: Der Seelenfleischer

Die Hamburger Kunsthalle zeigt Francis Bacons Porträtkunst in einer spektakulären Ausstellung

„Ich will absolut keine Freaks malen“, hat Francis Bacon immer wieder gesagt. Genützt haben ihm diese Beteuerungen wenig. In die Kunstgeschichte ist Bacon (1909–1992) als der Maler des entstellten Menschen eingegangen, der Monstervisagen und verdrehten Körperglieder. Noch jede Ausstellung mit Werken des bedeutendsten britischen Künstlers des 20. Jahrhunderts hat gegen dieses Negativimage anzukämpfen versucht, seine Kunst als sensible Beobachtung innerer Bewegtheiten interpretiert und sein Bild vom Menschen als einen humanistischen Akt erklärt. Und doch bedient sich noch jede Ausstellung jenes Gruseleffekts, angestachelt von der skandalumwitterten Vita des Künstlers, der seine Männerliebschaften öffentlichkeitswirksam ausgelebt hat.

Auch die Hamburger Schau kann es nicht lassen, auch sie spielt die Doppelrolle von Voyeur und Verteidiger. Allerdings auf einem Feld, von dem man kaum glauben mag, dass es in der Bacon-Rezeption bislang unbearbeitet blieb. Erstmals widmet die Kunsthalle eine Ausstellung ausschließlich den Porträts des Malers, in denen sich eigentlich immer schon das ganze Geheimnis seiner Kunst, die Formel seines Sehens verdichtet hat. Mit der Konzentration auf das Motiv des Bildnisses, der großartigen Versammlung von über fünfzig Köpfen, ist dem Hamburger Haus ein kunsthistorischer Coup und zugleich ein Ausstellungs-Highlight dieses Herbstes gelungen.

Nie zuvor hat man Freunde, Liebhaber und Künstlerkollegen Bacons so dicht in einem Bilder- und Beziehungsnetz miteinander verwoben gesehen; nie zuvor war die psychologisierende Beobachtungsgabe des Malers so genau zu studieren. Eigentlich brauchte Bacon seine Modelle gar nicht erst ins Atelier zu bitten. Schließlich hatte er sich bereits ein inneres Bild von seinem Gegenüber gemacht, das er mit Hilfe von Fotografien nur noch konkretisierte. So erging es auch dem Malerfreund Lucian Freud, mit dem er sich wechselseitig porträtierte. Zu dessen Überraschung fand Freud bei der ersten Sitzung im Studio bereits ein fast vollendetes Bildnis vor, das der Maler, animiert von einem Foto Franz Kafkas, auf die Leinwand gebracht hatte.

Der Verdacht liegt nahe, dass Bacon immer nur das eine Bildnis malen wollte: sich selbst. Wer seine Porträts im Geiste Revue passieren lässt, bei dem verdichten sich die Gemälde in der Tat unweigerlich zu dem einen verknautschten Konterfei. In der Kunsthalle lassen sich nun subtil die Unterschiede im Personal erkennen; die sich über die Jahre ändernde Umsetzungsweise ist durchaus zu unterscheiden. In einem aber bleiben sich Bacons Bilder in all der Zeit, bei allen Dargestellten gleich: im zutiefst menschlichen Vorgang, im anderen letztlich das eigene Ich zu suchen.

Gerade darin besteht auch die Faszination der Hamburger Ausstellung. Sie präsentiert zwar museal vorbildlich den Maler und seine Bilder, lässt ein wenig gossip zu und lüftet das ein oder andere Geheimnis der derangierten Physiognomien. Am Ende aber konfrontiert sie den Besucher mit sich selbst. Und mit der dauerhaften Ahnung des Todes im Leben. In einem der frühesten Bildnisse, jenem Porträt von Lucian Freud, öffnet sich bereits eine schwarze Türe nach hinten. Das Motiv der alles verschluckenden Finsternis, des dunklen Lochs kehrt neben den sonderbaren Podesten und Sitzmöbeln, der architektonisch aufgespannten Lineatur bis Anfang der Neunzigerjahre immer wieder. Bacon, der gern als existenzialistischer Maler bezeichnet wird, hat hier die Bildformel schlechthin für die Sartre’sche „Geworfenheit des Menschen“ gefunden. Dieser sitzt, steht, liegt auf der Bühne des Lebens, er windet sich und schreit – und wird trotzdem wieder verschwinden.

Bacon konstatiert diesen Zustand, scheinbar ohne Anteilnahme. Die Kühle seiner zweifellos dramatischen Bilder wird noch eisiger, wenn man um das Schicksal der Dargestellten weiß. Der Künstler selbst wollte die Personen allerdings in den meisten Fällen in der Anonymität belassen; sein am häufigsten gebrauchter Bildtitel lautet „Study for a Head“, als versuchte er, mit dem Begriff „Studie“ zugleich die Vorläufigkeit und den Abstrahierungsgrad seiner Beobachtungen zu unterstreichen. Aber auch das nützte ihm wenig, die Forschung enthüllt gnadenlos, was ihm zumindest in der Kunst als Privatissimum galt. So wissen wir von „Study for a Portrait“ (1953), das den Ausgangspunkt der Ausstellung bildet, dass es einen weiteren verflossenen Liebhaber Bacons zeigt. Nicht irgendeinen, sondern ein honorables Mitglied der britischen upper class mit Sitz im Londoner Magistrat, der in den Dreißigern für den Maler Frau und Familie aufgab. Wie bei Bacons berühmten schreienden Päpsten reißt dieser Anzugmann der Serie „Men in Blue“ in dem ein Jahrzehnt nach Ende der Affäre gemalten Bild den Mund zu einem grotesk übertriebenen Lachen auf. Die unterdrückte Emotion findet ihren Ausgang im exaltierten Lachen, das die verquere Situation umso sichtbarer macht. Dieses Gefühl der Angespanntheit, die kurz bevorstehende Explosion prägt sämtliche Bilder Bacons. Sein erklärtes Ziel war : „Ventile des Gefühls öffnen oder, wie ich wohl besser sagen sollte, entriegeln und dadurch den Betrachter mit gesteigertem Gefühl in das Leben zurückschicken“.

Von gelebtem Leben aber erzählen sämtliche Bildnisse, ihre verrutschten Visagen sind alle durch den Schleudergang der Gefühle gegangen. Ähnlich wie bei Picasso, dem anderen großen Porträtisten des 20. Jahrhunderts, der diesem längst verabschiedet geglaubten Genre noch einmal Bedeutung verlieh, sprechen die Bilder vor allem vom Verhältnis des Künstlers zum Dargestellten, sie verstehen sich kaum noch als Abbildung. Zu den am häufigsten gemalten Figuren gehören die beiden Liebhaber Peter Lacy und George Dyer, die sich jeweils am Vorabend großer Retrospektiven des Künstlers das Leben nahmen. Die eine Schau organisierte die Londoner Tate, die andere zehn Jahre später das Pariser Centre Pompidou. Wer sich den Bildern nähert (in der Reproduktion lässt sich dies kaum erkennen), spürt das Fleischliche, ja das Vibrieren der Farben, das Bacon durch den ungeschlachten Auftrag seines Pinsels und das danach sanfte Verreiben mit dem Lappen oder Pulloverärmel erzielt. Jeder Strich, jede Fläche ist der Leinwand abgerungen, denn Bacon malte stets auf die raue Rückseite eines grundierten Tableaus.

Schamlos, Schicht für Schicht versuchte Bacon dem Dargestellten, sich selber näher zu kommen. Wer vor seinen Bildern steht, vor den aufgerissenen Augen, den klaffenden Mündern, schaut die Abgründe, den Schrecken. Die Entstellungen zeigen Bacons eigene Wunden. Freaks wollte er nicht malen. Es sind Wracks, die schmerzlich viel Seele zeigen.

Kunsthalle Hamburg, bis 15. Januar; Katalog (Hatje Cantz) 24,80 €.

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