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Kultur: Der Senat entscheidet diesen Monat über die berühmteste Arena Berlins. Eine Ortsbesichtigung versucht zu klären, ob es sich um "faschistische Architektur" handelt

Hitler war unsportlich. Aber Boxen hat er gemocht.

Hitler war unsportlich. Aber Boxen hat er gemocht. Er hielt es für germanisch. Olympiaden dagegen hielt er für ungermanisch. Genau wie Alfred Rosenberg. Es gab auch einen "Deutschen Kampfbund gegen die Olympischen Spiele". Dennoch betrat Hitler am 5. Oktober 1933 das "Deutsche Stadion" im Grunewald, gebaut für die ausgefallenen Sommerspiele 1916 und fand die einst weltgrößte Arena - viel zu klein. 1931 hatte das IOC noch einmal die Olympiade an Berlin vergeben. Hitler musste sich schnell entscheiden. Und er beschloss, "durch eine große kulturelle Leistung die Weltmeinung" zu gewinnen. Er beschloss weiter, dass "einige Millionen" dabei keine Rolle spielen. Hitler stand im "Deutschen Stadion" und verfügte: Alles neu! Nur ein Stadion? Ein ganzes "Reichssportfeld"! - Nein, nein!, ruft Gerd Steins, Vorsitzender des Freundeskreises des Sportmuseums Berlin und Olympiastadion-Experte, so könne man das keinesfalls erklären. So würde alles, obwohl richtig, trotzdem furchtbar falsch. Denn was man heute schon wieder und völlig falsch "Reichssportfeld" nenne, habe es schon viel früher gegeben.

Seit 1924 existierten Pläne für eine Erweiterung des "Deutschen Stadions", zuerst "Reichssportpark" genannt. "Reichssportpark"?, fragte da mit deutlichem Mißfallen der "Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen". Viel zu verwaschen! Vielleicht "Deutsche Volksschmiede"? Oder "Deutsche Kraft- und Willensschule"? Oder "Volkskraftburg"? Oder "Deutscher Born für Leibesübungen"? - Alles Namensvorschläge aus der Mitte der zwanziger Jahre. Nur einer sagte einfach: "Sportforum"! Das wurde gebräuchlich und im September 1925 beschlossen. "Deutsches Sportforum". Er habe das alles schon mal in einem Leserbrief geschrieben, sagt Steins, und es sei deshalb so wichtig, weil Planung und Bau des Erweiterungsgeländes ursprünglich nichts mit den Nationalsozialisten zu tun hatten. Weil ein Teil schon in den zwanziger Jahren fertig war, weil man den Rest bis 1936 nach den alten Plänen einfach zu Ende baute. Hitler schaute nur auf das Stadion.

Im Herbst 1933 legte der Architekt Werner March ihm die Pläne zum Neubau vor. Das "Deutsche Stadion" hatte sein Vater, Otto March, erbaut. Jetzt sollte es eine Hohlbeton-Skelettkonstruktion werden mit verglasten Zwischenwänden, ungefähr wie das Wiener Stadion. Was nun folgte, weiß man nur durch Albert Speer. Hitler sah die Pläne aus Beton und Glas und teilte seinem Staatssekretär mit, dass die Olympischen Spiele abzusagen wären. Niemals würde er einen solchen modernen Glaskasten betreten. Und Speer solle mal zu ihm kommen. Speer, schon sehr erfahren in Dekorationsdingen, zeichnete ein paar kräftige Gesimse in die Pläne und sehr viel Naturstein. Hitler war zufrieden. March stimmte zu.

Man nennt das Olympiastadion gemeinhin einen "faschistischen Bau". Aber ist es nicht vielmehr Beinahe-Avantgarde mit Speerschen Bemäntelungs-Elementen? Also noch einmal alles in Ruhe anschauen, bevor der Senat Mitte des Monats über den neuen Betreiber und das Sanierungskonzept entscheidet. Und die fehlenden 350 Millionen gefunden werden. Nur was macht der neue Besitzer dann aus dem "Sportforum"? Gerade ist es - Ende eines langjährigen Rechtsstreites mit dem Bund - endgültig an Berlin gefallen. Wirklich einen Vergnügungspark?

Anschauen? Einfach so? Völlig unmöglich!, sagt die Stadionverwaltung. Man sei im Augenblick mit Klappstühlen und Schalensitzen beschäftigt. Alles Montage-Gelände. Kommen Sie Mitte September wieder! - Irgendwann im Leben geht jeder das erste Mal zu Hertha. Trägt der eben erschienene kleine Führer "Das Olympiastadion Berlin" aus dem Rödiger-Verlag nicht den Untertitel "Heimstadion von Hertha BSC"? Also nehmen wir beide zusammen. Man sieht sofort, es gibt nur eine einzige Rechtfertigung für die neuen blauen und grünen Schalensitze: Hitler hätten sie nicht gefallen. Aber sagt das nun mehr über Hitler oder über uns? Ein postmodernes Stadion auf halbem Wege zwischen griechischer Arena und Disneyland. Auf dem Schal des Hertha-Fans vor mir steht "Hertha, Hertha über alles!" Ist das jetzt schon faschistoid?

Es ist doch schwer zu verstehen, dass Hitler das neue Stadion immer noch viel zu klein fand. Sicher hat er nie hier oben gesessen, nur in der Führerloge. Hertha da unten ist wirklich sehr weit weg. In diesem Augenblick arbeiten Tausende von Stahlpfeilern daran, das vollbesetzte, marode Stadion nicht einstürzen zu lassen. "Die große Polizeischau" war von hier aus sicher eindrucksvoller als Fußball. Seit den fünfziger Jahren brach sie alle Besucherrekorde. Bis 1972. Dann brauchte man die 4000 Polizisten, die sonst Monate für die "Große Polizeischau" übten, gegen die Studenten. Aber die Kirchentage blieben. Dann kamen die Rolling Stones. Nur Hertha war immer da. Nach der Sanierung wird man auf ausziehbaren Tribünen (nach Plänen des Architektenbüros Gerkan, Marg und Partner) dichter an das Spielfeld fahren können. Hertha hat gerade noch ein paar mehr Logen durchgesetzt.

Dort drüben, unter dem gegnerischen Fanblock, muss der Blaupunkt-Bunker gewesen sein. Rüstungsproduktion im Stadion seit 1938. Hinzu kamen später das Ausweichquartier des Großdeutschen Rundfunks und Flak-Geschütze auf der Pressetribüne. Die Zeitung "Der Tag" meldete 1949 "Olympia-Stadion soll gesprengt werden". Die Briten wollten den Bunker weghaben.

Es beginnt zu regnen. Auch auf den teuren Plätzen unter den beiden Riesendächern. Man wird ja trotzdem nass!, rief ungläubig Olympia-Stadion-Architekt Werner March, als er 1972 zum ersten Mal das Dach über seinem Stadion sah. Weltmeisterschaften ab jetzt nur noch mit Dach!, lautete das Ultimatum des Deutschen Fußball-Bundes. Ein Fußball-Bund, erkannte March damals in zeitloser Aktualität, ist ein Verein zur vorsätzlichen Zerstörung von Sportarenen. Der Architekt war weitblickend genug, schon vor der Erfindung des Klappstuhls, Modell Stuttgart, lichtgrau, Einzelpreis 117,39 DM, einzubauende Stückzahl 75 000 Stück, den Planeten zu verlassen. Jetzt kommt bald das Total-Dach mit einem Loch in der Mitte.

Das Deutsche Sportforum, auch Reichssportfeld genannt, ist überall bekunstet. Manche halten schon das für faschistisch. Neu vergoldet die beiden Adler auf Stelen vor der früheren "Hochschule für Leibesübungen". Sie ähneln ein bisschen den Hühnern in Witwe Boltes Backofen. Die gleiche Körperhaltung. Es sind unmilitaristische Vögel. Einen Adler von Hitlers Ober-Adler-Designer Kurt Schmid-Ehmen lehnte die Skulpturen-Kommission 1936 als "zu groß" ab. 1936 wusste noch keiner genau, was richtig nationalsozialistische Kunst ist. Ludwig Gies, Schöpfer des ebenfalls flugunfähigen späteren Bundesadlers, soll hier ersten Greifvogel-Versuche gemacht haben. Ein Adler-Aluminiumfries in der Kuppelhalle.

Da naht der "Objektschutz". Kann ich helfen?, fragt er mit Beamtenironie den illegalen Besucher. In solchen Situationen muss man kooperativ sein: Natürlich, ein Blick auf den Giesschen Adlerfries innen drin - ob er da was tun könne? Der Objektschutz verneint. Dieser Hauptteil des Gebäudes sei völlig ungenutzt und darum grundsätzlich verschlossen. Durch die Glastür erkennt man trotzdem Georg Kolbes "Zehnkämpfer", daneben einen falsch geparkten schwarzen Rollsessel. Wie lange schon mag der Zehnkämpfer hier mit dem Sessel allein sein? Seit die Briten 1994 das Gelände verlassen haben? Ich suche die anderen Skulpturen von 1936, um die man vor Berlins Olympiabewerbung gestritten hat und die man schon mit einer "Gegenästhetik des geschundenen Menschen" kontrastieren wollte. Vor den beiden Flügeln der "Hochschule für Leibesübungen" lagern zwei ausgesprochen unsportliche Stiere des Bildhauers Adolf Strübe. Die alte Turnhalle ist derzeit fest in der Hand des "Modells Stuttgart". Im Innenhof schwimmen die "Wasserfreunde Spandau 04". Die große Inschrift über der griechisch empfundenen Pfeilerhalle "Ewig mahnt vom Anbeginn des Werdens das heilige Wort Vollkommenheit" sieht streng auf die Wasserfreunde herunter. Auch Arno Brekers "Siegerin" ist da. Sehr mädchenhaft schmal. Kein Dopingverdacht wie beim späteren Breker. Alle derzeitigen Nutzer des Sportforums, auch das Sportmuseum, haben nur sehr vorläufige, jederzeit kündbare Mietverträge. Niemand weiß, was aus dem Gelände werden soll. Aber wirklich wichtig sind den Spandauern andere Dinge. Im Fachorgan "Der Wasserfreund" die erbitterte Anfrage eines Tauchers, warum die Aktion "Mitglieder werben Mitglieder" nur für Schwimmer und Wasserballer gelte. Was, so die Kernfrage, zähle heute noch ein Taucher?

Dem "Ruhenden Athleten" von Georg Kolbe ist das sehr egal. Er lagert schräg vorm Schwimmbecken und bietet von hinten, liegend, überaus freizügige Ansichten. "Die Haltung des übergeschlagenen Beines soll weniger locker gefasst werden", monierte denn auch der 1936er Skulpturen-Ausschuss. Kolbe sah das ein und - änderte nichts. Unübersehbar das beinahe dionysische Element in diesem Kultus des starken Körpers nach jahrhundertelanger Verachtung des Leibes. Selbstgenuss und faschistoide Gebärde - da ist doch ein Unterschied. Jedenfalls ein gefährdetes Neu-Griechentum. "Kraft ist die Parole des Lebens. Kraft im Schlagen. Kraft im Ertragen. Kraft im Zuge" steht im Eingangsfoyer des Turnhallenflügels. Alles an den zugehörigen Kriegern ist sehr eckig, vor allem die Hintern. Und dem Kugelstoßer ("Kraft im Ertragen") hat jemand vor langer Zeit ins Kinn geschossen. Die Briten ließen alles so. Ihr "Familienbad" draußen neben dem Olympiastadion ist jetzt verwaist. Joseph Thoraks "Boxer" (Max Schmehling) steht ganz allein in ewiger Kraftpose auf der Liegewiese. Thorak war Hitlers Lieblingsbildhauer. Auch ihn hatte die Kunstkommission ursprünglich ausgemustert. Die Fußballfelder sind frisch gemäht. Aber niemand spielt. Vorbei an der Siegesgöttin und der vormaligen Villa des Reichssportführers. Man müsste dieses Gelände endlich einmal erklären, Schilder aufstellen, hatte Gerd Steins gesagt. Alles ist vorbereitet. Es fehlt am Geld.

Maifeld mit Glockenturm, auch von Werner March entworfen. Diese Verbindung von Stadion und Aufmarschgelände ist einzigartig in der Sportgeschichte. Auf dem Vorplatz des Glockenturmes hatten die Briten nach dem Krieg die durchschossene Olympiaglocke vergraben. Der ausgebrannte Turm wurde gesprengt. Später grub die Bundesrepublik die Glocke wieder aus, und March baute - ohne das an die große Glocke zu hängen - den Turm neu. Jetzt stört nur ein kleiner gelb-roter Langneseschirm die noch immer aggressive Langmut des unendlichen Steingraus. Kein Museum, keine Installation könnte das Gelände unfehlbarer seinem ursprünglichen Geist entfremden. Hier, an der Langemarck-Halle, eröffnete Hitler inoffiziell die Olympiade 1936. Im Stadion durfte er nur vorgegebene Worte sprechen, die Arena stand unter IOC-Hoheit. 75 000 hatten Platz auf den Wällen und Tribünen des Maifeldes. Man kann zur Aussichtsplattform hochfahren. Aber zur Langemarck-Halle, diesem todesmystischen Gedenkort des Ersten Weltkrieges, dem eigentlichen Skandalon des Geländes, wie Gerd Steins sagt? - Einfach die Absperrung beiseite schieben und dann eine Treppe!, erklärt der Schwiegervater jenes Germanistikstudenten, der den Turm samt Gedenkhalle vor zwanzig Jahren von der Bundesregierung pachtete.

Es ist eine karge Säulenhalle. Opferschalen an den Wänden. Manchmal löst sich schon der Muschelkalkstein und legt das Betonskelett bloß. "Ihr heiligen / grauen Reihen / geht unter Wolken / des Ruhms / und tragt / die blutigen Weihen / des heiligen Königtums." Walter Flex. Das ist die gemeißelte Inschrift der linken Wand. Rechts steht: "Lebe droben / o Vaterland / und zähle / nicht die Toten / dir ist / liebes / nicht einer zuviel gefallen." Hölderlin. Und wie Hölderlin 1797 wartete auf ein neues, ein jakobinisches Deutschland! - Kitsch und Dichtung so nah nebeneinander. Das Echte, man erkennt es noch an solchem Ort. Und weiß wieder, wie missbrauchbar es ist.

Vom Glockenturm dann die beiden "Achsen" sehen. Das Deutsche Sportforum steht schräg zur Linie Maifeld-Stadion-Olympischer Platz. Ein in sich selbst gebrochenes Gelände.

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