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Kultur: Der Spätheimkehrer

Anschluss an die Gegenwart: Gerhard Richters „Marianne“ kommt als Dauerleihgabe nach Dresden

Ein einziges Selbstporträt hat Gerhard Richter in seinem nun schon gewaltigen Œuvre geschaffen. Der Bildtitel verrät es nicht. Er lautet schlicht „Tante Marianne“. Marianne Schönfelder war die Tante Gerhard Richters, ermordet im Rahmen der Euthanasiemaßnahmen der Nazis noch am 16. Februar 1945. Das Gemälde zeigt keine Farben, ist reine Grisaille-Malerei, entstand es doch nach einer Schwarzweißfotografie – eine Methode, derer sich Richter in seinem ganzen Werk immer wieder bedient hat, mit unterschiedlichen Sujets und Resultaten.

Ab März 2007 wird das Gemälde als Dauerleihgabe in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen sein. Das ist eine Sensation. Das Gemälde war im Juni in London für umgerechnet 3,1 Millionen Euro versteigert worden und ging an einen anonymen Sammler, wohl aus Asien. Dresdens umtriebiger Museumsgeneraldirektor Martin Roth handelte den Leihvertrag im fernen Taiwan aus. „Der Erwerber konnte von der Bedeutung des Bildes für Dresden überzeugt werden“, erklärte Roth vor wenigen Tagen lapidar.

Dahinter steckt die Geschichte einer schrittweisen, aber immer konsequenter zutage tretenden Heimkehr. Seit 2004 zeigt die Galerie Neue Meister – derzeit im Ausweichquartier – eine exquisite Richter-Sammlung, weitgehend aus privaten Leihgaben. Werner Spies, der Doyen der deutschen Kunsthistoriker der Klassischen Moderne, feierte zur Eröffnung Richters „Entscheidung für Dresden“: „Ein weltberühmter Künstler kehrt heim, bringt seine Bilder mit.“ Ob er es je bereut habe, weggegangen zu sein, fragte eine Dresdnerin den Künstler damals beim Festakt im August 2004. Richter wehrte ab, blieb spröde. Dazu „Ja“ zu sagen, hieße doch, „sein ganzes Leben zu verneinen“. Richters Leben als Künstler vollzog sich im Westen.

Das Familienfoto, das Richter 1965 in Düsseldorf für sein Gemälde verwendet, zeigt ihn als vier Monate altes Baby auf einem Kissen, gehalten von der 14-jährigen Marianne Schönfelder – jener „Tante Marianne“, die später an Schizophrenie erkrankte und 1937 in Behandlung kam, ehe sich die Naziärzte an ihr vergriffen. „Ich wollte durch den Inhalt keine besondere Aufmerksamkeit erregen“, erklärte Richter 1986 genau zu diesem Bild, um allerdings hinzuzufügen: „Man malt ja immer seine eigene Geschichte.“

Was damals, als Richter gerade seine erste große Retrospektive – mit einer Station in der Neuen Nationalgalerie Berlin – erhielt, als eher indifferente Äußerung zu einem vom Sujet her indifferenten Werk verstanden werden musste, hat heute einen anderen, furchtbaren Sinn erhalten. Durch die akribischen Recherchen des Tagesspiegel-Chefreporters Jürgen Schreiber in seinem Buch „Ein Maler aus Deutschland“ ist die tragische Familiengeschichte Richters ans Licht gekommen, vor allem der Umstand, dass sein späterer Schwiegervater Heinrich Eufinger zugleich ein Haupttäter jener Euthanasiemaßnahmen war, denen Marianne zum Opfer fiel. Tragisch, weil Richter diese Verstrickung nicht kannte und nicht kennen konnte. Und doch sieht der Betrachter Richters Grau-in-Grau-Bilder nach den Familienfotos aus der Zeit seiner Dresdner Kindheit heute anders.

Dresden ist die Vaterstadt Richters; hier wird er am 9. Februar 1932 geboren. Nach der Ausbildung an der Kunstakademie – Diplomarbeit 1957: ein Wandbild voller glücklicher sozialistischer Menschen – verlässt er die DDR 1961 kurz vor dem Mauerbau. Richter wird im Rheinland zum Westkünstler par excellence. Er fängt bei null an, studiert erneut. Was folgt, ist die Geschichte eines ebenso steten wie offenbar grenzenlosen Aufstiegs. Längst schon gilt der mittlerweile 74-Jährige als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart.

Das alles ist bekannt. Richters spätes, zunächst scheues und nun immer deutlicheres Bekenntnis der Liebe zu seiner Heimatstadt hingegen tritt in seiner kunstpolitischen Bedeutung erst mit der Leihgabe des Schlüsselwerks „Tante Marianne“ ganz vor Augen. Die Dauerleihgabe dürfte ohne die Einwilligung, ja womöglich Ermutigung Richters nicht zustande gekommen sein. Richter weiß, dass Dresden neben all seinem nobel wiedererlangten Glanz den Anschluss an die Gegenwart braucht – so wie ihn Leipzig auf beeindruckende Weise bewerkstelligt hat. Als Museum seiner selbst – dies die Kehrseite der Mühen um Frauenkirche und Residenzschloss – hat Elbflorenz keine Zukunft jenseits der eines Touristenzentrums.

Dresden lag zu DDR-Zeiten – nicht nur, was den geografisch nicht möglichen Empfang des West-Fernsehens anbelangt – im „Tal der Ahnungslosen“. Vielleicht auch darum hatte sich hier zugleich eine untergründige, fast trotzige Bürgerlichkeit erhalten. Fritz Löffler, der Nestor der Dresdner Stadtgeschichte, gab ihr mit seinem umfassenden und Mal um Mal erweiterten Buch „Das alte Dresden“ Ausdruck. Wohl eher gegen den Willen der SED musste das Buch immer wieder aufgelegt werden. Im alten, in der Bombennacht des 13. Februar 1945 verglühten Dresden suchten diejenigen Halt, die sich der rücksichtslosen Umgestaltung der Gesellschaft zum „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ verweigerten. Richter wird diese Haltung gekannt haben, auch wenn es ihm nach eigenem Bekunden in der DDR „relativ gut“ ging. Doch „das eigentlich Unerträgliche war die Hoffnungslosigkeit“, wie er zur Eröffnung seiner Dresdner Dauerausstellung bekannte. Wohl erst im radikalen Bruch der „Republikflucht“ von 1961 und dem anschließenden Neuaufbau seiner Existenz hat sie sich ihm ganz erschlossen.

Gerhard Richter ist nicht darum wichtig für das Dresden von heute, weil er hier geboren wurde und aufgewachsen ist. Er ist deshalb so wichtig, weil sich in seinem staunenswerten, 45 Jahre West- Leben überspannenden Œuvre eine Kontinuität darstellt, die die besten, enttäuschten Hoffnungen der frühen DDR- Jahre mit der Weltkunst der Gegenwart verbindet. Gerade weil Richter ein Maler ist und kein Propagandist, weil er jene Indifferenz dem Sujet seiner Gemälde gegenüber zeigt, die die Malerei zur Reflexion ihrer selbst zwingt, vermag er die Tradition Dresdens als Kunststadt ins Hier und Heute fortzuführen.

Zugleich aber, und das macht die Leihgabe des „Marianne“-Bildes so unendlich wertvoll, zwingt Richter Dresden zur Bewusstwerdung der eigenen Geschichte. Es ist dies die deutsche Geschichte – wie im Brennglas gebündelt.

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