zum Hauptinhalt
Das „Spielmacher“-Ensemble mit Starspieler Mehmet Müller (Eva Löbau) in der Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas

"Der Spielmacher - ein Fussical": Hilfe, der Ball frisst mich!

Beim Musical „Der Spielmacher“ sind Bühnenprofis und Indiepop-Musiker zusammen auf dem Feld. Ein Probenbesuch.

Der Ball hat Spaß. Kichernd wobbelt er am Spielfeldrand herum. Es ist Regisseur Patrick Wengenroth, der in einem unförmigen rot-weißen Kostüm steckt und beobachtet, wie sich die Spieler des Drittligateams Bussard Berlin aufwärmen. Dazu ertönt hämmernde Musik aus den Lautsprechern. Ah, jetzt sind sie falsch gelaufen: Wengenroth ruft eine Korrektur hinein, die Gruppe formiert sich noch mal neu.

Auf der Probebühne des Hebbel am Ufer herrscht eine Woche vor der Premiere des Fußball-Musicals „Der Spielmacher“ eine konzentrierte Atmosphäre. HAU-Chefin Annemie Vanackere ist vorbeigekommen, um zuzuschauen. Und es läuft schon ziemlich rund bei dieser ungewöhnlichen Produktion, in der sich gesungene und gesprochene Teile die Waage halten. Entwickelt hat Wengenroth das „Fussical“ zusammen mit den Schauspielern sowie mit Musikern des Berliner Labels Staatsakt.

Die Gruppen Ja, Panik und Die Türen standen in den letzten Jahren bereits bei HAU-Stücken von ihm auf der Bühne. Diesmal startete der Kreativprozess mit der Musik: Ausgehend von groben Figurenskizzen schrieben Christiane Rösinger, Die Türen, Jens Friebe, Chris Imler und Andreas Spechtel Stücke über ein imaginäres Berliner Fußballteam, das überraschend ins Viertelfinale des DFB-Pokals einzieht. Die Songs erscheinen an diesen Freitag als Album.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Es ist gleichzeitig der Premierentag des Musicals, in dessen Mittelpunkt der Bussard-Berlin-Star steht: Mehmet Müller, gespielt von Eva Löbau. „Ich bin der Typ, der auf allen Ebenen den Unterschied macht“, tönt er zu Beginn selbstbewusst. Doch recht bald wird klar, dass der agile Kicker in einer tiefen Krise steckt. Er hat den Spaß am Spiel verloren, der Leistungsdruck nervt ihn, und jetzt will auch noch ein Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten den Verein kaufen. Der Präsident – eine von Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß inspirierte Figur – ist begeistert und versucht, den widerwilligen Mehmet von der Idee zu überzeugen.

Der Dauerverletzte ist der heimliche Lover des Starspielers

„Es geht viel um Depression und das Joch des Erfolges“, erklärt Patrick Wengenroth in einer Pause. Erfolg mache unfrei, so der 1976 in Hamburg geborene Regisseur, der seine Kickerkarriere beim SV Blankenese mit zehn Jahren beendete und zum Feldhockey wechselte. Deshalb sei die freieste Figur der dauerverletzte Italiener Andrea (gespielt von Ja, Panik-Sänger Andreas Spechtl). „Wegen seiner physischen Dysfunktionalität ist er aus der Logik des Markts herausgefallen.“ Außenseiter Andrea hat keine Angst, zu seiner Liebe zu stehen: Er ist der heimliche Liebhaber von Mehmet, der allerdings mit der TV-Moderatorin Helena (Lucy Wirth) verheiratet ist.

Regisseur Patrick Wengenroth im Ball-Kostüm.
Regisseur Patrick Wengenroth im Ball-Kostüm.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die emotionale und berufliche Anspannung des Stars wächst ständig. Er hat das Gefühl, dass alle hinter ihm her sind. Der Fußball jagt ihn – im wahrsten Sinne des Wortes: Gerade verfolgt der Ball Mehmet Müller über den ganzen Platz. Patrick Wengenroth kommt in seinem luftgefüllten Kostüm ganz schön aus der Puste. Eva Löbau, die ein ärmelloses Shirt und kurze grüne Hosen trägt, nur ein bisschen. Zu der Hatz erklingt Jens Friebes melancholischer Indiepop-Song „What Do They Know“. Löbau soll versuchen, beim Laufen zu singen, während „der Ball Pac-Man-mäßig versucht, dich zu fressen“, wie Wengenroth erklärt.

Christiane Rösinger spielt den Platzwart

Das sieht nach einer ziemlich witzigen Nummer aus, die im HAU 2 in einem richtigen kleinen Stadion stattfinden wird. Wie es aussieht, zeigt ein im Probenraum aufgestelltes Modell: Das Publikum sitzt auf einer Tribüne hinterm Tor. Das von einer rosa Begrenzung umgebene Spielfeld leuchtet hellblau. Ihm widmet Christiane Rösinger, die den Platzwart spielt, eine gesungene Liebeserklärung. Jetzt steht sie im Trainingsanzug auf dem schwarzen Probenbühnen-Spielfeld und gesteht in lakonischem Tonfall: „Ich bin objektophil“.

Inspiriert von Klaus Theweleit

Ja, mit Fußball im engeren Sinne hat „Der Spielmacher“ wenig zu tun. Vielmehr geht es Wengenroth und seinem Team darum, zu zeigen, dass er als patriarchales System funktioniert. „Das Patriarchat als Unterdrückungsmodell: Es wird von individueller Entfaltung gesprochen, aber gemeint ist die systemische Eingliederung“, sagt der Regisseur, der als wichtige Inspirationsquelle Klaus Theweleit benennt. Dessen Klassiker „Männerphantasien“ hatte er in Karlsruhe für die Bühne adaptiert. Diesmal ist das Fußball-Buch „Tor zu Welt“ ein wichtiger Einfluss. Es ist sogar bei der Probe dabei: Auf einem langen Holztisch an der Rückwand des Raumes liegt der schmale Band neben zwei Sloterdijk-Titeln und Judith Butlers „Unbehagen der Geschlechter“.

Manchmal hört man Theweleit recht deutlich durch, etwa wenn der Mentaltrainer von Bussard Berlin (Verena Unbehaun) sich bemüht, Mehmet wieder auf Linie zu bringen und seine Rede in einer Beschreibung des Spielers als „Explosion, Geschoss, Penetration“ gipfelt. Vor Theorie-Überfrachtung muss man sich an diesem Abend allerdings nicht fürchten. Dafür sorgen schon die Songs, die die Musiker live vortragen werden. Staatsakt-Chef und Türen-Sänger Maurice Summen, der den Stadionsprecher spielt, wird „Korruption ist mein Verein“ singen. Darin heißt es: „Korruption ist kein Skandal/ Korruption ist der Regelfall in unserem Verein“. Da kann man in Zeiten von Fifa-Dauerskandalen nur zustimmend im Takt nicken.

Ohne die Mittelchen des Arztes läuft gar nichts

Auch die Figur des Dopingarztes Hans-Peter Maria Wallfahrt, gespielt von Türen-Bassist Ramin Bijan, wirkt top-aktuell – zynisch gesagt, geht der Weißkittel auch locker als zeitlos durch. Dass er gleich zu Beginn mit der E-Gitarre ans Mikrofon tritt und sich selbst als den „Wahren Star“ besingt, ohne den hier nichts läuft, ist jedenfalls programmatisch.

Nur mit der Liebesgeschichte zwischen Mehmet und Andrea sind die „Spielmacher“ der Zeit noch ein Stück voraus. Aber wer weiß: Vielleicht haben sie ja visionäre Kräfte, und nach der Europameisterschaft traut sich ein Spielerpärchen – euphorisiert durch den Titelgewinn – aus seinem Versteck. Von den verliebten Bussarden können sie lernen, wie man sich im Mittelkreis an der Hand fasst und eine gemeinsame Zukunft beschwört.

HAU 2, 24. Juni, 20 Uhr (Premiere). 25.6., 20 Uhr, 27.6., 21 Uhr, 28.6., 20 Uhr. Das Album „Der Spielmacher“ erscheint bei Staatsakt/Caroline.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false