zum Hauptinhalt

Kultur: Der Spion als Friedensstifter

Deutschlandpremiere: Michael Frayns Spiel um Willy Brandt und „Demokratie“ am Renaissance-Theater Berlin

Die Weltkarriere des britischen Dramatikers Michael Frayn begann vor einem Vierteljahrhundert mit einer Komödie, von der sich der Boulevard bis heute nicht erholt hat. „Noises Off“ („Der nackte Wahnsinn“) war die Desillusionierung und die Apotheose des Genres zur gleichen Zeit. Sein Stück „Demokratie“, das nun am Renaissance-Theater die deutschsprachige Erstaufführung erlebte – ein Coup für die kleine Berliner Bühne ! – spielt nichts anderes durch als eine Backstage-Comedy der westlichen politischen Klasse. Der deutschen Politik in den Jahren, als Willy Brandt Bundeskanzler war und Günter Guillaume, ein Spion aus Ost-Berlin, einer seiner engsten Mitarbeiter im Palais Schaumburg.

Michael Frayns lockere Hand, mit der er Fakten und Fiktion vermischt, wird von einem philosophischen Kopf geführt. Man mag sich daran erinnern, dass die Demokratie und das Theater aus derselben athenischen Wiege stammen. Willy Brandt auf der Bühne: „Demokratie“ erbringt, teilweise jedenfalls, den Beweis, dass nicht nur Schurken und Despoten, sondern auch SPD-Politiker theatralische Wirkung entfalten können; damals, als es hieß „Mehr Demokratie wagen.“ Das aber liegt an Frayns kühner Idee: Nicht Brandt – Guillaume ist der Held.

Wie der klassische Diener zweier Herren aus der commedia dell’arte, so irrt der Agent der DDR im Kanzleramt zwischen seinen Loyalitäten herum. Für „Mischa“, seinen Chef Markus Wolf, tut er das alles, für „Willy“ aber erwacht nach und nach seine Zuneigung. Guillaume als gespaltene Persönlichkeit – dem Schwindler und Verräter stellt Frayn einen Willy Brandt gegenüber, der immerzu fragt, wer er denn sei? Nichteheliches Kind, Emigrant, ein Mann diverser Pseudonyme: Das sind zwei deutsche Parallel-Schicksale. Und das ist auch, in zeitgeschichtlicher Kolportage, Frayns Bild von Deutschland: geteilt, mit sich selbst uneins, mit alten Nazis und Alt-Kommunisten überall. Mit einem Regierungschef, den der Makel (und der Neid) verfolgt, weil er sich die Hände nicht schmutzig gemacht hat.

Ein reines Männerstück. (Journalistinnen, Sekretärinnen, Parteifreundinnen werden hinter den Kulissen und in Erzählungen anonym flachgelegt.) Regisseur Felix Prader hat das Problem der Ähnlichkeit von Spielern und historischen Figuren unterschiedlich gelöst; oder auch nicht. Peter Striebecks Brandt, ein bisschen tapsig und brav, hat verblüffenderweise etwas von Helmut Schmidt, rein physognomisch betrachtet. Während Helmut Schmidt, Brandts Nachfolger, bei Ulrich Kuhlmann wie ein rattenhafter Karrierist von irgendwie römischem Äußeren wirkt. Michael Hanemanns Herbert Wehner wiederum ist ein spitting image des bösen Onkel Herbert; eine lustige Kabarettfigur. Horst Ehmke (Laszlo I. Kish) hat etwas von einem Raußschmeißer und Schießhund, der Bühnen-Genscher (Wolfgang Häntsch) stellt einen harmlosen Bürokraten vor. Und Guillaume – hat gewisse Ähnlichkeiten mit Vaclav Havel. Guillaume, der Friedensstifter?

Es ist tatsächlich so: Der Spitzel entfaltet in dieser „Demokratie“-Inszenierung segensreiche Wirkung. Toll, wie Tilo Nest das entwickelt. Den schmierigen Kellner, Kofferträger, Terminplaner, den schwitzenden Aufschneider, den lachenden Instinktmenschen, den Zocker, der sein Glück nicht fassen kann, wie er immer höher steigt in des Kanzlers Gunst, immer näher an Willy heranrückt. Wie er wider Willen zum heimlichen Architekten der Entspannungspolitik wird, stets im Zwiegespräch mit seinem Verbindungsmann „Arno“ (Boris Aljinovic). Die beiden netten Ossi-Agenten kommentieren den Lauf der deutschen Dinge, als wären sie vorlaute griechische Chorknaben.

1969 bis 1974, von Brandts erstem Wahlsieg bis zum Rücktritt: Die Regie drückt aufs Tempo, die Pointen fliegen durch den nüchternen Verwaltungstrakt von Bühnenbildner Werner Hutterli. Brandts Abgang zieht sich träge hin. Demokratie und Tragik, das mag das Fazit dieses erstaunlich sehenswerten Abends sein, gehören am Ende doch nicht zusammen.

Vorstellungen bis 23. Juni.

Rüdiger Schaper

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false