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Kultur: Der Spion, der in die Kälte ging

Europas Filmpreis für einen Extremen: Porträt des Schauspielers Ulrich Mühe

Nun hat der Junge aus Grimma den Europäischen Filmpreis bekommen. Grimma liegt bei Leipzig und ist vor ein paar Jahren berühmt geworden durch das Bächlein Mulde, das sich plötzlich wie der Amazonas benahm. Sogar eine Pöppelmannbrücke hat es verschluckt. Mühe ist wie die Mulde bei Normalpegelstand. Friedfertig, sanft. Man sieht ihm nicht an, dass er die reißendsten Ströme in sich trägt. Wahrscheinlich haben seine Mit-Grimmaer das auch nicht gemerkt. Er hat ihnen nicht gesagt, dass er Schauspieler werden wollte. Denn es gibt Orte, da klingen solche Berufswünsche zu lächerlich. Baufacharbeiter war schon viel besser. Baufacharbeiter ist er dann auch geworden. Und hat wenig später mit dem Gewehr in der Hand an der Berliner Mauer gestanden und jedes Mal gedacht: Hoffentlich versucht jetzt nicht irgendein Idiot zu fliehen! Ihm war so muldenförmig zumute.

„Das Leben der Anderen“ ist Mühes Film. Er ist der Mann der Staatssicherheit, der einen bekannten DDR-Schriftsteller bespitzelt und angesichts des Objektes – und dessen Frau! – an sich selbst irre wird. Mühe gibt diesem Stasimann alle tschekistische Selbstgerechtigkeit und den unvergänglichen Zynismus derer, die erst fühlen, dass sie lebendig sind, wenn sie die Macht über fremdes Leben haben. Dieser Schauspieler besaß schon immer eine große Begabung zur Kälte; die machte ihn bei Peter Zadek im Theater zum Sarah-Kane-Darsteller.

Mit Erfrierungen muss rechnen, wer ihm zuschaut. Alle großen Schauspieler spielen zuletzt nichts weiter als das Wetter – die ganze Skala zwischen Hitze und Frost. Seelentemperaturen. Bis zu welchen Kälte- und Siedepolen sie dabei gelangen, das macht den Unterschied. Mühe war schon immer ein Extremdarsteller. Das Pathos, abgebrochen auf der äußersten Spitze. Und ursprünglich gehörte Mühe doch ganz dem Theater.

Zu der Zeit, als „Das Leben der Anderen“ spielt, in den Achtzigern, war Ulrich Mühe am Deutschen Theater Berlin. Er war Hamlet, Egmont, Philotas. Fast jeden Abend stand er auf der Bühne. Keiner spielte den Wahnsinn wie er. Aber es war zugleich der geschichtliche Wahnsinn, und das (Deutsche) Theater dieser Zeit war ein hochgeistiger Raum, das individuelle Schicksal überindividuell zugleich.

Als die DDR weg war, ging bald auch Ulrich Mühe weg vom Deutschen Theater. Ein bewusst gesetzter Endpunkt, den viele nicht verstanden. Ihm fehlte plötzlich der Resonanzboden, das Theater war ornamental geworden, die alten Stücke gingen – trotz allen Beifalls – plötzlich ins Leere. Wer das Theater als Extremsportart betreibt wie Ulrich Mühe, hält das nicht lange aus. Also wenigstens woanders spielen. In Hamburg oder in Wien bei Peymann. Und doch blieb der horror vacui. Als Mühe am Burgtheater „Peer Gynt“ war, lief er alle zwei Wochen zu Peymann und fragte: Du, warum machen wir das eigentlich? Und Peymann antwortete: Mensch, Mühe, weil es ein geiles Stück ist! Die Auskunft half die nächsten zwei Wochen, dann kam Mühe wieder, mit derselben Frage. So wie er schon früher einmal vom Theater weggegangen war, um mit Bernhard Wicki „Das Spinnennetz“ zu drehen, so wurde er später Hanekes Schauspieler in „Bennys Video“ oder „Funny Games“. Hanekes Filme sind Sektionen am lebendigen Leib, wie Sarah Kanes Stücke. Es sind Forschungsreisen zu der terra incognita schlechthin, zum Menschen.

„Das Leben der Anderen“ unternimmt keine Polwanderungen. Es ist eigentlich Mühe-untypisches Gelände, und doch: Auch minimalsten Erwärmungen zuzuschauen, kann zum Ereignis werden. Erschreckend, wie in diesem Stasioffizier so etwas wie menschliche Empathie erwacht. Gibt es ein Damaskus für Stasileute? Und was folgt daraus – gerichtet? Gerettet? Nein, nichts dergleichen. Nichts als die Ahnung von vertanem Leben. Härter kann es keinen treffen.Dass man dem „Leben der Anderen“ die gewisse geistige Harmlosigkeit seines Regisseurs nicht anmerkt und über alle Zumutungen des Films hinwegsieht – das ist Mühes Verdienst. Er ist einer der wenigen Schauspieler, dessen Intelligenz den Körper nicht behindert, hatte Heiner Müller über ihn gesagt.

Heute kennen die meisten diesen Hochseilartisten des Kinos und Theaters als – Seriendarsteller. Mühe, der „Letzte Zeuge“ des ZDF. Ein leiser Zug von Resignation umgibt diesen Gerichtsmediziner, nicht unpassend für einen, der allerletzte Blicke auf, nein, in die Menschen wirft. Und das macht er sonst schließlich auch – nur mit anderer Brennweite.

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