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Kultur: Der Splatterdandy

Terrorspiele: Marius von Mayenburg und sein Theaterstück „Eldorado“

Es gibt viele Arten von Verbrechen. Grausame und weniger schlimme. Die des Marius von Mayenburg gehören zu den schlimmsten. Da gibt es Kannibalen und Kinder, die erst ihre Eltern und dann sich selbst abschlachten – um nur einige zu nennen. Marius von Mayenburg ist ein höflicher junger Mensch. Sein einnehmendes Wesen steht im Widerspruch zu seinen Taten. „Aber das lernt man doch schon als Kind“, spottet er im Gespräch, „dass die freundlichsten Menschen die gefährlichsten Verbrecher sein können.“

Zur Ehrenrettung: Seine Verbrechen begeht von Mayenburg nur auf dem Papier – und auf der Bühne. Seit der Uraufführung seines blutrünstigen Pubertäts-, Inzest- und Vatermord-Dramas „Feuergesicht“ vor sechs Jahren gilt er als einer der wichtigen deutschen Theaterautoren. „Feuergesicht“ wurde ausgiebig nachgespielt und ist auf dem besten Weg zum Klassiker im Genre des Splatter-Familienstücks. Die Morde und Selbstmorde, die befremdlichen sexuellen Vorlieben, lieblosen Familien, autoaggressiven Schübe und kaputten Beziehungen, durch die der 32 Jahre alte Autor seine Figuren jagt, sind melancholisch grundiert. Kein greller Pop, keine lustig zynische Pulp Fiction, eher traurige Alpträume, in die der Horror sanft einsickert. Bei aller Lust am Spiel mit Schockmomenten, dem Cocktail von Komik und Schrecken, mag von Mayenburg die meisten seiner Geschöpfe zu sehr, um sie an den Trash zu verraten. „Ich versuche, möglichst große Nähe zu den Figuren herzustellen.“

Der Dramatiker ist kein einsamer Dichter, der seine Stücke abgeschieden von Welt und Theater konstruiert. Er braucht die Nähe zur Bühne. „Die Arbeit alleine zu Hause würde ich auf Dauer gar nicht aushalten. Vor einem Autorendasein, wo man sich von Stipendium zu Stipendium oder von Auftrag zu Auftrag hangelt und isoliert an seinen Texten sitzt, hätte ich eher Angst.“ Vor fünf Jahren fragte Thomas Ostermeier ihn, ob er als Dramaturg und Autor an die verjüngte Schaubühne kommen wolle. „Nach ,Feuergesicht’ habe ich mich danach gesehnt, dass dieser Hype vorbeigeht, die abrupte Beschleunigung in die Öffentlichkeit von null auf hundert. Ich wollte das bewusst einen Gang runterschalten. Die Arbeit an der Schaubühne hat mich geschützt.“

Zum Beispiel davor, jeden Stückauftrag annehmen zu müssen, sei es aus Angst, dass sonst der schnelle Erfolg genauso schnell verblasst, sei es, um mit den vielen Uraufführungen Geld zu verdienen, so lange bis die Bühnen den hochgejazzten Jungstar ausgelutscht und satt haben. Stattdessen: In der Schaubühne Mitarbeit an Inszenierungen, Übersetzungen, Eingebundensein in die internen Diskussionsprozesse. Und Stückeschreiben im eigenen Tempo. Die Uraufführungen kommen regelmäßig an der Schaubühne raus – zuletzt vor zwei Jahren „Das Kalte Kind“ in Luc Percevals kalt brutalisierter Inszenierung. Zumindest für diesen Autor scheint der derzeit im Feuilleton gern beschworene Konflikt zwischen selten oder schräg inszenierten Dramatikern und dem Regie-Theater kein Thema.

Jetzt inszeniert Thomas Ostermeier an der Schaubühne die Uraufführung des neuen Stücks, „Eldorado“, Premiere ist am Sonnabend. Der Titel ist höhnisch gemeint. Kein Spielerparadies betreten die Figuren, stattdessen wieder eine dieser traurig-kaputten Ehe- und Familiengeschichten, wieder ein bürgerliches Endspiel aus den Tiefen Wohlstandsdeutschlands. Wenn es verglichen mit „Feuergesicht“ einen historischen Fortschritt gibt, besteht er bestenfalls darin, dass der Vater nicht vom Nachwuchs getötet wird, sondern sich schon vor der Geburt des ersten Kindes vorsichtshalber gleich selbst umbringt. Er hat eine Unterschrift gefälscht und seinen Job in einem obskuren Immobilienkonzern verloren, der Luxusappartements in einer vom Krieg zerstörten Stadt hochzieht. Ob es sich dabei um Bagdad oder doch eher um Berlin handelt, ist unklar, und genau das beabsichtigt der Autor. „Meine Figuren leben in einer Welt, in der Städte bombardiert und daraus Profite gezogen werden. Der Terror dieser Kriege wird verdrängt, aber eigentlich müsste er ständig präsent sein. Irgendwann fordert die Wirklichkeit ihr Recht.“

Um diese Wiederkehr des Verdrängten geht es hier. Nicht, dass der Spezialist für die Katastrophen des Intimem jetzt plötzlich zum politischen Dramatiker geworden wäre. Seine Stücke bewaffnet er nicht mit Parolen gegen George W. Bush. Aber weil von Mayenburgs Figuren unverkennbar in der Gegenwart leben, mischen sich die neuen Kriege in ihr verstörtes Gefühlsleben. Wie sich von Mayenburgs frühere Stücke in die Nachtseiten eines scheinbar gut funktionierenden Normalzustandes gestürzt haben, bis aus Kleinbürgern Serienmörder, aus Geschwistern Sex-Partner und aus wohlhabenden Rentnern Sex-Touristen und Gatten-Hasser werden, so gehen in „Eldorado“ die Alpträume des Krieges um. Vielleicht ist das Stück in Wirklichkeit eine Art Messinstrument, das die Temperatur der neurotischen Fieberschübe, die seelischen Kollateralschäden bei den Funktionsträgern misst. So gesehen wird das Theater zu einem Ort, an dem das Verdrängte monströs verzerrt ans Licht kommt.

Dabei geht es nicht um Erklärungen, klare Lösungen und die Geste des großen Durchblicks, sondern um das Gegenteil davon. „Um den Schreibprozess in Gang zu halten, muss ein Stoff rätselhaft sein. Bei den Fragen, die mich interessieren, stößt man immer wieder auf die irrationale Natur des Menschen. In meinem Theater geht es immer wieder um archaische Konflikte. Die zivilisatorische Schutzschicht ist sehr dünn. Sie ist enorm wichtig, aber sie kann auch schnell zerbrechen“, sagt der Dramatiker. „Die Gesellschaft versucht, Tragödien zu vermeiden, zum Beispiel, indem sie sich Gesetze gibt.“ In seinen Stücken kann man sehen, was passiert, wenn diese Schutzfunktionen außer Kraft gesetzt sind.

„Eldorado“: Uraufführunge am Sonnabend, den 11. Dezember um 20 Uhr in der Schaubühne am Lehniner Platz. Wieder am 12., 18., 19., 21. und 29. 12.

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