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Kultur: Der Steuermann

Veiel: Tricksen für die Wahrheit ist okay

Herr Veiel, in „Die Spielwütigen“ beschäftigen Sie sich zum dritten Mal mit dem Theater. Warum immer wieder die Bühne?

Das hat biografische Gründe. Claus Peymanns Theater war in den Siebzigern in Stuttgart wie ein Sauerstoffzelt: eine Zelle für Aufbruch, Veränderung, Spaß. Dass ich Filmemacher geworden bin, liegt daran, dass viele Stadttheater vor allem damit beschäftigt sind, sich selbst zu bespiegeln und nicht die Fenster aufzumachen. Ich habe früh Theater im Gefängnis gemacht und stieß dort auf Leute, die eine Geschichte haben, die verletzt wurden, um sich geschlagen, gemordet und betrogen haben. Danach drehte ich lieber dokumentarisch: weil es mitten ins Leben geht.

Haben Sie dieses Lebensfremde auch bei den „Spielwütigen“ wiedergefunden?

Viele Studenten kommen frisch nach dem Abi an die Ernst-Busch-Schauspielschule, gehen durch die Arbeitersiedlung Schöneweide dorthin, mit gesenktem Kopf und der Sorge: Ich muss gut sprechen! Nach drei Jahren folgt das erste Engagement, die Lebenserfahrung ist gleich null.

Das Biografische ist Ihr zweites Generalthema: das Problem, erwachsen zu werden.

Was oft als psychologistisch kritisiert wurde. Aber genau das interessiert mich: Der erste Gang der spielwütigen Schauspielstudenten führt nicht ins Theater, sondern ins Kinderzimmer. Bei Schauspielern spitzt sich die Frage nach den Motiven eines Lebenslaufs zu. Einerseits gibt es den Mythos, den Traum, den Zwängen der eigenen Herkunft zu entkommen und sich neu zu entdecken. Gleichzeitig ist es aber der denkbar gnadenloseste Beruf. Er besteht zu 90 Prozent aus Kritik, die vernichtend sein kann. Denn sie trifft immer den ganzen Menschen: Du hältst dich falsch, du sprichst falsch, du fühlst falsch. Was geschieht, wenn sich junge Menschen dem permanent aussetzen, noch dazu in einer Elite-Einrichtung wie „Ernst Busch“?

Das Gefängnis, die Deutsche Bank, die Hochschule – immer wieder geht es Ihnen um Institutionen.

Wie verändern sich Menschen durch Institutionen? Wo wird Persönlichkeit aufgebaut, wo wird sie demontiert? Es war für mich manchmal einfacher, für „Black Box BRD“ ins Hochsicherheitsgefängnis zu Birgit Hogefeld zu gelangen als für die „Spielwütigen“ in eine Schauspielprobe. Auch die Dozenten spürten, dass die Kamera vieles von diesem Machtgefüge seismografisch erfasst.

Vor der Kamera stehen Schauspieler: Wie dokumentarisch ist Ihr Film eigentlich?

Anders als beim Spielfilm gibt es hier den Schutz der Rolle nicht.

In Frankreich fordern die Eltern der Kinder aus Nicolas Philiberts Dokumentarfilm „Sein und Haben“ eine Gewinnbeteiligung.

Dokumentarfilme mit mehr als einer Million Zuschauer sind die seltene Ausnahme. Da halte ich eine Gewinnbeteiligung für angebracht. Ansonsten bin ich für Transparenz. „Black Box BRD“ hat mich fünf Jahre Arbeit gekostet, bekommen habe ich damals 120000 Mark.

Wer profitiert von wem in Ihrem Film?

Im Lauf der sieben Jahre Produktionszeit wussten die vier Schauspieler immer genauer, was sie tun. Sie hatten ein Interesse daran, sich auch selbst zu inszenieren. Und ich hatte meinerseits bestimmte Erzählungen im Kopf. Unsere Interessen sind zunehmend aufeinander gekracht: Alle wollten mal aussteigen.

Beide Seiten haben getrickst?

Ja, permanent. Die Frage ist nicht, was rein dokumentarisch und was inszeniert ist. Meine Aufgabe als Filmemacher ist es, den Unterschied herauszufinden.

Aber das vampirische Moment gibt es doch. Die Kamera ist live dabei,als die Studenten erfahren, ob sie die Aufnahmeprüfung bestanden haben: eine emotional extreme Situation. Das echte Leben – frei Haus.

Daran ist nichts inszeniert. Aber mit der Zeit ist das Misstrauen mir gegenüber massiv gewachsen. Es war ein ebenbürtiger Kampf. Ich habe auch Fehler gemacht. Zum Beispiel wusste ich von Stephanie Stremler, dass sie von einem Dozenten beschimpft worden war: Sie hätte einen Sprung in der Schüssel. Vor der nächsten Probe sagte ich dem Dozenten, ich hätte nichts dagegen, wenn der Konflikt angesprochen würde – damit ich ihn drehen kann. Aber erst am Ende der Probe sagte der Dozent zu Stefanie, den Gefallen wolle er mir nicht tun. Daraufhin warf Stefanie mir zu Recht Vertrauensbruch vor. Ich hatte Mist gebaut.

So oder so hat die Anwesenheit der Kamera die Ausbildungssituation real verändert. Ist das nicht eine massive Einmischung?

Gerade bei Stefanie habe ich eingegriffen, um sie gekämpft und mit ihr an ihren Rollen gearbeitet. Sie fiel bei den Prüfungen durch, aber ich wollte, dass sie es schafft. Weil ich an sie glaubte und weiß, das Theater, das Kino braucht solche Frauen. Sie sagt diesen unglaublichen Satz: Wenn wir die Liebe im Leben vermissen, können wir sie vielleicht besonders gut spielen.

Sie ist die heimliche Filmheldin, bis zum Happy-End mit Hochzeit in Israel.

Ich war sogar Trauzeuge! Sie widerspricht ja ihrem eigenen Satz vom Künstler, der aus der Einsamkeit heraus Geniales schafft, denn als sie sich verliebt, wird sie besser. Das ist großartig: Sie entzieht sich dem System der Schule und spielt heute lauter Hauptrollen in Kassel!

Noch mal: Ist es nicht anmaßend, als Filmemacher derart einzugreifen?

Vieles davon widerspricht den Regeln dokumentarischen Arbeitens. Trotzdem gibt es Regeln. Ich habe Macht als Regisseur, aber ich bemühe mich, die Macht nicht zu missbrauchen.Wenn jemand weinend zusammenbricht, zeige ich das nicht. Es wäre ein rein voyeuristischer Einblick in den Abgrund eines Menschen. Die Kamera hat dann etwas sehr Kaltes. Andererseits „manipuliere“ ich Szenen, um die Wahrheit eines Menschen hinter dem Pokerface zum Vorschein zu bringen. Das ist anmaßend. Aber als Regisseur stehe ich der Wahrhaftigkeit zuliebe zu dieser Anmaßung.Das Gespräch führte Christiane Peitz.

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