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Kultur: Der stumme Don

Spuren vom Glück: „Broken Flowers“, Jim Jarmuschs entspanntes Melodram mit Bill Murray

Wenn das Leben sich gnädig in die Länge zu ziehen beginnt, ereilt sensiblere Charaktere mitunter der Verdacht, das Ganze sei doch weniger als die Summe seiner Teile. Die Zeichen mehren sich, doch das Bezeichnete, eine Art Sinn vielleicht, gerät aus dem Blick. Oder, um die zurückgelegte Strecke sanft kriminalistisch zu fassen: Es gibt nur Spuren, keine Spur.

Don ist so einer. Irgendwann Mitte Fünfzig hat er sich aus dem Computergeschäft zurückgezogen ins Bungalow-Appartment, in dessen Mitte eine Couch steht und gegenüber ein Fernseher. Aus dem zieht er, müde zappend, das Bilderfutter seiner ziemlich somnambulen Tage. Leute, die ihn zu kennen meinen, nennen ihn, in Anspielung auf seinen Vornamen, einen Don Juan. Kann schon sein, dass da mal was war, aber jetzt sitzt er eher wie Fellinis Sutherland-Casanova versteinert da. Die letzte Puppe namens Sherry (Julie Delpy) ist gerade davongetanzt – wieder ein Zeichen, vielleicht eine Zäsur: Schon stark, wie sie weggeht durch den Vorgarten auf die Straße. Aber Don, der sie, eher einer dramatischen Konvention als einem Gefühl folgend, zurückzuhalten versucht, bringt bloß ein heiser geräuspertes „Sherry“, hervor.

Bill Murray spielt – in seinem Minimalismus weit komischer, aber auch tragischer als in „Lost in Translation“ – diesen Don, der nicht zu retten ist auf seinem wie in Zeitlupe dahinkriechenden Sturz in die totale Sinn- und Menschenlosigkeit. Wäre da nicht Winston (Jeffrey Wright), sein umtriebiger Nachbar: Mit seiner herzensguten Familie hält er Don in der Welt. Und als ein seltsamer, maschinengeschriebener, anonymer rosa Brief eintrifft, der Don von der Existenz eines knapp 20-jährigen Sohnes kündet, ist es Winstons, der zuerst Witterung aufnimmt: Hier könnte die Antwort liegen auf all die Fragen, die Don längst nicht mehr stellt. Winston nötigt Don, sich seiner zum fraglichen Zeitpunkt verflossenen Lieben zu erinnern, recherchiert vier aktuelle Adressen im Internet, stellt flugs die Reiseunterlagen zusammen – und die schönste Schnitzeljagd der neueren Kinogeschichte beginnt.

Ja, man könnte jetzt ins Erzählen kommen. Denn dieser Don, der seine ewigen dunklen Trainingsanzüge mit roten, gelben, orangefarbenen Rallyestreifen gegen einen dunkelblauen Straßenanzug getauscht hat, erlebt jetzt was. Immerhin wird er – stets mit einem Strauß rosa Rosen – vorstellig in einigermaßen fremdartig weitergegangenen Biografien, und immerhin erkennen ihn die beteiligten Frauen. Die Begegnung mit ihnen fügt vielleicht nicht seinem Leben, wohl aber seinem Gesicht, vom Lippenstift bis zum blauen Auge, neue Spuren hinzu.

Nur: Welche ist die Mutter seines Sohnes, nach dem dieser ziemlich stumme Don sich sehr behutsam zu sehnen beginnt? Die lustige Witwe (Sharon Stone) mit noch wollüstigerer Tochter (Alexis Dziena), die zur blassen Maklergattin gereifte Hippie-Schöne (Frances Conroy), die gruselig erfolgreiche Tier-Kommunikatorin (Jessica Lange) oder etwa die unverwüstlich wilde Rockerbraut (Tilda Swinton)?

Keine Antwort, jedenfalls nicht hier. Nur dass die genannten Aktricen sich mit schwindelerregendem Vergnügen gegenseitig an die Wand spielen – nicht zu vergessen ihren tagesfreizeitlichen Besucher Bill Murray, der sich mit dem Rücken zur Wand am behaglichsten fühlt. Nur dass es einen wunderbaren Abschied gibt, bei dem man geradezu weinen will vor Freude, und ein wunderbar formvollendet seelenverdüstertes Abendessen, bei dem es den Zuschauer fast vor Lachen zerreißt. Und dass Bill Murray auf einem Mittelplatz im Flugzeug genauso unwiderstehlich daneben aussieht wie am Steuer eines Ford Taurus. Oder dass man das Glück nur findet, wenn man es bestimmt nicht sucht, Hauptsache, die Blumenverkäuferin heißt Sun Green (süße winzige Rolle: Pell James). So’ne Sachen eben.

In mancher Hinsicht erinnert Jim Jarmuschs „Broken Flowers“ an „Don’t Come Knocking“, den neuen Film von Wim Wenders, und es ist schön, dass nun beide in fast verwandtschaftlicher Nähe im Kino zu sehen sind. Zwei erwachsene Männer auf dem Scheitelpunkt ihrer Ratlosigkeit, und noch einmal verwandelt sich ihr Leben, das schon zum Schmerzstillstand gekommen schien, in ein Roadmovie: Es lockt mit dem unvermuteten Geschenk einer Familie – oder zumindest mit der tröstlichen Einsicht, dass irgendwas Übersinnliches, das die eigene Existenz offenbar erzwang, irgendwie weitergeht. Nur: Wo Wenders wie immer prächtig im Pathos schwelgt, verführt Jarmusch wie immer mit dem Zauber des Understatement.

Wo der eine große Gefühle in großartigen Bildern inszeniert, geht der andere unauffällig aufmerksam auf Wanderschaft; die womöglich nachhaltigeren Einsichten stellen sich dann von selber ein. Nur einmal, als sie ihren Helden in entscheidenden Augenblicken eine Kreisfahrt gönnen, sind die beiden großen Regie-Solisten in einer visuell-philosophischen Idee ganz vereint. Da sitzen und stehen sie, Sam Shepard und Bill Murray, und können nicht anders: Die Kamera fokussiert sie, und um sie herum verschwimmt schon wieder, was sie – einen Augenblick lang – für die Welt halten mögen.

Jim Jarmusch hat seinen meisterlich entspannten Film dem früh verstorbenen Kollegen Jean Eustache gewidmet – eine Einladung, das schmale Werk des Franzosen wieder zu entdecken, ein radikales Bekenntnis zur Freiheit der Autorenfilmer, und eine fast zärtliche Verneigung. Beim Drehbuchschreiben, erzählt Jarmusch, stand ein Foto auf seinem Schreibtisch, das Eustache auf dem Set von „La maman et la putain“ zeigt. „Er hat mich also die ganze Zeit beobachtet. Immer wenn ich ins Stocken geriet oder desillusioniert war, war er da.“ So geht das, wenn man Glück hat: Es gibt keine Spuren im Leben, nur die Spur.

Ab Donnerstag in neun Berliner Kinos. OmU im Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Odeon, OV im Cinestar Sony-Center

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