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Kultur: Der Tänzer als Gockel

Mit einer Blendung, einem Flimmern auf der Netzhaut beginnt die Produktion "Bianco" in den Sophiensälen.Ein jäher Lichtblitz durchzuckt das Bühnendunkel.

Von Sandra Luzina

Mit einer Blendung, einem Flimmern auf der Netzhaut beginnt die Produktion "Bianco" in den Sophiensälen.Ein jäher Lichtblitz durchzuckt das Bühnendunkel.Ein Kahlkopf schiebt sich hinter einem Vorhang hervor.Dieser imposante Schädel gehört dem Italiener Emio Greco, es ist ein immens theatralischer Schädel, marionettenhaft, mit mephistophelischem Kinnbärtchen, tiefschwarzen Blicken.Emio Greco hat als Tänzer mit Jan Fabre und Saburo Teshigawara gearbeitet, als Choreograph hat er die Trilogie "Fra Cervello e Movimento" in Angriff genommen.

Der Widerstreit von Kopf und Körper ist eine alltägliche Erfahrung.Emio Greco hebt sein Thema ins Philosophische.Der Mittelteil "Rosso", der im Rahmen von "Tanz im August" bereits gezeigt wurde, wußte zu beeindrucken.Als Nachzügler war nun mit "Bianco" das choreographische Debüt zu sehen.Das einstündige Solo ist schwächer ausgefallen.Die Zuschauer wohnen der (Kopf-)Geburt einer Bühnenfigur bei.Im wollenen Kleidchen lenkt der Darsteller den Blick auf das Muskelspiel seiner Beine.Die Arme reêken sich haltsuchend empor, der überstreckte Körper wird unter eine enorme Spannung gesetzt.Die ersten Schritte des Performers sind Willens- und Kraftakte.Form beinhaltet Zwang.

Greco setzt sich mit dem rigiden Formenkanon und dem unerbittlichen Ideal des Klassischen Ballett auseinander.Der Tanz schwankt zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, immer wieder verweigert sich der Körper dem Willensdiktat.Schwerblütig und vergrübelt kommt dieses Philosophieren mit den Füßen erfreulicherweise nicht daher - Greco frönt nicht dem tierischen Ernst.Einmal gibt er den Ballerino als sich aufplusternden Gockel.Die skurrile Komik der Szene vergackert sich ins Alberne.Doch auch kopflos bewegt sich Greco durch den Raum, so als wäre die zerebrale Schalt-und Kommandozentrale außer Kraft gesetzt.Der Körper wird dann von widersprüchlichen Impulsen durchquert, statt einer zielstrebigen Aktion wird eine Bewegung vorgeführt, die in gestische und tänzerische Partikel und Floskeln zerfällt.Da scheinen sich die Codes zu verheddern: die eingeübte, automatisierte Alltagsprozedur wie Nägellackieren reibt sich an der artifiziellen Pose.

In einer bemerkenswerten Szene wird die Figur dann aufgespalten: der tanzenden Leib scheint von fremder Hand gelenkt.Ein kluger Kommentar dazu, wie der Körper permanent kulturell geformt und modelliert wird.Schwer hat der Mensch zu tragen an seinem Kopf - Greco demonstriert dies in einer Szene, wo der Kopf den Tanz initiiert, den Körper mitreißt in tänzerische Aufwärts- und Abwärtsbewegung.Ein Kopf-Ab-Programm formuliert Greco aber nicht, er verklärt den Leib nicht nietzeanisch zur großen Vernunft.Der Antagonismus der Kräfte, der Riß im Körper interessiert Greco, doch auf abendfüllende Weise wird das Thema hier nicht verhandelt.Visuell haben die Performances von Emio Greco aber einen grossen Reiz, als Darsteller verfügt er über ein beachtliches Ausdrucksspektrum.In Berlin fast schon ein Publikumsliebing, muß man den Italiener zu den hoffnungsvollen Talenten der internationalen Tanz-Szene zählen.

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