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Kultur: Der Teufel trägt Leder

Rock ’n’ Roll als Tragikomödie: der Dokumentarfilm „Anvil“

Mindestens mit einer Erfindung hat Steve „Lips“ Kudlow Rock ’n’ Roll-Geschichte geschrieben: Er war der erste Gitarrist, der sein Instrument mit einem Dildo spielte. Der Dokumentarfilm „Anvil – Die Geschichte einer Freundschaft“ beginnt mit Bildern vom „Super Rock-Festival“ in Japan 1984. Whitesnake, Bon Jovi und die Scorpions spielen vor tausenden kreischender Fans. „Sie alle sollten mit ihren Platten Millionen verdienen“, erfahren wir. „Nur eine Band nicht“: Kudlow und seine Formation Anvil.

Anvil heißt Amboss, so gusseisern klingen sie auch. Die Männer tragen Nietenhalsbänder und Lederkluft auf nackter Haut, sie lassen die Haare zum Stampfen ihres Metal-Rock fliegen. Der Sänger posiert mit seiner Flying V-Gitarre wie ein Teufel mit dem Dreizack. Schnitt in die Gegenwart. Kudlow, nun Anfang 50, hat noch immer lange Haare. Sie werden von einer Haube zusammengehalten, die zum zerknitterten Kittel passt. Er fährt Essen in Containern aus, die er durch den kanadischen Schnee wuchten muss. Den Traum vom Rock ’n’ Roll-Durchbruch hat er noch nicht aufgegeben.

Der Film des britischen Regisseurs Sacha Gervasis handelt vom Trotz und vom Weitermachen, anrührend erzählt er die tragikomische Geschichte einer Band, die einmal beinahe berühmt geworden wäre. Steve „Lips“ Kudlov und Schlagzeuger Robb Reiner machen seit ihren Schülertagen in Toronto gemeinsam Musik. Als sie 1982 die Langspielplatte „Metal on Metal“ veröffentlichen, schaffen sie es aufs Cover des britischen Musikmagazins „Sounds“ und werden mit ihrem Speed-Metal zu Vorbildern von Bands wie Slayer und Megadeth.

Dann verläppert die Karriere. Gervasis ist ein Fan der ersten Stunde, er pilgerte schon 1982 zu einem Gig im Londoner Marquee Club. Nun begleitet er Anvil bei einer Tour durch Europa, die das Comeback bringen soll. „1500 Euro pro Auftritt. Und während bei meiner Arbeit kaum einer weiß, dass meine Band überhaupt existiert, werden wir in Europa geliebt. Das ist genau, was ich brauche“, jubelt Kudlow.

Doch die Konzertreise entwickelt sich zum surrealen Trip. Züge werden verpasst, Clubs nicht gefunden. In Prag wird den Musikern die Gage nicht ausgezahlt, weil sie sich um Stunden verspätet hatten. In Transsylvanien erweist sich die vom Veranstalter ausgesuchte Halle für ein Metal-Festival als überdimensioniert. „Kapazität: 10 000. Zuschauer: 174“, vermerkt ein eingeblendeter Text. Und irgendwo in Ungarn oder Polen hängt dann ein Zettel mit der Kugelschreiber-Ankündigung „Anvil“ am nachtdunklen Eingang einer Kaschemme, und die völlig überforderte italienische Tourmanagerin schreit im Off: „Sie haben eine verdammte Promo-Kampagne versprochen!“

Der Weg des Films führt weiter nach England, wo die Band ein Album aufnimmt, das später keine Plattenfirma herausbringen will, und nach Japan, zu einem Auftritt als Vor-Vorgruppe, der um 11.35 Uhr beginnt. Anvil sind gescheitert, aber nicht unglücklich. Sie arbeiten an den Songs für „Juggernaut of Justice“, ihr 14. Album. Irgendwann wird die Welt ihnen zuhören.

In Berlin im fsk und Lichtblick-Kino (OmU), OV im Cinestar Sony Center

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