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Kultur: Der Thriller-Instinkt

„McKinsey kommt“ und macht Skandal: Rolf Hochhuths neues Stück über Spitzenmanager und Tyrannenmord

Der Altmeister hat es wieder geschafft. Ein noch nicht uraufgeführtes Stück des Dramatikers Rolf Hochhuth, Jahrgang 1931, verursacht größte Aufregung. „McKinsey kommt“: Hochhuth stürzt sich – vor dem Hintergrund von vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland – auf die Übernahmepraktiken internationaler Konzerne. Das neue Werk beschreibt die Opfer des Fußvolks, ihre Hilflosigkeit und ihre Wut, während sich die Spitzenmanager mit Millionen Euros Abfindungen ein süßes Leben machen.

Aber nicht die Rationalisierungsspezialisten von McKinsey – die Firma taucht schließlich namentlich im Stücktitel auf –, sondern die Deutsche Bank rief „Skandal“. Ihr Sprecher Detlev Rahmsdorf (Tagesspiegel vom 21. Januar) bezieht sich auf ein Hochhuth-Sonett im Epilog zum ersten Akt, in dem der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann mit Terroropfern in Verbindung gebracht wird: „Schleyer, Ponto, Herrhausen warnen.“ Auch den schweizerischen Heldenmythos des Wilhelm Tell, der den Tyrannen Geßler abschoss, bringt Hochhuth ins Spiel – und er zitiert im Prolog zum vierten Akt von „McKinsey kommt“ den Kulturhistoriker Jacob Burckhardt: „Es liegt nahe, dass zunächst bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel, da man Richter in eigener Sache wird, eine Regierung oder ein Individuum die Zernichtung des Gegners unternimmt.“

Eine höchst delikate Sache: Inzwischen wurde Detlev Rahmsdorf, der gestern noch erklärte, man werde „alle rechtlichen Schritte“ prüfen, um gegen Hochhuths Stück vorzugehen, aus dem eigenen Haus zurückgepfiffen. Es gebe keine offizielle Stellungnahme der Bank, erklärte Alfredo Flores, Leiter der Unternehmenskommunikation. In der Frankfurter Zentrale der Deutschen Bank wollte man den Fall nicht kommentieren – und offenbar nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Rolf Hochhuth sagt jetzt dem Tagesspiegel, dass er auch nichts weiter zu erklären habe, wenn es kein offizielles Statement der Deutschen Bank gibt.

Die Verwirrung ist im Zusammenhang mit der Anklage gegen den Deutsche-Bank-Chef Ackermann zu sehen, der seit gestern in Düsseldorf wegen des Verdachts der Untreue vor Gericht steht. Bank-Sprecher Rahmsdorf ist Ackermann für den spektakulären Prozess zur Seite gestellt: Dort geht es um die Übernahme des Mannesmann-Konzerns durch das britische Mobilfunkunternehmen Vodafone – und um die gewaltigen Abfindungen für die ehemaligen Mannesmann-Manager.

Die Düsseldorfer Richter und der streitbare Dramatiker, der sich gern als Rächer der Entrechteten betrachtet, beschäftigen sich also mit dem gleichen Thema. Bemerkenswert ist der Zeitpunkt der Schriftsteller-Schelte: Wollte Rahmsdorf seinen Boss zum Prozessbeginn zu einem potenziellen Opfer stilisieren und vom eigentlichen juristischen Geschehen ablenken? Der Stücktext liegt seit Dezember gedruckt (und zunächst unbeachtet) vor, als dtv-Taschenbuch.

Auch wenn die Deutsche Bank den „Skandal“ um „McKinsey kommt“ nun herunterspielt, weil der Düsseldorfer Prozess schon genug negative Schlagzeilen bringt: Die Frage nach dem Tyrannenmord hat Hochhuth aufgeworfen. Sein Text rückt heutige Sanierer und Unternehmens-Aufkäufer in die Nähe vorzeitlicher Despotien. Eine Frau, durch die Übernahme ihrer Firma arbeitslos geworden, schimpft: „Da gehört ’ne Bombe rin! Schiss müssten se haben.“ Ein anderer meint, resigniert: „Eine Kalaschnikow würde helfen – wer aber hätte Lust, lebenslänglich zu sitzen, nur damit endlich wieder einmal ein Dollar-Diktator umgelegt worden ist ...“.

Freilich: Zitate sind immer aus dem Zusammenhang gerissen, es lässt sich damit alles und nichts belegen. Und: Selbstverständlich hat ein Dramatiker das Recht, den Leuten aufs Maul zu schauen. Sonst hätte es nie einen Schiller, einen Büchner, einen Kroetz gegeben. Über die dramatische Qualität des neuen Hochhuth-Stücks sagt das noch nicht viel. Er schüttet, wie immer, einen Wust von Zeitungsmeldungen, literarischen Zitaten und selbstverfasster Lyrik zusammen mit Spielszenen im volkstümlichen Ton, die mit ausführlichsten szenischen Anweisungen garniert sind.

Rolf Hochhuth besaß, ungeachtet seines literarischen Vermögens, schon immer einen unglaublichen Riecher für Tabu-Stoffe. Mit seinem ersten Stück, dem „Stellvertreter“, wurde er 1963 weltberühmt. Er fragte nach der Mitschuld des Vatikans am Holocaust. Hochhuth, sagte der Theaterkritiker Benjamin Henrichs, sei der Autor, „der mit den besten Absichten die schlechtesten Stücke schreibt und gerade damit die heftigsten Wirkungen hat.“ So ging es weiter: In den „Soldaten“ (1967) beschuldigte er Churchill, zum Mord an Marschall Sikorski, dem Chef der polnischen Exilregierung im Zweiten Weltkrieg, angestiftet zu haben. Mit den „Juristen“ brachte er Anfang der Achtziger den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger zu Fall, der bei den Nazis als Marinerichter Todesurteile gefällt hatte. Hochhuth bezeichnete ihn als „furchtbaren Juristen“.

Etwas anders war der Krach um Hochhuths Kolportage „Wessis in Weimar“ im Jahr 1993. Hochhuth versuchte die Uraufführung am Berliner Ensemble durch Einar Schleef zu verhindern, weil er seinen Text nicht wiedererkannte. Von den „Wessis in Weimar“ führt der Weg direkt zu „McKinsey kommt“. Hochhuth greift die Konzerne des Westens an: Sie hätten den Osten ausgeplündert.

Dieses Thema treibt ihn um. In einem Vortrag über „Bismarck, Schäuble und die Arbeiter“, den Rolf Hochhuth jetzt vor einem Arbeitskreis der Berliner CDU hielt, attackierte er Wolfgang Schäuble heftig. Helmut Kohls Chefunterhändler bei den Verhandlungen zur deutschen Vereinigung habe zum Niedergang des Ostens beigetragen. Einer wie Schäuble könne daher nicht Bundespräsident werden. (Beifall von den Anwesenden.)

Auch Hochhuth war im Osten aktiv. Über die von ihm ins Leben gerufene Ilse-Holzapfel-Stiftung verfügt er über das Gebäude des ehemaligen Theaters am Schiffbauerdamm/Berliner Ensemble. Doch nicht dort, im Hause Peymann, kommt nun „McKinsey“ am 13. Februar heraus, sondern im Theater der Stadt Brandenburg. Nicht nur Politiker und Industriebosse, auch so mancher Theatermensch fürchtet Hochhuths Furor. Nun ist er, einer der meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker des 20. Jahrhunderts, auf dem flachen Land angekommen, an einer Bühne, die selbst ums Überleben kämpft.

Aber noch immer zeitigt er Wirkung – weil die jüngeren Dramatiker sich nicht viel trauen und die Globalisierung mit kleiner theatralischer Münze abhandeln. Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, sagte dem Tagesspiegel: Man könne sich über vieles äußern, „über die Höhe von Managergehältern und die Angemessenheit von Abfindungen. Aber wer diese Diskussion mit Klassenkampf verwechselt, wer Terrorismus und Guillotine ins Spiel bringt, verlässt den Boden, auf dem diese Auseinandersetzung geführt werden muss. Herr Hochhuth, schämen Sie sich!"

Die Firma McKinsey, die Hochhuth zum Kronzeugen für den neuen, ruchlosen Kapitalismus nimmt, reagiert cooler: Sie hat für Mitarbeiter und Geschäftsfreunde eine ganze Vorstellung des Hochhuth-Dramas in Brandenburg gekauft (siehe auch S. 14).

Rüdiger Schaper

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