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Kultur: Der Tod ist ein blutiger Meister Jake und Dinos Chapmans humanistische Kunstprovokationen in Düsseldorf

Von Christina Tilmann Plakate der jüngsten Ausstellung des „Museums Kunst-Palast“ sieht man in Düsseldorf kaum – und wenn, dann nur von weitem. Sicher, das Motiv, eine grotesk verwachsene nackte Kindergruppe mit Penisnasen und Anusmündern, ist nicht unbedingt jedem zumutbar.

Von Christina Tilmann

Plakate der jüngsten Ausstellung des „Museums Kunst-Palast“ sieht man in Düsseldorf kaum – und wenn, dann nur von weitem. Sicher, das Motiv, eine grotesk verwachsene nackte Kindergruppe mit Penisnasen und Anusmündern, ist nicht unbedingt jedem zumutbar. Und „Zygotic acceleration biogenetic, desublimated libidinal model“, die wohl bekannteste Skulptur des britischen Künstlerpaares Jake und Dinos Chapman, ist eine geschmacklose Provokation: Dass sie es mit gutem Grund ist, macht die Sache nicht besser.

Die Chapman-Brüder gehören zu jenen „Young British Artists“, die der Londoner Kunsthändler Charles Saatchi Anfang der 90er Jahre entdeckte und als „Sensation“ vermarktete. Pädophilie und die Klondebatte, Globalisierung und Krieg sind die Themen ihrer Werke. Spätestens die Großskulptur „Hell“ hatte die Chapmans auch in Deutschland bekannt gemacht, lange bevor das Werk hier zu sehen war: eine vielfigurige Installation in Hakenkreuzform, die detailgenau Gräuel zeigt. Stark vergrößerte Fotografien, die die Berliner Kunst-Werke schon im Jahr 2000 zeigten, hatten ein Horrorszenario sadistischer Grausamkeit ahnen lassen, das umso mehr verstörte, als die Täter- und Opferrolle nicht eindeutig definiert war: Die SS-Schergen in der Installation waren nicht nur die Quäler, sondern auch die Opfer.

Nun, da Düsseldorf die komplette Installation erstmals in Deutschland zeigt, wirkt sie weniger spektakulär als in den suggestiven Großaufnahmen – und zugleich beunruhigender. Neun Glasvitrinen, in Hakenkreuzform angeordnet, zeigen eine idyllische Landschaft im Modelleisenbahn-Stil, mit See, Wald und Berg, bevölkert von höchstens fingergroßen Figuren. Panzer landen mit Hakenkreuzfahne am See, Soldatenzüge ziehen bergan. Bild für Bild nimmt der Schrecken zu: Unmengen von abgeschlagenen Köpfen liegen am Boden oder sind auf Lanzen gespießt, abgerissene Glieder türmen sich am Wegrand. Gehängte baumeln an Bäumen, Geier lauern auf Aas. Die Soldaten verwachsen mit nackten Frauen zu grostekten Zwitterwesen, am Altar steht ein behaartes Monster. Dann kommt ein eingezäuntes Lager mit Todesstreifen, die Gefangenen sind ebenfalls Soldaten, bewacht, gequält von ihresgleichen. Eine Gaskammer, ein Verbrennungsofen, ein Atompilz, der aus einem Krater wächst, schließlich eine riesige Grube, gefüllt mit toten Körpern, ein Meer von verwesenden Leichen, das Ekel erregend am Glasrand der Vitrine hochschwappt.

Ein Schock? Natürlich. Nur ein Effekt? Nicht unbedingt. So naheliegend es scheint, die über zweijährige Beschäftigung der Chapman-Brüder mit Hakenkreuzen, Wehrmachtuniformen, KZ- und Holocaust-Symbolen als typisch englische Kriegsobsession zu lesen und als Effekthascherei abzutun, umso irritierender erscheint „Hell“ bei näherem Hinsehen. Die Vision einer sich selbst vernichtenden Menschheit, die mit sadistischer Lust ersonnenen Tötungsmechanismen gegen sich selbst kehrt, macht aus den SS- und Hakenkreuzmotiven Metaphern einer ins Böse gekehrten Welt, die nicht mehr an konkrete historische Ereignisse geknüpft sind.

Alle Schrecken der Kunstgeschichte werden aufgeboten: Hieronymus Bosch mit seinen apokalyptischen Bildern steht Pate, wenn über den Rädern mit Gehängten die Geier auf ihr Fressen warten, wenn die Ruinen von Kirchen und Gehöften sich füllen mit verstümmelten Leichen. Goyas „Schrecken des Krieges“ liegen – wie in der begleitenden, ebenfalls schon in den Berliner Kunst-Werken gezeigten Radierungsfolge „Disasters of War“ – unübersehbar über der Szenerie und die sadomasochistische Lust, die einen angesichts der minuziös ausgearbeiteten Gruppen ergreifen könnte, vergeht angesichts der kaum übersehbaren Fülle der Szenen. Was auf den ersten Blick als unzulässige Provokation erscheint, entpuppt sich als humanistische Anklage.

Die jüngsten Werke, ein Zyklus von Radierungen, sieben Gemälde und vor allem eine Fülle von Skulpturen aus der „Sammlung der Familie Chapman“ konzentrieren sich auf ein klares Feindbild: McDonalds als Inbegriff einer pervertierten Wirtschafts- und Ernährungsform. Schon in den auf „Hell“ folgenden Szenerien hatten sich die sadistischen Quälereien in die Ruine eines McDonalds-Lokals verlagert. „If You Eat Meat, Digest This“ zeigt anstelle der frühen verformten Kindergruppen Tiergesichter mit sieben Augen oder verzogenen Schnauzen – Folgen einer genmanipulierten Ernährungswelt.

Die afrikanischen Skulpturen aus der „Familienkollektion“ schließlich, wie Heiligtümer in abgedunkeltem Raum präsentiert, entpuppen sich als pseudo-afrikanisch: Eine Kopf-Skulptur zeigt sich bei genauerem Hinsehen als BigMac, eine andere Figur trägt Pommes-Frites-Tüte und Colabecher in der Hand, die Hörner eines Medizinmannes verschränken sich zum gelben Mc-Donalds-Emblem und immer wieder finden sich Masken mit dem Grinsen und dem roten Haar des Mc-Donalds-Clowns. Das ist in seiner spielerischen Art intelligent und witzig – Verstörung wie beim Anblick der frühen Chapman-Werke bleiben jedoch aus.

Düsseldorf, Museum Kunst Palast, bis 4. Mai. Künstlerbuch in drei Sprachen (Verlag Walther König) 38 Euro.

Christina Tilmann

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