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Kultur: „Der Tod ist eine Frage des Marktanteils“

In „Moonlight Mile“ spielt Dustin Hoffman einen trauernden Vater. Ein Gespräch über Verlust, Verdrängung und Perfektionismus

Auf den ersten Blick wirkt „Moonlight Mile“ wie ein Idyll. Ein samtiger Schleier scheint über dem Städtchen in Massachusetts zu liegen, in dem Brad Silberlings bisweilen etwas plakative Familientragikomödie Anfang der Siebzigerjahre spielt. Alles ist gedämpft: die Farben der Breitcordanzüge, die die Männer tragen, und die Gespräche, die hinter zugezogenen Haustüren geführt werden. Doch die kleine Welt, die uns hier vorgeführt wird, ist aus den Fugen. Ein Mädchen wurde in einem Schnellrestaurant das zufällige Opfer einer Schießerei. Ein paar Tage später wollte sie heiraten. Zurück bleiben ihre Eltern – Dustin Hoffman und Susan Sarandon – und ihr Verlobter, gespielt von Jake Gyllenhaal. „Moonlight Mile“ zeigt, wie sie über den Tod des Mädchens hinwegzukommen versuchen und daran scheitern. Der Vater, ein Immobilienmakler, betäubt seinen Schmerz mit Alltagsroutine, die Mutter hat hysterische Ausbrüche. Und der Verlobte findet in einer Bar ein neues Mädchen und tanzt mit ihr zu „Moonlight Mile“, dem Song der Rolling Stones. Ihr Freund wird in Vietnam vermisst. (chs)

In einer Schlüsselszene von „Moonlight Mile“ sagt Jake Gyllenhaal, der Ihren BeinaheSchwiegersohn spielt: „Ich möchte herauskriegen, was ich mit meinem Leben anfangen kann.“ Der Satz könnte von Benjamin Braddock stammen, den Sie vor 35 Jahren in „Die Reifeprüfung“ verkörpert haben.

Jake wirkt in seiner Rolle tatsächlich ein bisschen wie ein Wiedergänger von Benjamin. Beide sind in dieser Lebensphase zwischen Jugend und Erwachsensein, sie fühlen sich verloren, wissen nicht, wie es weitergeht.

Sie spielen in „Moonlight Mile“ einen Immobilienmakler, der seine Tochter bei einer Schießerei verloren hat. Er heißt Ben. Ist sein Name eine Referenz an die „Reifeprüfung“?

Dasselbe habe ich den Regisseur Brad Silberling gefragt. Daraufhin erzählte er mir von der Tragödie, die hinter dem Film steht. Brad hatte als Student eine Freundin, die von einem Psychopathen erschossen wurde. Nach ihrem Tod und während des anschließenden Strafprozesses war er sehr eng mit der Familie seiner Freundin zusammen. Ihr Vater hieß Ben.

Ist es schwer, Trauer zu spielen?

Ben trauert, indem er die Trauer verdrängt. Er setzt unbewusst seinen Beinahe-Schwiegersohn an die Stelle der toten Tochter, er führt sein Leben weiter, als ob sie nicht gestorben wäre. Dahinter steht eine viel größere Frage: Wie geht unsere Gesellschaft mit Tod und Trauer um? Wir leben in einem Medienzeitalter, und die Medien gehören Großkonzernen. Unsere Gefühle sind längst ein Teil dieser Medienmaschinerie, alles ist nur noch eine Frage von Marktanteilen und Einschaltquoten. Die Nachrichtenshows überbieten einander an Theatralik und geheucheltem Mitleid, vom Absturz der Columbia-Raumfähre bis zum Aufmarsch im Irak. Für Trauer ist kein Platz mehr. Menschen sterben, und im Fernsehen werden die Hinterbliebenen vor eine Kamera gezerrt: „Ihr Kind ist tot. Wie fühlen Sie sich?“ Wir haben einen Teil unserer Menschlichkeit aufgegeben. Für den Profit.

Sie klingen wütend. Dabei sind Sie ein gefeierter Schauspieler, für „Kramer gegen Kramer“ (1979) und „Rain Man“ (1988) mit zwei Oscars dekoriert. Sie könnten sich doch eigentlich im Glanze Ihres Ruhms sonnen.

Ich bin seit fast vierzig Jahren Filmschauspieler, in dieser Zeit haben sich die Arbeitsbedingungen sehr zum Negativen verändert. Früher wurden die Studios von Menschen betrieben, heute gehören sie Konzernen. Warner Brothers zum Beispiel, das waren die Gebrüder Warner. Heute ist es nur noch ein kleines Stückchen aus einem großen Konzernkuchen. Aber ich fühle mich viel zu lebendig und zu kämpferisch, um zu verzweifeln.

Susan Sarandon sagt im Film ein paar Mal: „Locker Deine Schulter, Ben.“

Das haben wir improvisiert, den Satz gab es im Drehbuch nicht.

Man könnte ihn auch als Aufforderung an den Schauspieler Dustin Hoffman verstehen, lockerer aufzutreten. Sie gelten als Perfektionist, der manche Szenen zig Mal wiederholt.

Offenbar glauben Sie alles, was Sie lesen. Wenn ich arbeite, folge ich einfachen Grundsätzen. Zum Glück gibt es Regisseure, die diese Grundsätze teilen. Brad Silberling ist einer von ihnen. Regel Nummer 1: Bei einem Film geht nur der allerkleinste Teil der Zeit fürs Drehen drauf. Man kann mühelos 40 Takes, 50 Takes von einer Szene drehen, das frisst keine Zeit. Was Zeit frisst, sind die Vorbereitungen. Der Kameramann sagt, ich brauche 45 Minuten, um den Raum auszuleuchten. In Wirklichkeit braucht er eine Stunde, weil er nämlich ebenfalls ein Perfektionist ist. Dann wird gedreht, 30 Sekunden und die Klappe fällt. Anschließend stellt sich heraus, dass mit dem Licht noch irgendetwas nicht gestimmt hat, dafür gehen noch einmal 10 Minuten drauf. Die Takes kosten keine Zeit. Ich sage dann: Können wir es noch einmal machen, und noch mal und noch mal, zehn Mal nacheinander, das geht ganz schnell. Du spürst das Adrenalin, das dabei durch deine Adern jagt, es ist wie ein kontrollierter Rauschzustand. Nachher bist du erledigt. Aber der Film ist besser geworden durch deine Querulanz.

Machen Sie Menschen wütend, die es bei den Dreharbeiten weniger genau nehmen?

Dieser Frage liegt ein Missverständnis zugrunde. Die Menschen, mit denen ich arbeite, sind in der Regel genauso perfektionistisch wie ich. Der Einzige, der ein Interesse daran hat, dass ein Film schnell abgedreht wird, ist der Produzent. Mit weniger Drehtagen kann er Geld sparen.

Perfektionisten sind anstrengend. Fällt es Ihrer Familie manchmal schwer, Sie zu ertragen?

Privat bin ich der entspannteste Mensch der Welt. Ich bin ein slob, ein Oberschlamper. Es gibt niemanden, der mich dazu bringen könnte, mein Zimmer aufzuräumen. Bei der Arbeit funktioniere ich mit Hochgeschwindigkeitspräzision, wie ein Laser. Zuhause gehe ich dann total vom Netz.

Sie haben fast alles erreicht, was man als Schauspieler erreichen kann. Was treibt Sie an, weiterzumachen?

Ich habe noch nicht einmal angefangen. Picasso hat bis zu seinem 92. Lebensjahr gemalt. Kürzlich habe ich Christopher Lee getroffen, er ist über 80 und wirkt mit seiner Spiellust aber immer noch wie ein Kind. Er sagte, ich sei ein junger Mann, das hat mir gefallen. In der „Reifeprüfung“ habe ich einen Jungen gespielt, in „Moonlight Mile“ spiele ich einen alten Vater, bald kommen die Großväter. Aber ich würde auch gerne noch einmal einen Jungen spielen, man muss mich nur lassen. Man müsste die Haare von George Clooney noch etwas grauer färben. Ich wäre dann sein perfekter Sohn.

Das Gespräch führte Christian Schröder. „Moonlight Mile“ läuft in 10 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center.

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